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Stadtpolizist Klaus Heinold in der U-Bahn-Station Hauptwache: Feste Zeiten statt Schichtdienst. Magazin Mitbestimmung

Personalräte-Preis: Wissen und Erfahrung von Älteren besser nutzen

Ausgabe 03/2019

Bei der Stadtpolizei in Frankfurt am Main können sich ältere Beschäftigte vom Streifendienst entlasten lassen. Dafür werden sie dort eingesetzt, wo ihnen ihre Erfahrung besonders zugutekommt. Das Konzept geht auf eine Initiative des Personalrats zurück. Von Joachim F. Tornau

Irgendwann schlug Klaus Heinold der jahrelange Schichtdienst auf die Gesundheit. Der ständige Wechsel, sagt er, habe ihm erst Schlafprobleme und dann auch Verdauungsprobleme eingebracht. „Und schließlich pfiff auch noch der Tinnitus.“ Nach einem Vierteljahrhundert im Dienst der Frankfurter Stadtpolizei ging Heinold deshalb zu seinem Chef und bekannte: „Der Schichtdienst ist mir zu anstrengend.“ Nur zwei Wochen später hatte er eine neue Aufgabe. Statt in Früh- und Spätschichten verrichtet der 59-Jährige seinen Dienst seither zu gleichbleibenden Zeiten – auf der Innenstadtwache, die die Stadtpolizei in der B-Ebene der U-Bahn-Station Hauptwache betreibt.

Dass so schnell und unbürokratisch eine Lösung gefunden wurde, die ihm den Spaß an der Arbeit zurückbrachte, das sei, so sagt der altgediente Stadtpolizist mit leisem Spott, „für die öffentliche Verwaltung sensationell“. Zu verdanken hat er diese Sensation einer Initiative, die dem Personalrat des Frankfurter Ordnungsamts – die Stadtpolizei ist eine Abteilung dieser Behörde – im vergangenen Jahr den Deutschen Personalräte-Preis in Gold eintrug. Im Juli 2017 verständigte sich die Beschäftigtenvertretung mit dem Leiter der Stadtpolizei auf ein Konzept, wie ältere Kollegen, die sich den Anstrengungen des Polizeidiensts nicht mehr uneingeschränkt gewachsen fühlen, weiter eingesetzt werden können. Und zwar sinnvoll. 

Jeder Vierte ist älter als 55

Üblicherweise, sagt Personalratsvorsitzende Angela Hertel, würden solche Arbeitnehmer in der Verwaltung für Botengänge und dergleichen eingesetzt. „Das macht niemanden glücklich.“ Wie drängend die Frage des alters- und alternsgerechten Arbeitens bei der Stadtpolizei ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Bereits heute ist jeder Vierte der 220 Frankfurter Stadtpolizisten älter als 55 Jahre, Tendenz steigend. Und anders als ihre Kollegen bei der Landespolizei, die mit 62 Jahren in den Ruhestand gehen können, müssen sie bis 67 durchhalten. Trotz ähnlicher Aufgaben und Belastungen, von denen der Schichtdienst nur eine ist.

Die Stadt Frankfurt hat ihrer Stadtpolizei einen üppigen Zuständigkeitskatalog gegeben. Die Stadtpolizisten überprüfen, ob Kneipen und Kioske sich an das Jugendschutzgesetz halten. Sie kontrollieren die Lärm- und Geruchsemissionen etwa von Gaststätten. Sie weisen aggressive Bettler und penetrante Straßenmusiker in die Schranken. Sie ziehen Waffen ein und gehen gegen illegalen Fischfang im Main vor. Sie holen psychisch Kranke ab, die zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen wurden, und bringen Ausländer, die abgeschoben werden sollen, zum Flughafen. Und natürlich greifen sie ein, wenn es auf der Straße zu Schlägereien oder anderen Straftaten kommt. Anders als die meisten Ordnungsamtspolizeien in Deutschland sind sie dabei sogar mit Schusswaffen ausgerüstet. Das gibt es sonst nur noch in Stuttgart.

„Wir haben ein Riesenaufgabengebiet“, sagt Norbert Renker, Ausbilder bei der Stadtpolizei und Mitglied im Personalrat. Aber bei aller Vielfalt gebe es eine große Gemeinsamkeit: „Wenn wir einschreiten, konfrontieren wir Menschen mit etwas Negativem – und man weiß nie, wie sie reagieren.“ Man muss immer mit gewaltsamen Auseinandersetzungen rechnen. Das wird manchem irgendwann zu viel. So geht Klaus Heinold zwar gelegentlich noch Streife rund um die Innenstadtwache. „Aber ich werde mich nicht mehr mit Besoffenen herumhauen.“ Das überlässt er den Jüngeren. 

Den Amtsarzt braucht es nicht

Dank des „Konzepts 55+“ kann er das tun, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Denn festgelegt wurde, dass allein die Beschäftigten entscheiden, ob ihre bisherige Arbeit sie körperlich oder auch psychisch zu überfordern beginnt. Eine amtsärztliche Untersuchung braucht es nicht. „Das“, sagt Personalratsvorsitzende Hertel, „ist ein Clou in unserem Konzept.“

Aber woher können andere Einsatzmöglichkeiten kommen, wenn neue Stellen utopisch sind? Im Januar 2016 begannen die ver.di-Vertrauensleute im Betrieb – zum Teil identisch mit den ver.di-Mitgliedern, die im elfköpfigen Personalrat die Mehrheit stellen –, gemeinsam mit Beschäftigten der Stadtpolizei nach Ideen zu suchen. Was ihnen einfiel, wurde von der Arbeitnehmervertretung in ein Konzept gegossen und schließlich von der Abteilungsleitung fast eins zu eins per Dienstanweisung umgesetzt. „Eine Dienstvereinbarung wäre uns natürlich lieber gewesen“, sagt Hertel. Doch dafür wäre nicht mehr der – sehr aufgeschlossene – Leiter der Stadtpolizei zuständig gewesen, sondern die Amtsleitung, die auf die Vorschläge des Personalrats zunächst sehr verhalten reagiert habe. 

Neben der Besetzung der Innenstadtwache durch einen festen Wachhabenden sieht das Konzept unter anderem vor, in einzelnen Stadtteilen Polizeiposten einzurichten. Ein erster in Bergen-Enkheim, für den der Personalrat sogar gleich geeignete Räumlichkeiten benennen konnte, wurde bereits geschaffen. Der ältere Stadtpolizist, der hier stundenweise Bürgersprechstunden anbietet, geht ansonsten Streife im Quartier, zu Fuß und allein, als Ansprechpartner, der sich um die Belange des Quartiers kümmert, aber bei Vorfällen nicht unbedingt eingreifen muss. Solche Kontaktbeamten soll es künftig in weiteren Stadtteilen geben. Und ebenso soll auch das „Sicherheitsmobil“, mit dem die Stadtpolizei fast jeden Tag irgendwo in Frankfurt unterwegs ist, um Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, dauerhaft mit älteren Kollegen besetzt werden. 

„Die Überlegung war, Arbeit schlauer zu verteilen“, sagt Personalrat Renker. „Es ist doch Unsinn, Leute mit Erfahrung nicht dort einzusetzen, wo ihnen diese Erfahrung besonders zugutekommt.“ In der Innenstadtwache erzählt Klaus Heinold von der verzweifelten Smartphone-Besitzerin, deren Telefon aus einem Lüftungsschlitz zu befreien ist, von verwirrten Senioren, die nicht mehr wissen, wo sie wohnen, von jungen Frauen aus Afrika, ohne Geld und ohne Bleibe, für die es eine soziale Einrichtung zu finden gilt. „Die große Sozialkompetenz und Fachkompetenz, die ich in 28 Jahren bei der Stadtpolizei gewonnen habe, hilft mir hier sehr“, sagt er.

Einvernehmliche Lösung

Matthias Heinrich, der Leiter der Stadtpolizei, reagiert etwas verschnupft, wenn man ihn auf die Initiative des Personalrats für das „Konzept 55+“ anspricht. Nicht weil er an dem Konzept irgendetwas auszusetzen hätte, ganz im Gegenteil. Er will nur nicht als derjenige dastehen, den man zum Jagen erst tragen musste: „Schon bevor der Personalrat kam, hatte ich meine Ideen zu dem Thema der Amtsleitung vorgetragen“, sagt Heinrich. „Aber wer die Urheberrechte hat, ist für mich auch nicht wegweisend.“ Entscheidend sei vielmehr, dass man gemeinsam und einvernehmlich eine Lösung gefunden habe. „Ich bin froh über die Kooperation mit dem Personalrat.“ 

Rücksicht auf die Bedürfnisse älterer Beschäftigter zu nehmen ist für den Leiter der Stadtpolizei „die Anerkennung einer Lebensleistung“. Was seine Dienstanordnung an Einsatzmöglichkeiten auflistet, ist dabei ausdrücklich nicht abschließend gemeint: Weitere kreative Ideen sind erwünscht. Und auch das „55+“, das im Titel steht, darf man nicht zu wörtlich verstehen. Bei Jüngeren, die gesundheitlich eingeschränkt sind, kann das Konzept ebenfalls angewendet werden. Dass es bislang erst von einigen wenigen der älteren Kollegen tatsächlich genutzt wird, stört weder den Personalrat noch den Polizeichef. „Das ist ein Zukunftsprojekt“, sagt Heinrich. „Es war nicht zu erwarten, dass gleich ganz viele kommen – aber es werden mehr werden, und darauf sind wir jetzt vorbereitet.“ 

Ob die derzeit geringe Nutzung auch damit zusammenhängen könnte, dass es manch einem gestandenen Stadtpolizisten eher schwerfällt, Schwäche zuzugeben? Vielleicht, sagt Personalratsvorsitzende Hertel. Doch wichtig sei: Denen, die das bislang schon getan haben, schlage keinerlei Geringschätzung entgegen. „Um diese Akzeptanz herzustellen, hatten wir bei der Ideenfindung ja bewusst die Kollegen eingebunden – auch die jüngeren.“ 

Eine Blaupause, der sie hätten folgen können, hatten Hertel und ihre Mitstreiter nicht. Sie sind nun selbst zum Vorbild geworden: „Nach der Preisverleihung“, berichtet die Personalratsvorsitzende, „haben wir Anfragen bekommen aus anderen Ämtern in Frankfurt, aber auch aus anderen Bundesländern.“

  • Stadtpolizist Klaus Heinold in der U-Bahn-Station Hauptwache: Feste Zeiten statt Schichtdienst. (Foto: Frank Rumpenhorst)

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