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Magazin Mitbestimmung

: Wirtschaft ohne Ältere

Ausgabe 05/2005

Die Hochglanzbroschüren, die das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter feiern, sind in vielen Betrieben noch nicht angekommen. Die Mehrheit der Unternehmen ist nur ungenügend auf den demografischen Wandel vorbereitet. Wer 55 Jahre alt ist, hat schlechte Karten.

Von Kay Meiners

Die Wissenschaftler sind sich einig: Während noch vor wenigen Jahrzehnten das Älterwerden als ein stetiger Verlust an Körperkraft, Gesundheit und Attraktivität beschrieben wurde, haben sich heute Denkmodelle durchgesetzt, die im Altern auch Vorteile erkennen wollen. Je mehr Lebenszeit verstreicht, so die Lehre, desto eher bilden sich Kompetenzen heraus, die Jüngere nicht vorweisen können: "Häufig sind das Fähigkeiten und Kompetenzen, die mit Erfahrungen zu tun haben", heißt es in einer Broschüre der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA), hinter der sich drei Bundesministerien, die Sozialpartner und die Träger der Sozialversicherung verbergen.
 
Darin wird die Fähigkeit der Älteren gelobt, "komplexe Aufgaben zu lösen", ihre "größere Toleranz", ihre "betriebsspezifischen Erfahrungen" und "kommunikativen Kompetenzen". Eine Theorie des differenziellen Alterns hat die Defizittheorie abgelöst - jedenfalls in den Sonntagsreden.
 
Dieser neue Ton mag Züge eines politisch korrekten Euphemismus tragen - neuere Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass selbst dann, wenn es signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen gibt, die Unterschiede zwischen den Individuen noch größer sind. Das gilt selbst für die körperliche Leistungsfähigkeit: Ein 50-jähriger Leistungssportler kann eine bessere Kondition haben als ein 25-jähriger Büroangestellter.
 
Schnelle Pauschalurteile verbieten sich. Das Bild der Lebensalter wird heute feiner gezeichnet als früher. Gerade im Alter nimmt die Varianz zwischen den einzelnen Individuen noch einmal erheblich zu. Längst ist bekannt, dass die verrichtete Arbeit und die Lebensführung einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf des Alterns haben.
 
Auch der Strukturwandel scheint auf lange Sicht die Älteren zu begünstigen. Kaum noch jemand muss heute seine Muskelkraft zu Markte tragen. Qualifikation und Beschäftigungsfähigkeit sind heute die Kriterien. So weit die Theorie. Doch in vielen Unternehmen sieht es ganz anders aus.
 
Viele Betriebe sind schlecht vorbereitet
 
Die meisten Betriebe in Deutschland sind bislang weder bereit noch in der Lage, sich auf das Altern der Gesellschaft und ihrer Belegschaften einzustellen - zu diesem Ergebnis kommt das Gelsenkirchener Institut Arbeit und Technik (IAT) in seinem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Altersübergangs-Report. Trotz eines gesetzlichen Renteneintrittsalters von derzeit 65 Jahren beschäftigen mehr als 40 Prozent aller Unternehmen niemanden mehr, der älter ist als 50 Jahre. Nur 54 Prozent der Betriebe erklärten sich bei der Untersuchung überhaupt bereit, ältere Beschäftigte ab 50 Jahren ohne Bedingungen einzustellen.
 
31 Prozent knüpfen die Einstellung an besondere Bedingungen oder etwa daran, dass es keine älteren Bewerber gibt. 15 Prozent lehnten die Einstellung Älterer sogar kategorisch ab. "Und das sind nur die, die sich offen dazu bekennen", erklärt der Arbeitsmarktforscher Martin Brussig, der den Altersübergangs-Report mit verfasst hat. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. "Altersstrukturen spielen in der Personalpolitik meist gar keine Rolle", erklärt IAT-Mitarbeiter Martig Brussig.
 
Auch in vielen Großunternehmen bilden Ältere eine kleine Minderheit - als strategische Ressource werden sie nur wenig geschätzt. So beschäftigt die Henkel AG nach eigenen Angaben in Deutschland rund 10 300 Mitarbeiter - davon sind nur 755 (sieben Prozent) älter als 55 Jahre. Bei BMW liegt der Anteil Älterer bei sechs Prozent - noch schlechter sieht es bei der Deutschen Bank aus, die nur eine Quote von vier Prozent erreicht. Martin Brussig, der den Altersübergangs-Report mit verfasst hat, überraschen solche Zahlen nicht: "Gerade im Finanzsektor gibt es einen ausgeprägten Jugendkult", erklärt er. "Idealerweise müsste der Anteil Älterer bei einem Viertel liegen", sagt er, wobei er die Grenze allerdings bei 50 Jahren zieht.
 
Rund 40 Prozent der Betriebe beschäftigen nach IAT-Ergebnissen niemanden, der älter als 50 Jahre ist - dabei handelt es sich meist um sehr kleine Unternehmen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) weist zu Recht darauf hin, dass Hilfen, die die Arbeitsagenturen für die Einstellung älterer Beschäftigter gewähren, gerade von kleinen und mittleren Betrieben kaum abgerufen werden. Erst ab einer Betriebsgröße von etwa 50 Mitarbeitern, so das IAT, erreicht die Mehrzahl der Betriebe einen Anteil älterer Mitarbeiter zwischen 10 und 30 Prozent - mit großen Unterschieden je nach Branchen und Regionen. Das ist ein Wert, der dem Anteil Älterer an der erwerbstätigen Bevölkerung - rund 25 Prozent - entspricht.
 
 
Es kommt auf die richtige Mischung an
 
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen in deutschen Unternehmen zwischen den Jahren 1991 und 2003 von 38,8 auf 40,8 Jahre gestiegen. Der Trend wird sich noch verschärfen, denn die Babyboomer-Generation, die geburtenstarken Jahrgänge der späten 60er und frühen 70er Jahre, die heute einen großen Teil der Erwerbstätigen stellen, wird kollektiv altern. Zugleich verzögert sich der Berufseinstieg der jungen Generation - durch die Jugendarbeitslosigkeit, prekäre Berufsbiografien und längere Ausbildungs- und Bildungszeiten.
 
Im steigenden Durchschnittsalter der Erwerbstätigen drückt sich freilich zunächst nur das Problem aus, noch nicht seine Lösung. So warnt Brussig denn auch vor vorschnellen Schlüssen, wenn es um die Frage geht, wer gut auf den demografischen Wandel vorbereitet ist und wer nicht: "Wer viele Ältere beschäftigt, wie etwa der öffentliche Dienst, der muss nicht automatisch auch gut vorbereitet sein."
 
Am Ende kommt es auf eine ausgewogene Altersstruktur an. Doch niemand weiß heute mit Sicherheit zu sagen, in welchem Umfang Unternehmen in Zukunft die Qualitäten der Älteren auch wirklich nachfragen - in einer Zeit, in der ein globaler Arbeitsmarkt junge Arbeitskräfte in großer Zahl mobilisiert und in der lange überliefertes Wissen, auch Erfahrungswissen, rapide veraltet. Noch ist nicht darüber entschieden, was die Weisheit des Alters in den Unternehmen der Zukunft wert ist. Die Politiker haben die Frühverrentung erschwert, ein längst überfälliger Schritt, und das Arbeitslosengeld wird nur noch maximal 18 Monate gewährt. Außerdem setzt sich die Erkenntnis durch, dass es sinnvoll ist, die Produktivität von Beschäftigten im Team zu messen.
 
Doch darauf, dass die Betriebe sich automatisch anpassen, sollte man sich laut Martin Brussig lieber nicht verlassen: "Es ist ebenso möglich, dass sie das Potenzial der älteren Erwerbstätigen einfach ausblenden. Es spricht einiges für dieses skeptische Szenario." Daher verlangt der DGB Beschäftigungsprogramme auch jenseits der normalen Wirtschaft: "Gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten außerhalb der Privatwirtschaft sollten öffentlich gefördert werden, um Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren." Brussig wünscht sich eine Wirtschaft, in der nicht nur die Verweildauer älterer Arbeitnehmer im Betrieb steigt, sondern in der Ältere auch bessere Chancen auf eine "Wiedereinstellung" haben. Solange das nicht erreicht ist, bleibt das Gerede von den flexiblen Alten, die sich noch einmal neu orientieren, eine Farce.
 
 
Einfallslose Personalplaner
 
In den Unternehmen herrscht Einfallslosigkeit. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt hindert Unternehmen daran, zu expandieren - und wenn sie es dennoch tun, bevorzugen sie Jüngere. Sabine Klaus*, 32, hat als Trainee und Personaltrainerin für eine große Kaufhauskette gearbeitet, in ihren Seminaren saß Verkaufspersonal gemischten Alters, zwischen 25 und 55 Jahren, so dass sie Vergleiche ziehen kann. "Junge Mitarbeiter sind leichter zu motivieren", sagt sie, "die älteren sind skeptisch, wenn Weiterbildungsseminare angeboten werden, oft denken sie stärker in Hierarchien."
 
Die langjährige Erfahrung der Älteren, die die INQA-Broschüren feiern, hat ganz offensichtlich nicht nur positive Folgen gehabt. Viele von ihnen haben resigniert, sie fühlen sich nicht mehr gebraucht oder schlecht behandelt. Dass das nicht nur Einbildung ist, hat auch etwas mit den schlechten Zeiten zu tun - mit der hohen Arbeitslosigkeit, die die Löhne drückt und zu immer neuen Sparmaßnahmen zwingt.
 
"Die Alten erinnern sich daran, dass es früher mehr Personal in den Kaufhäusern gab", meint Personaltrainerin Klaus: "Sie sagen, früher sei alles besser gewesen - und sie haben sogar Recht." Früher waren die Älteren, die Erfahrenen, oft diejenigen, die in den Unternehmen einen guten Stand hatten. Sabine Klaus hat eine andere Erfahrung gemacht. Sie sagt, es seien heute nicht mehr die Älteren, sondern die Jüngeren, die - aus einer gefestigten Position heraus - auf Missstände hinwiesen.
 
Zwar nehmen die Jüngeren dabei ein Karriererisiko auf sich - aber die Alten haben Angst, sie wollen nicht auffallen, sondern einfach nur noch durchhalten, auch wenn sie innerlich längst gekündigt haben. Einen gleichwertigen Ersatzjob finden viele von ihnen nicht mehr. Die Unternehmen finden sich damit häufig ab. Die Älteren werden bestenfalls noch geduldet - aber niemand macht sich die Mühe, sie noch einmal zu motivieren, sie ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen.
 
"Das Unternehmen, in dem ich beschäftigt war, bot vielen älteren Mitarbeitern die Altersteilzeit an", sagt Sabine Klaus. "In der Praxis sah das so aus, dass diese Leute für weniger Geld weiter in Vollzeit arbeiteten und dann früher den Betrieb verließen." Dass es vielleicht auch anders gehen kann, sieht man daran, dass Klaus den Zusammenhang zwischen Alter und Kompetenz in ihrem eigenen Beruf viel positiver einschätzt: "Die älteren Trainer können durch ihre Lebenserfahrung ein besseres Coaching hinlegen als ein Neueinsteiger mit 25."
 
Doch nicht überall in der Wirtschaft wird das Alter geschätzt, wie IAT-Experte Martin Brussig weiß: "Ich bin oft erstaunt, wie flexibel und kompromissbereit Ältere bei der Arbeitssuche sind. Aber viele finden trotzdem nichts."
 
 
 

 

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