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Felicitas Thiel, Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz u. Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Weniger Teilzeit für Lehrkräfte?

Ausgabe 02/2023

„Ja“, sagt Felicitas Thiel, Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz. „Nein“, sagt Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

JA. Der Lehrkräftemangel bedroht die Lebenschancen einer ganzen Generation. Kein Faktor hat eine ähnliche Bedeutung für den Lernerfolg von jungen Menschen wie eine gut qualifizierte Lehrkraft, insbesondere wenn sie zu Hause nicht oder nur wenig unterstützt werden. Der Bedarf an Lehrkräften wird derzeit vor allem mit schlecht qualifizierten Seiteneinsteigern, Vertretungslehrkräften oder Studierenden (zunehmend Bachelorstudierenden) gedeckt. Diese Entwicklung muss angesichts der hohen Zahl von Schülerinnen und Schülern, die die Mindeststandards nicht erreichen, mit großer Sorge betrachtet werden.

Da der Gewinnung von Lehramtsstudierenden demografiebedingt Grenzen gesetzt sind, stellt sich die Frage, wie – neben der Eröffnung eines zweiten Weges ins Lehramt – die knappen Ressourcen der gut qualifizierten Lehrkräfte im System besser genutzt werden können. Hier gibt es verschiedene Ansätze: Entlastung von Verwaltungstätigkeiten, freiwillige Weiterarbeit von Pensionierten, Arbeitszeitkonten, Heraufsetzung der Altersgrenze für Altersabminderungsstunden, die in manchen Ländern schon ab dem 55. Lebensjahr gewährt werden, oder eben auch weniger Teilzeit. 

Es gibt nicht die eine Maßnahme, mit der sich das Problem lösen lässt. In den ostdeutschen Ländern ist die Teilzeitquote relativ niedrig, eine Stundenaufstockung bringt dort deshalb weniger als in Ländern, in denen die Teilzeitquote über 50 Prozent liegt. Die Politik sollte in jedem Bundesland mit den Lehrerverbänden ein Maßnahmenpaket verabreden. Jede Stunde, die von einer qualifizierten Lehrkraft unterrichtet wird, zählt.

Felicitas Thiel, Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz



NEIN. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz ignoriert mit ihrem Vorstoß, die Teilzeitmöglichkeiten der Lehrkräfte einzuschränken, die Gründe, warum Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit arbeiten.

Viele Lehrkräfte arbeiten bereits jetzt am Limit – und oft weit darüber hinaus, wie zahlreiche Arbeitszeitstudien belegen. Die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung ist viel zu hoch. Die Lehrkräfte stehen unter enormem Druck, der unter anderem durch den Fachkräftemangel, die Coronapandemie und die Integration von mehr als 200 000 Schülerinnen und Schülern, die aus der Ukraine geflüchtet sind, zusätzlich verschärft wird. Zahl und Dauer der Krankmeldungen sind besorgniserregend – ein deutliches Zeichen für die zunehmende Überlastung in den Schulen. Mit anderen Worten: Viele Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit, weil sie ihren Beruf in Vollzeit gar nicht durchhalten würden. Zudem wollen viele Lehrerinnen und Lehrer – das gilt insbesondere für die junge Generation – Arbeit und Care-Arbeit geschlechtergerecht miteinander verbinden, Familie und Beruf unter einen Hut bekommen.

Das Risiko, diese Lehrkräfte zu verlieren, wenn man ihre Teilzeitmöglichkeiten beschneidet, ist sehr groß. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer müssen deutlich
verbessert werden, um wieder mehr junge Menschen für diesen eigentlich wunderbaren Beruf zu gewinnen und diejenigen, die jetzt in den Schulen arbeiten, zu zufriedenen Beschäftigten zu machen.

Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

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