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Folge 175 Systemrelevant Lieferkettengesetz Service aktuell

Systemrelevant Podcast: Das Lieferkettengesetz: Ein Bürokratiemonster?

Ein Jahr nach Einführung des Lieferkettengesetzes ziehen Christina Schildmann, Ernesto Klengel und Oliver Emons Bilanz – wie funktioniert es, was klappt, was fehlt vielleicht noch und welche neue Stufe wird 2024 gezündet?

[11.01.2024]

Das Lieferkettengesetz setzt einen Meilenstein im Bestreben, Transparenz und Verantwortlichkeit in globalen Lieferketten zu fördern. Es verpflichtet Unternehmen ab einer bestimmten Unternehmensgröße zur Einhaltung menschenrechtlicher und ökologischer Standards. Der grundlegende Ansatz des Gesetzes verlangt von Unternehmen, potenzielle Risiken in ihren Lieferketten zu identifizieren, zu überwachen und zu minimieren.

Diese Verpflichtung hat Unternehmen dazu motiviert, ihre Lieferketten genauer zu prüfen. Die Bemühungen zeigen Erfolge, sagt HSI-Direktor (kommissarisch) Ernesto Klengel, indem Unternehmen vermehrt nach ausländischen Partnern suchen, um langfristige Vertragsbeziehungen einzugehen und angemessene Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

Trotz dieser Fortschritte gibt es anfängliche Bedenken seitens der Unternehmen, insbesondere die Furcht vor der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette. Unternehmen müssen keine Angst davor haben, da es zeigt, dass sie das Gesetz richtig anwenden, betont Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

 

Die geplante europäische Richtlinie sieht eine Erweiterung des Anwendungsbereichs vor und legt verbindliche Standards fest, die europaweit für Unternehmen gelten sollen. Dies schafft einen erhöhten Druck und bildet eine einheitliche Grundlage, auf der Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre Lieferketten verantwortungsbewusst zu gestalten. Die potenziell verstärkte Einbindung von Mitbestimmungsakteur*innen auf europäischer Ebene, wie von Ernesto Klengel angedeutet, könnte die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter*innen in den Entscheidungsprozessen weiter stärken.

Die Mitbestimmung und globale Rahmenvereinbarungen nehmen eine entscheidende Funktion im Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz ein. Oliver Emons, Nachhaltigkeitsexperte am I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung, hebt hervor, dass die Überprüfung solcher globalen Rahmenvereinbarungen durch neu etablierte Kontrollmechanismen eine positive Entwicklung innerhalb des gesetzlichen Rahmens darstellt.

Insgesamt sind die Expert*innen optimistisch, dass die Lieferkettenregulierung, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, weiterhin positive Veränderungen bewirken wird. Das Lieferkettengesetz hat nicht nur Unternehmen dazu gebracht, ihre Arbeitsweise zu überdenken, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Gewerkschaften gestärkt.

Dr. Irene Becker hat in ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie ein angemessen hohes soziokulturelles Existenzminimum berechnet und festgestellt, dass das Niveau der Kindergrundsicherung je nach Alter der Kinder um 6 bis 30 Prozent höher sein müsste als nach der gesetzlichen Bedarfsermittlung.

Beckers Reformvorschlag sieht vor, die Konsumausgaben der gesellschaftlichen Mitte als Bezugspunkt zu nehmen. So wäre es nach Analyse der Armutsexpertin etwa plausibel, soziokulturelle Teilhabe als gerade noch gegeben zu definieren, wenn Haushalte bei den Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Ernährung, Bekleidung und Wohnen nicht mehr als 25 Prozent und bei sonstigen Bedürfnissen nicht mehr als 40 Prozent von der Mitte nach unten abweichen. Damit lebt die Referenzgruppe zwar deutlich unter der gesellschaftlichen Mitte, hätte aber noch mehr Teilhabemöglichkeiten als bei der bisherigen Berechnung, die den Kindern und damit letztlich der gesamten Gesellschaft schadet.

Moderation: Marco Herack

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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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