Projektbeschreibung
Kontext
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit aufgrund von Krankheit oder Behinderung haben Konsequenzen für die Betroffenen und für die Gesellschaft. Sozialpolitische Instrumente sollen Beeinträchtigungen überwinden (Teilhabeleistungen) oder deren Folgen kompensieren (Erwerbsminderungsrenten). Es stellt sich die Frage, ob das gegenwärtige System der sozialen Sicherung bei Erwerbsminderung ausreichend ist und ob die Möglichkeiten der Förderung der Teilhabe ausreichend genutzt werden.
Etwa 20 Prozent aller Versichertenrentenzugänge entfallen in Deutschland derzeit auf Renten wegen Erwerbsminderung; in Berufen mit schwerer körperlicher Arbeit liegt der Anteil bei 35 Prozent. Durch die Erhöhung der Regelaltersgrenze wird sich dieses Problem weiter verschärfen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Möglichkeiten zur Sicherung der Teilhabe (z. B. Rehabilitation) im Vorfeld der Gewährung von Erwerbsminderungsrenten oft nicht ausgeschöpft werden.
Fragestellung
Das Projekt verfolgte drei Ziele: (1) Analyse von Problemen der sozialmedizinischen Begutachtung im Rentengeschehen anhand der vorliegenden Forschung; (2) Analyse von Routinedaten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zur Beantwortung der Frage, in welchem Maße der Grundsatz "Reha vor Rente" bei Erstzugängen zur Erwerbsminderungsrente umgesetzt wird und welche Gruppen besonders gefährdet sind, ohne vorherige Rehabilitationsmaßnahme in Erwerbsminderungsrente zu gehen; (3) Beschreibung des niederländischen Modells der beruflichen Eingliederung und der sozialen Sicherung von Menschen, die durch Krankheit oder Behinderung erwerbsgemindert sind, sowie ein Vergleich mit dem deutschen Modell. Ziel war es, hieraus empirisch fundierte Anregungen zur Weiterentwicklung der sozial- und arbeitsrechtlichen Instrumente zur sozialen Sicherung bei Erwerbsminderung in Deutschland abzuleiten.
Untersuchungsmethoden
Es wurde eine systematische Recherche und Analyse vorliegender Forschungsarbeiten zu Problemen der sozialmedizinischen Begutachtung im Rentengeschehen durchgeführt.
Außerdem erfolgte eine Analyse von Datensätzen der DRV zu Erwerbsminderungsrenten hinsichtlich des Berentungsgeschehens und der vorhergehenden Maßnahmen zur Sicherung der Teilhabe (z. B. Rehabilitation).
Im Hauptteil des Projekts wurden die gesetzlichen Grundlagen (z. B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) und die Praxis der beruflichen Wiedereingliederung oder sozialen Sicherung von Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung erwerbsgemindert sind, in den Niederlanden und in Deutschland recherchiert und beschrieben. Hierfür wurden eine Literaturrecherche sowie ExpertInnen-Interviews durchgeführt. Für die Interviews nutzten wir Fallvignetten, um die Praxis in den Niederlanden und in Deutschland anhand konkreter Fälle gegenüberstellen zu können.
Darstellung der Ergebnisse
- Zur Beurteilung der Qualität der sozialmedizinischen Begutachtung im Rentengeschehen liegen lediglich vereinzelte empirische Forschungsergebnisse vor. Diese Ergebnisse weisen auf eine hohe Variabilität zwischen verschiedenen Gutachtern hin.
- Die Analyse der Datensätze der DRV ergab, dass über 40 Prozent der Neuzugänge in die Erwerbsminderungsrente in den letzten fünf Jahren vor der Berentung keine Teilhabeleistung erhalten haben. Dazu zählen insbesondere Männer, Versicherte mit niedrigem Qualifikationsniveau oder Wohnsitz in Ostdeutschland. Auch höheres Alter und geringe Beitragszeiten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, ohne Teilhabeleistungen in Erwerbsminderungsrente zu gehen.
- Kennzeichnend für die Praxis der beruflichen Wiedereingliederung in den Niederlanden sind u.a. folgende Aspekte, die auch als Anregungen für Reformen in Deutschland aufgegriffen werden könnten: ein gesetzlich geregeltes, früh einsetzendes Rückkehrmanagement; starke Anreize für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur beruflichen Wiedereingliederung; die Unterstützung der beruflichen Wiedereingliederung durch Fallbegleiter sowie eine führende Rolle der Arbeitsmedizin im Wiedereingliederungsprozess.