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Magazin Mitbestimmung

Tarifrunde: „Wir sind mit dem Erreichten sehr zufrieden“

Ausgabe 06/2012

Der IG-Metall-Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Jörg Hofmann, erläutert die neuen Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei Leiharbeit, die in der jüngsten Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie vereinbart wurden.

Jörg Hofmann, noch zehn Tage vor dem Tarifabschluss blockierten die Arbeitgeber die Forderung nach mehr Mitbestimmung bei Leiharbeit. Wie konnten die Bedenken entkräftet werden?
Seit einem Jahr haben wir die Arbeitgeber mit dieser Forderung konfrontiert. Doch sie schalteten auf stur – Ausweitung der Mitbestimmung war für sie ein Tabu. Dieses Tabu haben wir zunächst betrieblich durchbrochen mit unserer Kampagne „Bausteine gegen Prekarität“, bei der wir über 100 Betriebsvereinbarungen und Regelungen zur Leiharbeit durchsetzten. Diese Aktionen waren enorm hilfreich, unsere Forderung bei den Kolleginnen und Kollegen zu verankern. Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, in einer Entgeltrunde qualitative Themen einzubringen, die ein hohes Bewusstsein der Solidarität verlangen. Letztlich entwickelten die massiven Warnstreiks und die glaubhafte Bedrohung mit einem Arbeitskampf den notwendigen Druck, um am Ende zu diesem zu Ergebnis kommen.

Was war für die IG Metall der entscheidende Antrieb, es nicht mehr zulassen zu wollen, dass die Metall- und Elektroarbeitgeber in Sachen Leiharbeit allein schalten und walten?
Die 80 000 Leiharbeiter in Baden-Württemberg waren 2008 die Ersten, die ihren Job verloren. Kaum hatte sich die Krise verzogen, boomte die Leiharbeit in einem unerträglichen Maße wieder und schoss alleine im Südwesten auf die 100 000er-Marke zu. Es gibt bei uns Firmen, die inzwischen einen Anteil von über 20 Prozent Leiharbeiter haben. Wir haben also die groteske Situation: Die Wirtschaft schafft neue Jobs, doch „gute Arbeit“ ist das nicht. Die droht zu verschwinden: Arbeit, von der man leben, seine Familie ernähren kann, bei der man ein tariflich geregeltes Einkommen hat, Aufstiegschancen und Teilhabe am Haben und Sagen im Betrieb durch Mitbestimmung. Was dagegen wächst, ist massenhaft prekäre Arbeit, die Arbeit insgesamt entwertet und ihr die Würde nimmt. Wir sind der Auffassung: Das kann man nicht den Arbeitgebern überlassen. Bis heute entscheidet zu oft alleine der Arbeitgeber, ob und wie viel Leiharbeit im Betrieb stattfindet. Diesen Herr-im-Haus-Standpunkt können und wollen wir nicht länger akzeptieren.

Wie schwer wiegt nach diesem Tarifabschluss die Diskrepanz zwischen Forderung und Ergebnis?
Wir sind mit dem Erreichten sehr zufrieden. Wir haben einen breiten Fuß in einer bis dahin geschlossenen Tür. Aber der Tarifabschluss ist lediglich ein erster Schritt, das Thema wird von uns damit keineswegs zu den Akten gelegt, die Politik ist weiter gefordert und in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen von Leiharbeit grundsätzlich neu zu ordnen. Das betrifft sowohl den Grundsatz „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ wie die Eingrenzung von Befristungsregelungen in Leiharbeitsverhältnissen.

Müssen nun die Arbeitgeber ihre Pläne zum Einsatz von Leiharbeit mit dem Betriebsrat beraten und dessen Zustimmung einholen? Liegt also ein klassischer Fall von echter Mitbestimmung vor?
Es steht jetzt schwarz auf weiß im Tarifvertrag, dass Leihbeschäftigte nur noch eingesetzt werden, wenn klar ist, dass sie die Entgelte, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze der Stammbeschäftigten nicht bedrohen. Und nur zeitlich befristet oder wenn ein Sachgrund vorliegt. Ansonsten kann der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern. Somit wird die Position der Betriebsräte deutlich gestärkt, das Schwert der Mitbestimmung deutlich geschärft.

Wann und wozu darf Leiharbeit eingesetzt werden?
Wenn sie in der Sache begründet und zeitlich befristet ist. Das heißt, wenn zum Beispiel kurzfristig Qualifikationen benötigt werden, die im Betrieb nicht vorhanden sind, wenn es Auftragsspitzen abzuarbeiten gilt oder wenn aufgrund von Krankheit oder Schwangerschaft eine Vertretung notwendig ist. Aber all dies unter dem Vorbehalt: Keine Gefährdung bestehender Arbeitsplätze, kein Ersatz von Dauerarbeitsplätzen durch Leiharbeit. Und es bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Betriebsrats.

Empfiehlt die IG Metall, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, und was kann darin geregelt werden?
Der Tarifvertrag zeigt auf, was in freiwilligen Betriebsvereinbarungen geregelt werden kann. Neben dem „Ob“ betrifft das den Umfang, die Einsatzbereiche, die Dauer und Übernahmeverpflichtung. Und ganz wichtig: Die Höhe der Entgelte, die die Leiharbeitsfirma zu zahlen hat, wenn sie Leiharbeiter in den Betrieb entleiht. Damit kann zumindest betrieblich das Prinzip „Gleiche Arbeit – gleiches Entgelt“ durchgesetzt werden.

Worüber muss die Arbeitnehmervertretung informiert werden?
Arbeitgeber können nicht länger am Betriebsrat vorbei Leiharbeit einsetzen. Der muss regelmäßig über Umfang und Einsatzbereiche von Leiharbeit im Betrieb informiert werden. Und Betriebsräte können vom Arbeitgeber verlangen, dass jede Arbeitsaufgabe, die mit einem Leiharbeiter besetzt wird, vorher innerbetrieblich ausgeschrieben wird, wenn die Einsatzdauer länger als drei Monate ist. Wichtig auch: Betriebsräte haben in Zukunft auch Einsicht in die Entleihverträge.

Im Gegenzug haben die Arbeitgeber mehr Arbeitszeitflexibilität. Immerhin können nun 30 statt 18 Prozent der Beschäftigten 40-Stunden-Verträge haben.
Hierbei wird es vor allem um die Nutzung der vorhandenen tariflichen Flexibilitätsinstrumente wie Arbeitszeitkonten gehen. Wenn Betriebe die neue Option wählen wollen, die Quote der 40-Stünder zu erhöhen, müssen sie im gleichen Umfang auch Vollzeitarbeitsplätze mit reduzierter Arbeitszeit bis zu 30 Stunden anbieten. Es besteht also eine Flexibilisierung in beide Richtungen und das eröffnet interessante Möglichkeiten einer lebensphasenorientierten betrieblichen Arbeitszeitpolitik.

Neu ist, dass nach 18 bzw. 24 Monaten den Leiharbeitern ein Jobangebot gemacht werden muss. Das dürfte nicht viele betreffen?
Das sind mehr, als man auf den ersten Blick erwartet. Viele Leih­arbeiter, gerade in der Automobilindustrie, sind im Frühjahr 2010 an Bord gekommen und hätten diese zeitliche Grenze nun erreicht. Daneben gibt es Betriebe, in denen Leiharbeiter dauerhaft eingesetzt werden – dieser Praxis wird ein Ende gemacht.

Die Feinarbeit im Betrieb bedeutet immer auch Mehrbelastung für die Betriebsräte, wären da nicht mehr Ressourcen nötig?
Mitbestimmung bedeutet Mitverantwortung. Natürlich wären mehr Ressourcen hilfreich, doch sehe ich die dafür notwendigen Hebel derzeit nicht. Also muss man sich im Gremium darum kümmern, dass die Verantwortung nicht bei wenigen hängen bleibt.

Wenn Mitbestimmungsrechte bei Leiharbeit erweitert werden, heißt das gleichzeitig auch: Betriebe ohne Betriebsrat bleiben außen vor. Eine vernachlässigbare Größe?
Nein, aber daher sehen wir auch weiter den Gesetzgeber in der Verantwortung, Leiharbeit neu zu regeln.

Wird es mit dieser tariflichen Vereinbarung in den nächsten zwei Jahren gelingen, Leiharbeit einzudämmen, damit sie nicht zunehmend reguläre Arbeit ersetzt und so die Tarifverträge der IG Metall untergräbt?
Es ist ein erster Schritt, und er wird Wirkung zeigen. Doch es müssen weitere folgen. Die Politik ist gefordert, und wir werden nach wie vor gegen die Auswüchse prekärer Beschäftigung zu Felde ziehen. Denn schon jetzt ist erkennbar, dass die Arbeitgeber das neue Schlupfloch in einer Ausweitung von Werkverträgen suchen.

Ist das jetzt gut oder schlecht, dass die Tarif- und die Betriebspolitik die sozialen Verwerfungen durch Leiharbeit ausbügeln darf?
Tarifpolitik soll und kann nicht alles regeln, wozu der Gesetzgeber Tür und Tor öffnet. Aber wir können dort, wo wir Tarifmächtigkeit haben, Rahmenbedingungen definieren, um die schlimmsten Auswüchse zu mildern. Das haben wir getan. Aber das entlässt keine Regierung aus der Verantwortung, die Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu korrigieren.

Zeitgleich hat die IG Metall mit Zeitarbeitsverbänden einen Tarifvertrag abgeschlossen. Die Arbeitgeberseite hofft, dass damit eine gesetzliche Verpflichtung für Equal Pay vom Tisch ist. Was sagt die IG Metall dazu?
Wir haben mit dieser Regelung längst nicht Equal Pay. Was erreicht wurde, ist, den Leiharbeitern ein paar Euro mehr Verdienst zu organisieren. Das ist unser gewerkschaftliches Selbstverständnis, solange wir uns als Solidargemeinschaft mit eigener Handlungsmacht verstehen. Leiharbeit wird dadurch etwas teurer und somit unattraktiver für alle, die sie als Mittel zur reinen Kostensenkung genutzt haben. Aber es bleibt dabei: Die Politik muss handeln.

Die Fragen stellte Cornelia Girndt / Foto: IG Metall

Zur Person

Jörg Hofmann, 56, hat Ökonomie und Soziologie in Stuttgart, ­Paris und Bremen studiert, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart-Hohenheim und leitet seit 2003 den IG-Metall-Bezirk Baden-Württemberg als Nachfolger von Berthold Huber.

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