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: Zerstörerische Freiheit

Ausgabe 09/2007

Wie können wir die Kapitalmärkte zum Nutzen aller zivilisieren? Der DGB macht Vorschläge, wie wir Unternehmens-Mitbestimmung zu einem wirkungsvollen Instrument ausbauen können.

Von Dierk Hirschel und Martin Stuber. Dierk Hirschel ist Chefökonom beim DGB-Bundesvorstand in Berlin, Martin Stuber leitet dort das Referat Nachhaltigkeit. dierk.hirschel@dgb.de, martin.stuber@dgb.de

Die aktuelle Banken- und Fondskrise verdeutlicht die hohe Instabilität der Finanzwelt. Das private Risikomanagement der Kapitalmärkte hat wieder einmal versagt. Währendessen schlägt die politische Finanzmarktdebatte Purzelbäume. Jüngstes Highlight ist die Unterscheidung zwischen bösen Staatsfonds und guten privaten Finanzinvestoren. Wenn ein chinesischer Staatsfond sich bei Siemens einkaufen will, läuten die Alarmglocken. Wenn sich das Finanzministerium einen mit chinesischem Kapital gefütterten Kampfhund namens Blackstone hält, klagt - neben den Telekom-Beschäftigten - höchstens der Tierschutzverein.

Warum sollte aber der betriebliche Strukturwandel in den Händen von 28-jährigen Grünschnäbeln der City of London besser aufgehoben sein als beim ZK der KP Chinas oder im Kreml? Der Vorwurf lautet, den Staatskapitalisten gehe es nicht um Marktrenditen, sondern um politischen Einfluss. Dabei gerät in Vergessenheit, dass die Finanzmarktliberalisierungsgesetze in den Glaspalästen von Frankfurt mitgeschrieben wurden. Eine "Lex Putin" schafft noch keine faire Wettbewerbsordnung auf den Kapitalmärkten. Unter dem Dach der gegenwärtigen Finanzmarktarchitektur genießen private Investoren eine zerstörerische Freiheit.

Diese blockiert einen ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklungspfad. Die kapitalmarktgetriebenen Kurzfriststrategien vieler Unternehmen wirken negativ - auf die betriebliche Arbeitsorganisation, das Erwerbssystem, die Tariflandschaft, die Innovationsfähigkeit und das Ausbildungs- und Qualifizierungssystem. Sie untergraben die Grundlagen des deutschen Modells einer diversifizierten Qualitätsproduktion. Gleichzeitig wird massiv umverteilt: Während Löhne und Sozialeinkommen sinken, steigen Gewinne und Vermögenseinkommen.

ZWEI-SÄULEN-STRATEGIE DER GEWERKSCHAFTEN  Die Kapitalmärkte sind das Nervenzentrum des modernen Finanzmarktkapitalismus. Deswegen sollten wir die Kapitalmärkte stärker in den Blick nehmen. Eine gewerkschaftliche Antwort auf die Anonymisierung und Internationalisierung von unternehmerischen Entscheidungen ist der Ausbau der Mitbestimmung. Die zweite gewerkschaftliche Antwort ist ein besseres Regelwerk für die Kapitalmärkte.

Letzteres soll langfristige Realinvestitionen fördern und kurzfristige, spekulative Finanzinvestitionen diskriminieren. Eine einheitliche europäische Regulierung ist nationalen Alleingängen immer vorzuziehen. Aber auch im Zeitalter globaler Finanzmärkte gibt es im Steuer-, Aktien- und Unternehmensrecht noch hinreichend nationalstaatliche Gestaltungsspielräume. Als Gewerkschaften werden wir hier die Politik in die Pflicht nehmen.

Die bisherigen gewerkschaftlichen Antworten auf die Herausforderungen entfesselter Finanzmärkte sind geprägt durch unterschiedliche nationale Entwicklungspfade. Teile der angelsächsischen Gewerkschaftsbewegung sehen den finanzmarktorientierten Unternehmensumbau als irreversibel an. Mit Hilfe von "Workers' Capital" sollten der Kurzfristorientierung die Zähne gezogen werden; diese versuchte Zähmung des Shareholder-Value-Kapitalismus war bisher nicht sehr erfolgreich. Die Finanzmärkte wurden weder entschleunigt noch stabilisiert. Gewerkschaftliche Pensionsfonds bleiben Getriebene der Kapitalmärkte. Bei den großen Unternehmensskandalen (Enron, Worldcom) verloren die gewerkschaftlichen Pensionsfonds Calpers und Calsters 850 Millionen US-Dollar.

Kontinentaleuropäische Gewerkschaften haben andere strategische Optionen: Noch prägt den koordinierten Kapitalismus ein starker institutioneller Einfluss der Belegschaften und ihrer Gewerkschaften. Die sozialen Sicherungssysteme hängen nicht am Tropf des Kapitalmarktes, und der Aktienbesitz ist weniger verbreitet.

Hierzulande besitzt nur jeder Sechste Aktien. Belegschaftsaktien machen in DAX-30-Unternehmen maximal drei Prozent aus. Der Anteil der kapitalgedeckten Altersvorsorge am Alterseinkommen liegt bei 15 Prozent.

Und die weitere Privatisierung der Alterssicherung ist kein Naturgesetz. Gleiches gilt für die öffentlichen Güter - Wohnungen, Wasser, Energie, Straßen -, die wir nicht entlang von Finanzmarktinteressen organisieren wollen. Europa kann einen alternativen Entwicklungspfad wählen. Die zwei großen Säulen einer kontinentaleuropäischen Strategie sollten das Regelwerk der Kapitalmärkte und die Wirtschaftsdemokratie umfassen.

MITBESTIMMUNG MACHT DIE UNTERNEHMEN STARK  Die Lage der Finanzmärkte bietet uns die Chance einer gesellschaftlichen Debatte über wirtschaftsdemokratische Einflussnahme. Der direkte Einfluss über den Aufsichtsrat ist in Deutschland effektiver als der Umweg über gewerkschaftliche Pensionsfonds. Doch muss sich eine Debatte über den Ausbau der Unternehmensmitbestimmung auch unbequemen Fragen stellen. Warum wurden aktionärsorientierte Strategien in stark mitbestimmten Unternehmen nicht systematisch ausgebremst?

Beschränkte das Kennzifferregime (Segmentberichterstattung, Top-down-Vorgabe von Renditezielen) unter der Fahne größerer Transparenz gewerkschaftliche Handlungsspielräume? Eine kritische Bilanz der Mitbestimmungspraxis würde offensiven Forderungen größere Überzeugungskraft verleihen. Auf der gewerkschaftlichen Wunschliste steht dann die Ausweitung der paritätischen Mitbestimmung auf Betriebe ab 1000 Beschäftigte. Ferner sollte das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden zur Debatte stehen.

Gleichzeitig erleben wir aktuell, wie eine aktive Mitbestimmung sich in Verkaufs- und Übernahmeprozesse - an Finanz- oder strategische Investoren - einklinkt und dabei die Interessen der Belegschaften und der Unternehmen offensiv vertritt (siehe Berichte in diesem Heft). Hier betreten die Arbeitnehmer-Aufsichtsräte neue Mitbestimmungsfelder, was der Gesetzgeber unterstützen sollte, etwa indem der Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte auf Fusionen, Übernahmen, Kapitalerhöhungen, Börsengänge und weitere zentrale Restrukturierungsmaßnahmen erweitert wird, und indem in diesen Übernahmeprozessen die Informations- und Beteiligungsrechte der Betriebsräte gestärkt werden.

NEUE SPIELREGELN AUF DEN KAPITALMÄRKTEN  Die zweite Säule einer gewerkschaftlichen Strategie setzt auf ein besseres Anreizsystem. Langfristige Realinvestitionen müssen gefördert werden, kurzfristige, spekulative Finanzinvestitionen gilt es zu diskriminieren. Zu den Hausaufgaben gehört ein Nachhaltigkeitscheck der bisherigen Finanzmarktliberalisierung.

Dort, wo offensichtliche Fehlanreize gesetzt wurden, gilt es, ideologiefrei dazuzulernen und umzusteuern. Entscheidendes Kriterium ist die Frage, ob die gegenwärtigen Regeln eine ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltige Unternehmenspolitik (z. B. bezüglich Energie- und Materialeinsatz) fördern oder nicht (Hirschel/Stuber 2006).

Großen Reformbedarf gibt es im Steuer-, Aktien- und Unternehmensrecht. Eine nationale Börsenumsatzsteuer, wie wir sie vom Finanzplatz London kennen, und eine Steuer auf Veräußerungsgewinne würden kurzfristige Kapitalbewegungen verteuern. Goldene Aktien - Stimmrecht geknüpft an Haltedauer, Mehr- und Höchststimmrechte - und strategische Staatsbeteiligungen helfen, die Langfristorientierung zu stärken und die Anarchie auf dem Markt für Unternehmenskontrolle zu überwinden.

In den USA wurden längst die Lehren aus den Übernahmeschlachten der 80er Jahre gezogen. Die Mehrheit der US-Firmen schützt sich mit so genannten Giftpillen - Ausgabe kostenloser frischer Aktien an die Altaktionäre - vor feindliche Übernahmen. Es gibt keinen Grund, weswegen Europa hier weiterhin einseitig abrüsten sollte.

Aktienrückkaufprogramme sollten reguliert werden. Sinnvoll wäre es, den Aktienrückkauf durch eine gesetzliche Obergrenze - beispielsweise fünf Prozent für alle ausstehenden Aktien - auf ein vertretbares Maß zu beschränken (Voth 2007). Dadurch würde eine weit verbreitete Praxis der Kurspflege zugunsten der Attraktivität realwirtschaftlicher Engagements diskriminiert.

Darüber hinaus gehört die verpflichtende Quartalsberichterstattung auf den Prüfstand. Alle drei Monate Erfolgsmeldungen zu liefern, nur um Analysten zufrieden zu stellen, gefährdet langfristige Investitionsprojekte. Die Firmen sollten zukünftig selbst über die Berichtsfrequenz entscheiden (Voth 2007). Unterstützung für diese Forderung kommt auch aus dem Heimatland des Shareholder-Value-Kapitalismus. Eine durch das Aspen-Institut organisierte Gruppe - darunter auch die Konzernchefs von Pepsico, Pfizer und Xerox , Gewerkschafter und Fondsmanager - fordert, dass die Firmen keine Quartalszahlen mehr an die Analysten herausgeben und Analystenschätzungen nicht mehr kommentieren.

Gegen kurzsichtige Manager hilft auch eine andere Gehaltsstruktur: Aktienoptionen sollten einfachen Beteiligungen am Aktienkapital weichen. Diese Kapitalbeteiligungen sind an Haltefristen zu binden. Erfolgsabhängige Gehaltsbestandteile sollten stärker an die realwirtschaftliche Performance des Unternehmens (Wachstum, Beschäftigung) geknüpft werden.

Diese steuer-, aktien- und unternehmensrechtliche Neujustierung kann überwiegend national umgesetzt werden. Europäische Lösungen sind jedoch immer vorzuziehen. Idealtypisch wäre ein gut regulierter einheitlicher europäischer Kapitalmarkt. Eine Reihe von weitergehenden Regelungen ist jedoch ohne gemeinsame internationale Vereinbarungen chancenlos. Hierzu gehört die Einschränkung des Optionshandels, die Schließung von Offshore-Zentren und nicht zuletzt die Einführung einer Devisenumsatzsteuer.

Ein neues Anreizsystem der Finanzmärkte beseitigt nicht die Ursachen des hohen Renditedrucks. Es erweitert aber die Spielräume für mittel- und langfristige Unternehmensstrategien. Darüber hinaus üben gut regulierte Finanzmärkte nur noch eine geringe Anziehungskraft auf die schwarzen Schafe unter den Finanzinvestoren aus.

DIÄT FÜR HEUSCHRECKEN  Hedge- und Private-Equity-Fonds agieren bis heute in einem rechtsfreien Raum. Diese Regulierungslücke ist in Anbetracht der systemischen Risiken nicht mehr akzeptabel. Besonders kritisch ist die Schuldenübertragung auf die gekauften Firmen. Zu diesem Schluss kommt auch die renommierte Ratingagentur Moody's (Moody's 2007).

Striktere Mindesteigenkapitalanforderungen und Informationspflichten könnten diese Praktiken einschränken. Die Überwachung sollte den Banken obliegen. Im Rahmen der nationalen Umsetzung der Basel-Regeln könnten schärfere Risikokapitalanforderungen die Fremdkapitalkosten der Fonds verteuern.

Die Kreditkosten sollten von der Transparenz der Finanzierungs- und Eigentümerstruktur, der Qualität der Geschäftsstrategien sowie der Eigenkapitalausstattung der Fonds abhängen. Darüber hinaus würde eine stärkere Zinskostenbesteuerung das Geschäftsmodell der schuldenfinanzierten Unternehmensübernahme weiter unter Druck setzen.

Dies kann über eine Einschränkung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schuldzinsen und der Verlustverrechnung innerhalb der Anlagefonds erreicht werden (Voth 2007, Jarras 2007). Die Einführung einer Zinsschranke im Rahmen der Unternehmenssteuerreform war ein erster Schritt in diese Richtung. Ferner sollte die Ausschüttung von Sonderdividenden - ein Instrument zur Selbstbedienung der Aktionäre - untersagt werden.

Ein gewerkschaftliches Private-Equity-Netzwerk, wie es die IG Metall gegenwärtig aufbaut, stärkt die kollektive Verhandlungsmacht und ist ein wichtiges Frühwarnsystem. Darüber hinaus müssen die Sparkassen, Landesbanken und die KfW wieder stärker ihrer Verantwortung für die Kreditversorgung der KMUs nachkommen. Das hier entstandene Marktversagen war das Einfallstor für Beteiligungsgesellschaften.

Die systemischen Risiken der Hedge-Fonds könnten ebenfalls mittels Bankenregulierung eingefangen werden. Hedge-Fonds wickeln sämtliche Wertpapierdienstleistungen und ihre Kreditaufnahme über Banken ab (die so genannten Prime Broker), unabhängig davon, ob der Fonds auf den Cayman Islands oder den Bahamas sitzt.

Die Risikokapitalanforderungen der Banken sollten, analog zur Private-Equity-Branche, verschärft werden. Die Baukosten der Schuldenpyramiden würden steigen. Dies reduziert auch die Risiken der Banken. Darüber hinaus sind Obergrenzen für Leerverkäufe, Vorgaben für das Risikomanagement und eine stärkere Produktregulierung sinnvoll.

Die Praxis der Wiederbeleihung von hinterlegten Sicherheiten gilt es einzuschränken (Voth 2007). Des Weiteren sollten die Fonds an bestimmten Stichtagen ihre Handelpositionen verbindlich offen legen müssen. Regelmäßige, umfassende und zeitnahe Bewertungen durch unabhängige Rating-Agenturen wären ein weiterer Beitrag für mehr Transparenz.

Mehr Informationen:

Michel Aglietta/Antoine Reberioux: Corporate Governance Adrift: A Critique Of Shareholder Value, Cheltenham 2005

Dierk Hirschel/Martin Stuber: Made in Germany - im Griff der Finanzmärkte, in: Neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte 54/4, 2007

Dierk Hirschel/Martin Stuber: Radikale Finanzmärkte, in: Mitbestimmung 12/2006

Lorenz Jarass/Gustav M. Obermair: Steuerliche Aspekte der Aktivitäten von Private Equity und Hedge-Fonds, Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler Stiftung, Düsseldorf 2007, zum Herunterladen (145 Seiten) download (pdf)

Moody's Investors Service: Rating Private Equity Transactions, 7/2007

Hans-Joachim Voth: Transparenz und Fairness auf einem einheitlichen europäischen Kapitalmarkt, Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler Stiftung, Düsseldorf 2007, zum Herunterladen (82 Seiten) download (pdf)