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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Wir brauchen mehr internationale Vertretung“

Ausgabe 09/2012

Valter Sanches von der brasilianischen Gewerkschaft CNM/CUT sitzt im Aufsichtsrat von Daimler. Im Interview spricht er über seine Erfahrung mit der Mitbestimmung, seine Zusammenarbeit mit der IG Metall und die nötige Gewerkschaftsreform in seinem Heimatland.

Valter Sanches, was ist das Hauptziel des Besuchs in Deutschland?
Wir haben über 30 brasilianische Kolleginnen und Kollegen hierhergebracht, das ist eine große Bildungschance für sie. Sie besuchen Unternehmen von Mahle, Mercedes oder ThyssenKrupp und Mannesmann, damit sie sehen wie hier produziert wird, wie die Kultur ist und Kontakte zu den deutschen Gewerkschaftskollegen und Betriebsräten bekommen.  Denn in Brasilien müssen sie jeden Tag mit den Mangern dieser deutschen Konzerne verhandeln.

Als internationaler Sekretär der CNM/CUT sind Sie auch zuständig für die internationalen Arbeitnehmernetzwerke. Wie laufen die in den brasilianischen Tochterunternehmen?
Bei Bosch und Mahle sind sie noch im Aufbau. Dagegen sind wir bei ThyssenKrupp und ZF dabei, eine betriebliche Vertretung zu schaffen. Bei der Firma Grob, Brose und Nagel gab es Probleme, sie haben Gewerkschaftsführer entlassen und die Polizei bei einer Demo vor dem Werkstor gerufen.  Auch in den deutschen Unternehmen müssen wir als Gewerkschaft um Arbeitsschutz und Löhne kämpfen, wobei die Zulieferer die meisten Probleme machen. Aber generell sind die deutschen und europäischen Unternehmen die besseren Arbeitgeber als die amerikanischen oder die japanischen.

Wie war das, als Sie 2007 in den Aufsichtsrat der Daimler-AG eingezogen sind?
Eine neue Welt für mich, aber eine wichtige Erfahrung. Nun weiß ich, wie die Entscheidungsprozesse im Konzern laufen, welche Rolle der Konzernvorstand hat, welche der Aufsichtsrat.

Ist das auch den Arbeitern von Mercedes do Brazil klar?
Als ich 2008 erstmals in den Aufsichtsrat gewählt wurde, meinten einige Leute in der Mercedes-Belegschaft in Sao Bernardo do Campo,  ich hätte die Autorität, ihren ungeliebten Chef zu entlassen. Ich konnte ihnen vermitteln, was ich im Daimler-Aufsichtsrat gelernt hatte: Zur Mitbestimmung gehört immer auch gewerkschaftliche Kraft. Nichts wird den Arbeitnehmern geschenkt: immer muss man organisieren, kämpfen und verhandeln. Denn die Unternehmen verhalten sich von sich aus nicht ethisch. Sie tun es nur, wenn Sie von den Arbeitnehmern dazu gezwungen werden.

Einer Ihrer Vorgänger, der Vize der amerikanischen UAW Nate Gooden, hat einmal im Aufsichtsrat mit dem Leitenden Angestellten und gegen die Arbeitnehmehmerseite gestimmt. Könnte das wieder passieren?
Nein! Das war katastrophal. Ich habe ein Mandat auf der IG-Metall-Liste und bin voll integriert. Wir, die CNM-CUT und die IG Metall, haben auch mehr Affinität, ich glaube, das war das Problem. Ich habe regelmäßig Kontakt zu meinen Aufsichtsrats-Kollegen Erich Klemm und Thomas Klebe, wir machen Telefonkonferenzen, ich nehme an den Arbeitnehmervorbesprechungen teil. 

Sie sagen von sich, „Ich bin eine weiße Fliege im Aufsichtsrat“, mithin eine Rarität. Sollte es mehr internationale Vertreter wie Sie in deutschen Aufsichtsräten geben?
Ich weiss, die Arbeit im Aufsichtsrat ist anspruchsvoll und die Gesetzeslage ist schwierig. Trotzdem sage ich: Wir brauchen mehr internationale Vertretung der Arbeitnehmerinteressen. Die Firma Mahle hat 12.000 Mitarbeiter in Brasilien und 9.000 in Deutschland - und trotzdem gibt es im Aufsichtsrat nicht ein einziges Mandat für einen Brasilianer.  

Wissen die Kollegen an den brasilianischen Standorten von Mercedes jetzt besser Bescheid über die Unternehmensstrategien von Daimler, seitdem Sie im Daimler-Aufsichtsrat sind?
Sicher, wir haben mehr Einfluss auf Investitionen in Brasilien. Das Mercedes-Werk in Juiz de Fora, das früher die A-Klasse produzierte, war nicht ausgelastet und sollte geschlossen werden. Wir haben letztlich erfolgreich dafür gekämpft, dass da andere Produktion hinkommt in dieses Werk und heute werden dort Lkws produziert, die in Brasilien einen starken Marktanteil haben. Außerdem haben wir erreicht, dass auch die brasilianischen Werke,  Komponenten für die neuen Joint-Ventures in Indien und China liefern - das ist für alle Arbeitnehmer im weltweiten Konzern gleichermaßen wichtig, damit sich nicht die Werke gegenseitig kanibalisieren.

Die großen Investitionen von Daimler sind jetzt in China und Indien, nicht in Brasilien.   
Brasilien ist doch kein neuer Markt. Mercedes produziert seit 1956 in Brasilien und in den letzten Jahren wurde dort viel investiert.  Daimler soll doch in neue Geschäfte und Märkte investieren. Absolut dagegen sind wir Arbeitnehmervertreter nur, wenn der Daimler-Konzern ein neues Werk eröffnet und im Gegenzug eines schließt.

Sie sind nicht das erste Mal in Deutschland.
Ich bin alle zwei Monate hier, 1993 war ich das erste Mal in Deutschland, um die produktiven Vorteile der Gruppenarbeit kennen zu lernen. Die wollten die Manager damals auch in den brasilianischen Mercedes-Werken einführen, wir Gewerkschafter waren eher dagegen, sagten aber:  „Wenn ihr uns die Reise bezahlt, dann können wir uns das ja mal in Deutschland anschauen“. Also kamen wir hierher, besichtigten Mercedes-Werke, sprachen mit Managern und lernten Kollegen von der IG Metall kennen, mit denen wir heute noch Kontakt haben. Das hat unsere Sichtweise stark verändert.

Die CUT will die Gewerkschaftsgesetze in Brasilien reformieren. Warum kommen die Reformen nicht voran?
Bei uns kann jeder eine Kleinst-Gewerkschaft gründen, das ist ein einträgliches Geschäft ohne Risiko, denn jeder Arbeitnehmer muss bei uns eine Gewerkschaftssteuer bezahlen von einem Arbeitstag pro Jahr. Wir müssen dieses System reformieren, aber es ist sehr schwer, weil viele davon profitieren.  

Kann die CUT nicht ihren Einfluss auf die regierende PT, die Arbeiterpartei, geltend machen?  
Unsere Strategie ist: Wir wollen eine gesetzliche Grundlage für eine innerbetriebliche Organisation, das heißt, wir wollen in Brasilien so etwas wie einen Betriebsrat. Und wir wollen ein Gesetz, das nationale Tarifverhandlungen ermöglicht.  

Die Fragen stellte Cornelia Girndt / Foto: Michael Schinke
 

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