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: Wer nicht investiert, verliert

Ausgabe 09/2007

INDUSTRIEARBEIT Die IG Metall zeigt zerstörerische Wirtschaftspraktiken auf und setzt Eckpunkte für eine Branchenpolitik bei den Automobilzulieferern.

Von BERTHOLD HUBER, zweiter Vorsitzender der IG Metall. Auszüge seiner Rede auf der Konferenz von Böckler-Stiftung, IG Metall und IG BCE zu "Zukunftsperspektiven für die Automobilzulieferindustrie" am 14./15. Juni in Berlin.

Die Automobilindustrie ist die wichtigste industrielle Schlüsselbranche in Deutschland und die Zuliefererindustrie ist der Job-Motor der Branche. Alarmierend ist die rückläufige Investitionsquote vieler Zulieferer. Offenbar ist ein relevanter Teil der Unternehmen nicht mehr in der Lage, erforderliche Investitionen zu schultern.

Es ist paradox: Auf der einen Seite bestehen in den nächsten Jahren die größten Wachstumschancen für die deutsche und europäische Autozulieferindustrie, auf der anderen Seite fehlen oft die finanziellen Ressourcen, um an diesem Wachstum teilhaben zu können. Vor diesem Hintergrund appellieren die IG BCE und die IG Metall an alle Akteure in diesem Industriesektor: Lassen Sie uns eine gemeinsame Offensive starten!

Wir wollen die Innovationsführerschaft ausbauen, die deutschen Standorte sichern und wieder eine positive Beschäftigungsentwicklung in Gang setzen. Die Grundlagen sind da: Wir haben den Dialog mit dem Verband der deutschen Automobilindustrie, dem VDA, auf einem sachlichen und konstruktiven Niveau wieder aufgenommen - im Sinne der gemeinsamen Verantwortung für diese Branche.

Die Probleme sind vielfältig: Sie reichen vom härter werdenden globalen Wettbewerb, dem Kosten- und Preisdruck der Hersteller über den Anstieg der Materialpreise bis hin zum Verhalten von Banken und Finanzinvestoren. Zudem hat sich der Wettbewerb durch global agierende Zulieferkonzerne dramatisch verschärft. Mit neuen Zulieferwerken, insbesondere in Mittel- und Osteuropa, wird enormer Druck auf die hiesigen Standorte ausgeübt.

Von den Zulieferern wird ein immer größeres Leistungsspektrum gefordert, Entwicklungsvorleistungen werden erwartet, aber nicht adäquat entgolten. Nur wenige in der Branche gehen partnerschaftlich mit ihren Lieferanten um. Eine Reihe von Automobil-Herstellern verlangt immer neue Zugeständnisse: Sehr beliebt sind Einstiegszahlungen - teilweise in Millionenhöhe -, ohne die man keinen Vertrag bekommt. Ähnliche Praktiken existieren bei der Vergabe von Nachfolgeaufträgen. Gerade in den letzten Wochen sind Fälle bekannt geworden, wo vertraglich vereinbarte Preise einseitig gekürzt wurden und diese Beträge einfach einbehalten werden.

Der Zulieferer kann entweder zähneknirschend akzeptieren oder verhängt einen Lieferstopp. Allerdings ist er dann in der Regel die längste Zeit Lieferant gewesen! Einige Hersteller sind sogar dazu übergegangen, einen definierten Anteil des Lieferbezuges aus Niedriglohnländern zu verlangen. Dabei legen sie die entsprechenden Preisabschläge gleich zugrunde. Sie verlangen das auch dann, wenn der Zulieferer dieses Auslandsengagement für nicht sinnvoll oder zu riskant hält.

Hier wird Marktmacht zur Erpressung eingesetzt oder eindeutig Vertragsbruch begangen. Es ist nicht hinnehmbar, dass von einigen Herstellern derart in die Unternehmensentscheidungen selbstständiger Firmen eingegriffen wird und Verträge keine verlässliche Handlungsgrundlage mehr darstellen! Als erste Gegenmaßnahme müssen wir die "Mauer des Schweigens", die um solche Vorgänge gezogen wird, unbedingt brechen.

Die schwierige finanzielle Situation vieler Zulieferer liegt aber auch am Kapitalmangel. Einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau zufolge sind im Jahr 2005 gut die Hälfte aller Mittelständler, unter ihnen viele Autozulieferer, bei Verhandlungen über einen Investitionskredit gescheitert.

Ganz andere Risken ergeben sich aus den Geschäftspraktiken vieler Finanzinvestoren, die hohe Renditen von jährlich über 20 Prozent zu erzielen versuchen - zurück bleibt in der Regel ein verschuldetes oder zerschlagenes Unternehmen mit einer demotivierten Belegschaft. Einigen deutschen Automobilzulieferunternehmen, in die Private-Equity-Fonds eingestiegen waren, geht es extrem schlecht, beispielsweise Honsel, TMD und Kiekert.

Hedge-Fonds gehen mit den Firmen noch aggressiver um, wie der Fall des Automobilzulieferers Schefenacker zeigt. Dort hatten Hedge-Fonds Kredite des Unternehmens aufgekauft und extrem hohe Zinsen verlangt. Sie haben so die Krise verschärft und die Firma an den Rand der Insolvenz getrieben.

Über politischen Druck im Aufsichtsrat und die Mobilisierung der Gewerkschaftsmitglieder ist es in einigen Betrieben gelungen, die Finanzinvestoren zu "zivilisieren". Das funktioniert aber nur dort, wo wir stark und gut organisiert sind. Zum Schutz der Belegschaften und zur langfristigen Zukunftssicherung brauchen wir darüber hinaus dringend eine Erweiterung des gesetzlichen Anspruchs auf Unterrichtung und Beteiligung des Betriebsrates in diesen wichtigen Fragen.

Wir stellen fest: Durch die kurzfristige Orientierung auf Gewinnabschöpfung und höchste Renditen wird in vielen Fällen mit einer beispiellosen Gier heute das konsumiert, was eigentlich als Investition in die Zukunft notwendig wäre! Die Zeche für diese verfehlte Politik zahlen vor allem die Belegschaften, an die dieser gewaltige Druck unmittelbar weitergereicht wird. Wir müssen diese Abwärtsspirale durchbrechen!

In diesem Sinn schlagen wir auf dieser Konferenz von IG Metall und IG BCE ein Vier-Punkte-Programm vor, das es gemeinsam umzusetzen gilt: Wir brauchen verbesserte Finanzierungsgrundlagen für Innovation und Wachstum. Innovationsbereitschaft von Unternehmen wird derzeit weder belohnt noch ausreichend gefördert. Die Steuerpolitik bestraft den Mittelständler, wenn er einbehaltene Gewinne reinvestiert.

In dem 2008 geplanten Gesetz muss die Praxis des Bundesfinanzministeriums rückgängig gemacht werden, Private-Equity-Firmen als "vermögensverwaltende Einheiten" zu betrachten und von der Gewerbesteuer zu befreien. Die Bereitstellung von langfristig angelegtem Risikokapital sollte hingegen steuerlich begünstigt werden. Darüber hinaus brauchen wir einen verbindlichen Verhaltenskodex für Finanzinvestoren. Wir brauchen ein partnerschaftliches Verhältnis von Herstellern und Zulieferern für mehr Innovationsdynamik.

Wir brauchen eine Stärkung der Innovationskraft auf der betrieblichen Ebene statt purer Kostensenkung und vorschneller Verlagerung. Mit der Modernisierungsoffensive "Besser statt billiger" gehen wir zusammen mit unseren Betriebsräten auf die Unternehmen zu, um mit mehr Innovationen und besseren Lösungen erfolgreich Arbeitsplätze an den Standorten zu sichern und zu schaffen.

Wir brauchen Initiativen zur Innovationsführerschaft bei Verbrauch, Umweltschutz und Sicherheit. Die deutsche Automobilindustrie hat in vielen Bereichen schon heute die Innovationsführerschaft. Die Automobilzulieferer sind dafür wichtige Kooperationspartner, um etwa die Energieeffizienz weiter zu verbessern: Die Zulieferindustrie hat das Know-how und das Potenzial für Spitzenlösungen. Was sie braucht, sind innovationsförderliche Rahmenbedingungen und finanzielle Mittel.