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Unternehmer bleiben in Deutschland fast immer straffrei, wenn sie Wahl und Arbeit von Betriebsräten hintertreiben. Magazin Mitbestimmung

Von JOACHIM F. TORNAU: Wer Betriebsräte sabotiert, muss kaum Strafen fürchten

Ausgabe 03/2018

Thema Neue Zahlen zeigen, dass Unternehmer fast immer straffrei bleiben, wenn sie Wahl oder Arbeit von Betriebsräten hintertreiben. Für die Gewerkschaften heißt die Lösung: Schwerpunktstaatsanwaltschaften mit mehr arbeitsrechtlicher und betrieblicher Kompetenz.

Von JOACHIM F. TORNAU

Man könnte sogar im Gefängnis landen. Theoretisch. Wer Betriebsratswahlen behindert oder beeinflusst, wer die Arbeit der gewählten Gremien stört, wer einzelne Mitglieder benachteiligt oder begünstigt, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Oder zumindest eine Geldstrafe. So steht es in § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes.

Unternehmer, die mit der Mitbestimmung auf Kriegsfuß stehen, lassen sich davon allerdings ganz offensichtlich nicht abschrecken: Nach einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung wurden zwischen 2013 und 2015 allein im Organisationsbereich von IG Metall und IG BCE fast 140 Neugründungen von Betriebsräten behindert. Kandidaten wurden eingeschüchtert oder gleich gefeuert, die Bestellung des Wahlvorstands sabotiert oder arbeitgebernahe Bewerber durchzusetzen versucht. Nicht selten mit Hilfe einschlägig spezialisierter Anwaltskanzleien. Einzelfälle sehen anders aus.

Die Sanktionsdrohung im Betriebsverfassungsgesetz wird von den Gewerkschaften schon lange als „stumpfes Schwert“ kritisiert. Recherchen des Magazins Mitbestimmung zeigen, wie selten es zu Sanktionen kommt.  Nach der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts wurden in den zehn Jahren von 2007 bis 2016 bundesweit 63 Frauen und Männer angeklagt wegen „Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder“ – so die offizielle Überschrift von § 119.

Verurteilt wurden gerade einmal elf von ihnen. Also rund einer pro Jahr. Ausnahmslos verhängten die Gerichte dabei Geldstrafen. Und nur ein einziges Mal überschritt deren Höhe die Grenze von 90 Tagessätzen, ab der ein Verurteilter als vorbestraft gilt.

Es gibt wohl kaum einen anderen Straftatbestand, bei dem mehr als 80 Prozent der Angeklagten auf Freispruch oder Verfahrenseinstellung hoffen können. Aber das ist noch nicht alles. Denn das Gros der Strafanzeigen führt gar nicht erst zu einer Anklage.

Das Magazin Mitbestimmung hat die Generalstaatsanwaltschaften in allen Bundesländern nach der Zahl der Ermittlungsverfahren gefragt, die in den vergangenen Jahren wegen § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes eingeleitet worden sind. Nur in zwölf Ländern sahen sich die Anklagebehörden zu einer Beantwortung in der Lage. Doch schon was sie zurückmeldeten, summiert sich auf durchschnittlich rund 50 Ermittlungsverfahren im Jahr.

Mit Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg, die keine Zahlen zu liefern vermochten, dürften noch einmal rund 25 Verfahren hinzukommen. Jedenfalls wird im Durchschnitt aller Delikte jeder dritte Strafprozess in Deutschland in diesen vier Ländern geführt.

Kompliziert wird es durch die berühmte Dunkelziffer, denn in fast allen Justizstatistiken wird allein der Tatvorwurf mit der höchsten Strafandrohung erfasst. Das heißt, bei der Suche nach §-119-Verfahren bleiben solche Verfahren unsichtbar, bei denen gleichzeitig wegen eines schwererwiegenden Vorwurfs wie etwa Nötigung ermittelt wurde.

Ein Urteil auf 50 Ermittlungen

Es bleiben also Unwägbarkeiten. Aber auch wenn man lediglich nimmt, was zweifelsfrei feststeht, ist die Kluft, die sich zwischen Strafanzeigen und Verurteilungen auftut, mindestens erstaunlich. Um es noch einmal zusammenzufassen: Auf mehr als 50 eingeleitete Ermittlungen kommt statistisch eine einzige Verurteilung. „Arbeitgeber müssen nicht ernsthaft befürchten, belangt zu werden – das ist ein Skandal“, sagt WSI-Forscher Martin Behrens.

„Die Vermutung liegt nahe, dass auch deshalb nicht öfter Strafanzeige gestellt wird.“ Laut der eingangs erwähnten Studie, die der Soziologe zusammen mit seinem Kollegen Heiner Dribbusch vorgelegt hat, setzen Betriebsräte nur in knapp acht Prozent der Fälle auf das Strafrecht, um sich gegen Schikanen und Störmanöver des Arbeitgebers zu wehren.

Betriebsratsbehinderung ist ein Antragsdelikt: Ohne Strafanzeige dürfen die Staatsanwaltschaften nicht aktiv werden. Gestellt werden kann eine solche Anzeige außer von den Arbeitnehmervertretungen selbst bloß noch vom Wahlvorstand, von einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft sowie, so sonderbar das anmuten mag, vom Unternehmer. Keine kleine Hürde, wie sich aus den Rückmeldungen der Generalstaatsanwaltschaften ergibt: Immer wieder werden Ermittlungsverfahren schon deshalb eingestellt, weil der Strafantrag nicht den Anforderungen genügt.

Wie man es besser machen kann

Die Gewerkschaften fordern daher, aus dem Antrags- ein Offizialdelikt zu machen, also eine Straftat, die wegen ihrer Schwere von Amts wegen verfolgt werden muss. „Das allein reicht aber nicht“, meint Ralf-Peter Hayen, Rechtsexperte beim DGB-Bundesvorstand. Oftmals mangele es bei den Anklagebehörden an der nötigen arbeitsrechtlichen Kompetenz und Sensibilität für das Arbeitsleben. Zusammen mit der notorischen Arbeitsüberlastung der Justiz trage dies zur Einstellung der allermeisten Verfahren bei.

„Strafrechtler haben oftmals keine wirklichen Erfahrungen, was die Interessengegensätze und das Machtungleichgewicht in den Betrieben angeht“, sagt Hayen. „Straftaten gegen Betriebsräte werden deshalb häufig nicht mit dem gleichen Nachdruck verfolgt wie Straftaten gegen öffentliche Amts- und Mandatsträger.“ Um das zu ändern, plädieren die Gewerkschaften für die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, besetzt mit speziell geschulten Juristen, die ein Bewusstsein für die Bedeutung von Arbeitnehmervertretungen haben. „Interessenvertretung“, unterstreicht Hayen, „darf in der Demokratie nicht ungestraft unter Beschuss stehen.“

Die Politik kümmert sich nicht

In der Politik treffen die Gewerkschaften damit freilich nicht auf allzu offene Ohren. Zwar hat die SPD die Forderungen in ihr Wahlprogramm zur Bundestagswahl aufgenommen, im schwarz-roten Koalitionsvertrag aber kommt das Thema nicht vor. In Nordrhein-Westfalen wurden zwischen 2015 und 2017 insgesamt 47 Ermittlungsverfahren wegen Betriebsratsbehinderung eingeleitet – so viele wie nirgends sonst in Deutschland. Doch nicht ein einziges davon führte bislang zu einer Verurteilung. Doch auf eine entsprechende kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Serdar Yüksel teilte die schwarz-gelbe Landesregierung Anfang März ungerührt mit: Straftaten nach § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes könnten „mit den geltenden Regeln des Strafgesetzbuches angemessen sanktioniert“ werden.

Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, Galionsfigur des CDU-Arbeitnehmerflügels, äußert sich auf Anfrage des Magazins Mitbestimmung differenzierter: Wenn die neue Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, Betriebsratsgründungen erleichtern wolle, müsse sie auch für eine „wirkungsvolle Sanktionierung“ von Behinderungen sorgen. „Zur Erhöhung des Abschreckungseffekts sollte geprüft werden, ob künftig bereits der Versuch einer Behinderung unter Strafandrohung gestellt werden kann“, sagt Laumann. Er wolle deshalb bei den anderen Ländern vorfühlen, ob ein solcher Vorstoß auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im Herbst eine Mehrheit finden würde. „Wenn ja, wird NRW diesen Antrag stellen.“

Im schwarz-grün regierten Hessen – 23 Verfahren zwischen 2015 und 2017, ebenfalls keine Verurteilung – erklärt sich das Sozialministerium auf Anfrage des Magazins Mitbestimmung pauschal für unzuständig: Das Betriebsverfassungsgesetz sei ja ein Bundesgesetz. Und in Sachsen-Anhalt – mit 14 Verfahren, von denen immerhin zwei in Strafbefehle mündeten, bundesweit auf Rang drei der Länder, aus denen Zahlen vorliegen – kann man mit der Frage erst einmal gar nichts anfangen: Das SPD-geführte Sozialministerium verweist auf das CDU-geführte Justizministerium, das wiederum wissen lässt, man habe „zum Thema Betriebsratsarbeit keine Erkenntnisse und auch keinen Meinungsbildungsprozess“, und zurück ans Sozialministerium verweist, das dann doch antwortet. „Veränderungsbedarf wird hier nicht gesehen“, heißt es. Die Umwandlung in ein Offizialdelikt lehne man ab, weil die Beteiligten selbst entscheiden sollten, ob sie den Weg über ein Strafverfahren gehen wollen. Schließlich sei eine Strafanzeige die „Ultima Ratio“.

Natürlich wollen auch die Gewerkschaften nicht, dass jeder Konflikt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in ein Strafverfahren mündet. „Der Betriebsfrieden wird durch eine Bestrafung ja nicht wieder hergestellt“, sagt Michael Bolte, Referent für betriebliche Mitbestimmung beim DGB-Bundesvorstand. Neben einem wirkungsvolleren Strafrecht für die harten Fälle und einer besseren Rechtsdurchsetzung  fordern die Gewerkschaften deshalb auch Maßnahmen, die früher ansetzen – wie einen besseren Kündigungsschutz für die Initiatoren einer Betriebsratswahl. Die Tatsache, dass Beschäftigte, die eine Arbeitnehmervertretung gründen wollen, gerade in der schwierigen Anbahnungsphase vor der ersten Wahleinladung ungeschützt sind, wird von übelwilligen Arbeitgebern gerne ausgenutzt.

Wie will man verhindern, dass es überhaupt zu Betriebsratsbehinderungen kommt? Mehr Verurteilungen könnten, so paradox es zunächst klingen mag, auch dazu einen Beitrag leisten. „Bislang muss man sich als Arbeitgeber schon unheimlich dämlich anstellen, damit der 119er greift“, sagt Bolte. Wären strafrechtliche Konsequenzen dagegen nicht mehr die rare Ausnahme, würde das in mancher Chefetage sicher zum Nachdenken führen – und zur Mäßigung. Von „generalpräventiver Wirkung“ pflegen Juristen zu sprechen. Man kann auch sagen: Abschreckung.

NRW: KLEINE ANFRAGE IM LANDTAG

In Nordrhein-Westfalen wurden nach einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Serdar Yüksel  in mindestens 28 verschiedenen Branchen Ermittlungen wegen Betriebsratsbehinderung eingeleitet – von der Chemie- und Metallindustrie über Einzelhandel und Dienstleistungsgewerbe bis zu Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs. Betroffen waren Kleinbetriebe mit 20 Beschäftigten ebenso wie Großunternehmen mit mehr als 10.000 Arbeitnehmern.

Illustration: SIGNUM communication, Mannheim

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