Projektbeschreibung
Kontext
Die Arbeitswelt ist von einem Widerspruch gekennzeichnet, der fatale Folgen zeitigt: Während die objektiven Anforderungen an die sozialen Kompetenzen der Arbeitenden wachsen, versteht sich der Kompetenzerwerb nicht mehr von selbst. Schule und Betrieb sehen sich mit dem Anspruch überfordert, soziale und moralische Kompetenzdefizite auszugleichen.
Aus diesem Widerspruch ist eine Tendenz zur Pädagogisierung der Arbeitswelt erwachsen. Ihre Effekte sind zwiespältig. Zwar wurde nun endlich eine lang vergessene Zielgruppe der politischen Bildung wieder entdeckt, doch geschieht das unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Defizitkompensation. Damit übernimmt die politische Bildung die Perspektive sozialpädagogischer Problemklassifizierung. Sie wird als Erziehungsprogramm konzipiert und vergisst, was das Spezifische der Bildung ist: ein "Vorgang des Sich-Bildens" (Hartmut von Hentig) im Sinne der Förderung personaler Subjekthaftigkeit.
Fragestellung
Um diese defizitorientierte Perspektive zu überwinden, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die erste ist die Überwindung der kulturellen Fremdheit zwischen Pädagogen und ihren Adressaten. Pädagogen - als akademisch qualifizierte, mit beträchtlichen kulturellem Kapital ausgestattete Angehörige einer bildungsorientierten Mittelschicht - stehen der sozialen Welt ihrer Adressaten als Fremde gegenüber. Wollen sie ihre Adressaten zur kompetenten Auseinandersetzung mit ihren Lebensbedingungen befähigen, müssen sie selbst lernen, deren soziale Welt zu verstehen.
Die zweite Voraussetzung betrifft den pädagogischen Ansatz und seine Lernziele. Das Leitziel politischer Bildung, die Förderung personaler Autonomie, ist nur zu erreichen, wenn die pädagogischen Angebote den spezifischen Sozialisationsbedingungen ihrer Adressaten gerecht werden. Das heißt: Die zu vermittelnden Kompetenzen müssen sich an den Lebensbedingungen der Adressaten und den an sie gestellten Anforderungen bewähren.
Untersuchungsmethoden
Das Projekt stellt ein Modell der Arbeit mit der Zielgruppe junge Arbeitnehmer/ Auszubildende dar. Es wird mit dem Ziel ausgewertet, das Konzept und die Erfahrungen bei seiner Erprobung der Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Das geschieht zum einen in lerntheoretischer Perspektive: durch Darstellung der Seminarmodule und ihrer methodischen Elemente. Zum anderen wird die methodisch-konzeptionelle Reflexion des Ansatzes ergänzt durch den Versuch, die "Sinnwelten" (Berger/Luckmann) der Projektadressaten im Blick auf zentrale Erfahrungsdimensionen hermeneutisch zu interpretieren. Es werden Interviews ausgewertet, die im Rahmen der Seminare entstanden sind.
Darstellung der Ergebnisse
Der Bericht interpretiert Interviewmaterial aus Seminaren zu berufsbiographischen Themen (Übergang von der Schule in den Beruf, Rückblick aufs erste Ausbildungsjahr/Konflikte im Betrieb, Arbeit und Gesundheit, Lebensperspektiven), zu Formen biographischer Selbstthematisierung im Seminar "Heimat", zur Reflexion des Problems von Recht und Gerechtigkeit und - seminarübergreifend - zu geschlechtsspezifischen Erfahrungen. Er beleuchtet die Erfahrungen junger Arbeitnehmer im Prozess der beruflichen Sozialisation und zeigt, an welche Problematiken politische Bildung mit der Zielgruppe anknüpfen kann und soll. Aus dieser Perspektive werden die Lernziele und Methodiken des Projekts dargestellt und lerntheoretisch reflektiert. Es wird deutlich, welche Lernchancen ein arbeitsorientierter Ansatz birgt.