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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Wir gehen ins volle Risiko“

Ausgabe 03/2013

Karlheinz Blessing, Vorstandsvorsitzender der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG, über das Auf und Ab der Rohstoffpreise, die Vorteile eigener Minen und Verantwortung in der Rohstoffkette. Das Gespräch führte Cornelia Girndt

Karlheinz Blessing, Sie sind jetzt hier der „Stahltycoon an der Saar“, wie der „Spiegel“ schrieb. Wenn einer vom – montanmitbestimmten – Arbeitsdirektor zum Vorstandsvorsitzenden aufsteigt, das freut doch die Wirtschaftsverbände bestimmt nicht.
In der Wirtschaftsvereinigung Stahl bin ich schon lange genug dabei, um ein persönliches Profil zu entwickeln. Da gab es keine großen Irritationen. Etwas anders war das in den Kreisen, die mich aus eigener Anschauung nicht so gut kannten. Damit kann ich leben. Was nun das Selbstverständnis des Arbeitsdirektors betrifft, habe ich noch nie viel davon gehalten, wenn er im Wettlauf mit den Betriebsräten der bessere Sozialpolitiker sein will. Mein Credo war immer, die betriebswirtschaftlich bessere mit der sozial gerechteren Lösung zu verbinden. Daran hat sich auch in meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender nichts geändert.

Rund die Hälfte der deutschen Unternehmen bezeichnet ihre Rohstoffversorgung als kritisch. Wie verkraften die Dillinger Hütte und Saarstahl das Auf und Ab der Erzpreise?
In der guten alten Zeit, die noch nicht so lange zurückliegt, hatten wir Jahresverträge mit einem festen Preis und damit eine konstante Kalkulationsgrundlage. Heute bildet sich der Preis im laufenden Quartal. Wenn wir jetzt zum Beispiel bei der Dillinger Hütte ein Projekt über Gasleitungen oder Windräder abschließen, dann wissen wir bei Buchung nicht, wie die tatsächlichen Kosten sein werden, wenn der Stahl produziert wird. Und die Ausschläge können gewaltig sein.

Kann man die Verträge nicht über Rohstoffklauseln entsprechend gestalten?
Theoretisch schon, und manchmal wird’s auch gemacht. Aber in einem Markt, wo das Angebot größer ist als die Nachfrage, können Sie nichts durchsetzen. Schon heute schlagen sich die Rohrwerk-Firmen aus aller Welt um Aufträge für die South-Stream-Pipeline. Da können wir natürlich nicht mit Sonderwünschen daherkommen: Ich möchte hier eine Rohstoffklausel und dort eine Indexierung. Wir gehen also ins volle Risiko.

Inwieweit können die großen Rohstoffkonzerne tatsächlich die Preise diktieren?
Seitdem China als Nachfrager aufgetreten ist, wurde alles, was wir bislang kannten, über den Haufen geworfen. Wir haben auf der Nachfrageseite diesen Riesenhunger der Chinesen, die ihre Stahlproduktion enorm vervielfacht haben. Und wir haben auf der Angebotsseite oligopolistische Strukturen mit drei großen Rohstoffkonzernen weltweit. In einer solchen Situation schießen die Preise durch die Decke. Allein in einem eher schwachen Jahr wie 2012 lagen die Peaks bei 180 und bei 94 Dollar, das ist fast 1:2. Wenn wir also mit 95 Dollar kalkulieren sollten und am Ende 180 Dollar pro Tonne Eisenerz zahlen, hat man echt ein Problem.

Gibt es nicht heutzutage gegen alles Versicherungen?

Es kommen zunehmend Leute um die Ecke und bieten Sicherungen in Form von Derivaten und anderen Finanzprodukten an. Die Gefahr ist aber, dass dann der Schwanz mit dem Hund wackelt. Aus anderen Rohstoffbereichen wissen wir, dass der Papierhandel schon weit größer ist als der Handel mit realen Mengen. Das ist eine Horrorvorstellung für uns als Stahlbranche. Dann wird alles noch volatiler und teurer, wenn sich die Spekulanten nun auch noch unserer Rohstoffkette bemächtigen. Zumal wir es in Europa sowieso schon schwer genug haben.

Woher beziehen die Dillinger Hütte und Saarstahl – als im Weltmaßstab eher kleine Unternehmen – Eisenerze und Kokskohle?
Über die Roheisengesellschaft Saar, die ROGESA, beziehen wir Eisenerze aus Brasilien und die Kokskohle aus Australien. Wir kaufen vor allem bei zwei Rohstoffkonzernen, Vale und BHP, das passt vom Transportweg und von der Qualität. Gerade ist so ein Maxi-Vale-Frachter mit 400 000 Tonnen in Antwerpen angekommen, da haben wir auch eine Tonnage drauf. Die geht dann über Rhein, Mosel, Saar zu uns nach Dillingen. Weltmarktpreise können wir nicht beeinflussen, aber wir können durch geschickte Einkaufspolitik – Einkauf auch bei kleineren Gruben, Optimierung bei Lagerhaltung und Transport – ein bisschen spielen. Wenn man dieses System intelligent steuert, kann man schon kostenoptimiert fahren.

Haben demgegenüber Stahlproduzenten mit eigenen Erzvorkommen beträchtliche Vorteile?
Wir haben heute im Weltmaßstab eine ähnliche Entwicklung wie wir sie hier an der Saar und in Lothringen im 17./18. Jahrhundert hatten. Damals hat sich die Stahlproduktion in der Region angesiedelt, weil es das Erz gab und die Kohle. Entsprechend findet das große Wachstum der Flüssigphase heute in Brasilien und Indien statt. Auch die Osteuropäer, insbesondere die Russen, sind kostengünstige Hersteller.

Und China?
Die Wettbewerbsverzerrung kann man eher zwischen denjenigen feststellen, die über eigene Rohstoffe verfügen, und denjenigen, die keine haben. Deshalb sind die Chinesen als Wettbewerber so kostengünstig gar nicht, weil sie ihre Rohstoffe im Wesentlichen zu den gleichen teuren Preisen kaufen müssen wie wir, und sie haben noch dazu die Transportkosten, um auf dem europäischen Markt zu landen.

Heute redet kaum noch einer vom Verlagerungsdruck wegen der Personalkosten – schon gar nicht bei Stahl. Warum eigentlich?
Je teurer die Rohstoffe, desto relativ geringer die Personalkosten im gesamten Kostentableau. Wenn die Rohstoffkosten – ich übertreibe – 90 Prozent der Kosten ausmachen, dann sind die restlichen Prozentchen deutlich relativiert. Dadurch ist der Vorteil der geringeren Personalkosten in den Schwellenländern im Vergleich zu unseren nicht mehr so gegeben, das hat sich etwas entspannt.

Trotzdem, Sie beschreiben die Lage der europäischen Stahlindustrie angesichts stagnierender Märkte eher düster.
Was uns sehr beschäftigt sind die Umwelt- und Energiekosten – das EEG, die geplante Verknappung der CO2-Zertifikate. Man kann nicht ständig draufsatteln. Da muss die Politik höllisch aufpassen. Die denken vermutlich nur an die vergleichsweise bescheidene Zahl von Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie. Faktisch ist aber die ganze industriell produzierende Wertschöpfungskette betroffen, die Weiterverarbeitung und die technologische Entwicklung der Automobilindustrie. Natürlich ist es für den durchschnittlichen Haushalt ein Problem, wenn die Stromkosten durch die EEG-Umlage steigen. Aber dann aus Populismus zu sagen: Belasten wir halt die Industrie!, das ist am Ende auch ins Knie geschossen, wenn die Arbeitsplätze verloren gehen.
 
Ist man im Saarland zufrieden mit der Industriepolitik?
Angesichts der dramatischen Deindustrialisierung wird man die Uhr in einigen EU-Ländern schon nicht mehr zurückdrehen können. Umso wichtiger, dass die Politik die noch existierende industrielle Substanz nicht noch aus Unkenntnis oder Dummheit gefährdet. Es kommt nicht von ungefähr, wenn Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der Voest-Alpine, sagt, Europa könne ihm als Standort den Buckel runterrutschen, er investiere jetzt in den USA, weil dort die Energiekosten nur ein Drittel der hiesigen betragen.

Saarstahl und Dillinger Hütte sind doch sicher von der EEG-Umlage befreit – als energieintensive Industrien?
Nur teilweise. Befreit ist bei uns nur die ROGESA, die Roheisenproduktion. Und die Dillinger Hütte und Saarstahl zahlen nur dort keine EEG-Umlage, wo wir den Strom selbst erzeugen. Am Standort Dillingen recyceln wir zu 100 Prozent. Was bei uns beim Hochofenprozess an Dampf, Hitze, Gasen entsteht, das wandeln wir in Strom um. Dafür investieren wir viel Geld. Nun soll in allen jetzt vorliegenden Vorschlägen zur Strompreisbremse der eigenerzeugte Strom in die EEG-Abgabe einbezogen werden, bei den einen weniger, bei Herrn Trittin zu 100 Prozent. Wenn das geschieht, dann haben wir dreistellige Millionenbeträge in den Sand gesetzt.

Deutsche Konzerne haben sich aus der Rohstoffförderung komplett zurückgezogen. War das ein Fehler?

Ja, das kann man im Nachhinein so sagen. In den frühen 90er Jahren, ich hab das selbst erlebt, lautete die Botschaft der Unternehmensberater: Raus aus der Rückwärtsintegration, Rohstoffe sind eine Commodity, die sind weltweit verfügbar. Die Arbed hat ihre Gruben in Lateinamerika verkauft, ThyssenKrupp seine Beteiligungen an einer Erzmine in Brasilien. Nur einer nicht, die Ispat, die spätere ArcelorMittal. Ich erinnere mich noch, wie ein Unternehmensvertreter in den 90er Jahren auf dem Stahltag sagte: „Ispat-Strategie ist, die ganze Kette zu beherrschen, vom Erz bis zum gewalzten Fertigprodukt.“ Viele hielten das damals für ein wenig sonderbar. Aber die Inder hatten recht. Heute hat ArcelorMittal 50 Prozent Versorgung mit eigenen Erzen. Und die sehr gute Erzmine von ThyssenKrupp in Brasilien gehört der Vale. Die übrigens auch nicht als Oligopolist geboren wurde.

Auch Dillinger Hütte und Saarstahl AG sind über die Holding SHS-Stahl-Holding-Saar Mitglied der 2012 gegründeten Rohstoffallianz GmbH. Was bringt das den beteiligten Unternehmen?
Vor einigen Jahren ist die Bundesregierung von Unternehmensvertretern, aber auch von Gewerkschaftern bedrängt worden, etwas auf dem Rohstoffsektor zu unternehmen. Folge waren die Rohstoffabkommen mit der Mongolei und Kasachstan. Wobei Merkel klarmachte: Als Bundesregierung sorgen wir dafür, dass die politischen Rahmenbedingungen stimmen, und ihr als Wirtschaft müsst schauen, was ihr daraus macht. Es ist nun mal Teil der unternehmerischen Verantwortung, gut einzukaufen.

Ist das eine Einkaufsgemeinschaft?
Nein. Die Rohstoffallianz ist eine intermediäre Organisation zwischen einerseits der staatlichen bzw. interstaatlichen Ebene und einzelnen Unternehmen, die sich dann konkret in bestimmten Rohstoffprojekten engagieren. Das halte ich nicht für falsch. Wobei jeder schauen muss, ob es passt: Erz ist nicht gleich Erz, und Kohle ist nicht gleich Kohle, was wir brauchen, können die Kasachen nicht liefern, aber vielleicht passt es bei anderen.

Die IG-Metall-Vorsitzenden haben eine Initiative – zusammen mit kirchlichen Organisationen – unterzeichnet, „dass Unternehmen bei allen Maßnahmen zur Rohstoffsicherung bestehende menschenrechtliche, arbeitsrechtliche und ökologische Standards einhalten und von Lieferanten verpflichtend einfordern“. Ist diese Verantwortung in der Rohstoffkette überhaupt realistisch?
Unsere Lieferanten wissen: Wir machen keine Geschäfte, die im Verdacht der Korruption stehen, mit Kinderarbeit zu tun haben, mit Drogen, Waffenhandel. All das und mehr steht in unseren Compliance-Richtlinien, und unsere Kunden wollen das auch von uns unterschrieben haben. Das ist Standard unter seriösen Geschäftspartnern. Natürlich können wir nicht wirklich prüfen, ob beim Erzabbau im Innersten Brasiliens nicht ein einheimischer Stamm vertrieben oder Urwald vernichtet wird. Wir holen das Erz ja nicht selbst an der Grube ab. Ich gehe aber davon aus, dass ein Weltkonzern wie die Vale, die an den Weltbörsen notiert und deren Hauptanteilseigner die brasilianische Regierung ist, sich sowas nicht leisten kann.

Was halten Sie von der EU-Transparenzinitiative, die Zahlungsströme im Rohstoffsektor offenlegen will, damit Korruption und Bürgerkriege nicht munter weiter finanziert werden?
Ich habe nichts dagegen, zumal wir eher davon profitieren würden. Wir reklamieren für uns auch „Fair Trade“, wenn wir unsere Produkte liefern. Generell gilt doch: Wegen unserer Compliance können wir manche Geschäfte nicht machen, die andere aber machen dürfen. Wenn die Standards verschärft werden, haben wir damit bestimmt keine Probleme. 

Zur Person

Karlheinz Blessing, 55, verblüfft durch Einzigartigkeit. Er schaffte 2011 den Sprung vom Arbeitsdirektor der AG der Dillinger Hüttenwerke zum Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens, ein Jahr später übernahm er auch noch die Führung des Schwesterunternehmens, der Saarstahl AG. Seitdem ist Blessing – im Medienjargon – der „Stahlboss an der Saar“. Einer, der Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften kann. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler war IG-Metall-Spitzenmann, dann SPD-Generalsekretär, ehe er 1994 als Arbeitsdirektor ins Saarland ging zum drittgrößten deutschen Stahlkocher, der Dillinger Hütte, einem altehrwürdigen Unternehmen. Die Urkunde, mit der 1685 der französische König Ludwig XIV. die Genehmigung zur Errichtung einer Eisenhütte erteilte, liegt im Safe des Vorstandsvorsitzenden. Der warnt heute die Politik davor, der Industrie nicht immer neue Auflagen draufzusatteln, blickt aber auch optimistisch in die Zukunft. Die Dillinger Hütte macht den dicksten Stahl, das prädestiniert für den Bau von Offshore-Windkraftanlagen. Die beiden großen saarländischen Stahlunternehmen, die Blessing führt, sind wechselweise verschachtelt, regional verankert und global vernetzt. Hauptanteilseigner ist die private Industriestiftung Montan-Stiftung-Saar; eine 30-Prozent-Beteiligung an der Dillinger Hütte hält der indische Stahlgigant Arcelor­Mittal, von dem drei Manager im montanmitbestimmten Aufsichtsrat mit über die Firma wachen. Nicht zuletzt ist Karlheinz Blessing auch der Hans-Böckler-Stiftung verbunden: Seit 2005 ist er im Vorstand, ein Amt, das er bereits aus den Jahren 1987 bis 1991 kennt, damals als rechte Hand von Franz Steinkühler. 

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