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Kinderarmut: Eine für alle – die Kindergrundsicherung

Kinderarmut ist weit verbreitet, staatliche Hilfen sind unzureichend und ungleich verteilt. Zeit für eine Kindergrundsicherung, die für alle gilt, schreibt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch.

[30.5.2023]

Von Bettina Kohlrausch

Die Zahlen sind erschreckend: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung wächst mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut auf. Das sind hochgerechnet 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Zwei Drittel der von Armut betroffenen Kinder leben mindestens fünf Jahre durchgehend oder wiederkehrend in Armut – für sie ist Armut eine prägende, wenn nicht dominierende Phase ihrer Kindheit. Konkret bedeutet dies für die betroffenen Kinder, dass sie sich zum Beispiel schämen, Freunde nach Hause einzuladen, dass sie an Aktivitäten, die Geld kosten, nicht teilnehmen können, dass sie holperige Bildungsverläufe und schlechtere Schulleistungen haben und dass sie häufiger eine Klasse wiederholen müssen.

Kinderarmut bestimmt also nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft der Betroffenen. Der Vorschlag von Familienministerin Paus, die aktuellen Leistungen, die Kinder und Familien zustehen, zu einer Kindergrundsicherung zusammenzufassen, ist daher richtig. Die Grundidee einer Kindergrundsicherung ist, dass Leistungen, wie das Kindergeld, der Kinderzuschlag oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zusammengefasst und allen Familien in Form eines einkommensunabhängigen Garantiebetrags und eines einkommensabhängigen Zusatzbeitrags zugänglich gemacht werden.

Zwei Dinge sind dabei wichtig: Erstens muss die Leistung so ausgestaltet sein, dass alle Kinder vom Staat gleich behandelt werden. Bisher beträgt das Bürgergeld für Kinder 318 bis 429 Euro, je nach Alter. Für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren sind beispielsweise aktuell 348 Euro vorgesehen. Kinder aus Familien mit mittleren Einkommen bekommen 250 Euro Kindergeld. Zusätzlich haben Eltern mit geringen Einkommen etwas oberhalb der Grundsicherung die Möglichkeit, einen Kinderzuschlag zu beantragen. Kinder von Eltern mit höheren Einkommen hingegen werden über Kinderfreibeträge maximal bis zu 354 Euro entlastet. Wegen des progressiven Steuertarifs nimmt die Entlastung bei steigenden Einkommen zu.

Die größte staatliche Zuwendung bzw. Entlastung bekommen somit Kinder aus einkommensstarken Familien. Und diese Privilegierung betrifft nicht nur die Höhe der Leistung, sondern auch den Zugang dazu. Denn während Kindergeld und Kinderfreibetrag automatisch ausgezahlt werden, müssen andere Leistungen beantragt werden. Resultat: Viele Familien nehmen Leistungen, die ihnen zustehen, gar nicht in Anspruch. Wichtiges Grundprinzip einer Kindergrundsicherung muss daher sein, dass alle Kinder den gleichen Garantiebetrag erhalten und auch der Zugang sowohl zum Garantiebetrag also auch dem Zusatzbeitrag so einfach ausgestaltet ist, dass alle die Leistungen bekommen, die ihnen zustehen.

Zweitens muss die Kindergrundsicherung wirklich armutsfest ausgestaltet sein. Dafür bräuchte es eine breite gesellschaftliche, aber auch methodische Debatte darüber, wie hoch das sozio-kulturelle Existenzminimum tatsächlich ist. Der Anspruch, wenigstens dieses Minimum allen Kindern zu gewähren, sollte Grundlage der Berechnungen der Kosten einer solchen Leistung sein. Was auch immer die konkrete Höhe dann sein wird – es wäre eine gute Investition in die Zukunft.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch ist die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.

Weitere Informationen

Systemrelevant Podcast: Kindergrundsicherung als Mittel gegen Kinderarmut

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Hans 11/2023

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