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Magazin Mitbestimmung

Grußworte: Was kritische Wegbegleiter sagen

Ausgabe 03/2016

Warum Mitbestimmung eine Zukunft hat – Statements zum 40. Jubiläum des Mitbestimmungsgesetzes

Sigmar Gabriel

SPD-Vorsitzender und Bundeswirtschaftsminister

40 Jahre Mitbestimmungsgesetz sind eine gesellschaftliche und ökonomische Erfolgsgeschichte. Die Mitbestimmung hat entscheidend dazu beigetragen, dass unser Land wirtschaftlich so erfolgreich ist und wir viele Strukturumbrüche meistern konnten. Die Mitbestimmung im Unternehmen und im Betrieb ist eine wesentliche Grundlage unserer Gesellschaftsordnung. Sie ist Ausdruck unserer Vorstellung von Wirtschaftsdemokratie. Die Interessen der Menschen müssen im Vordergrund sozial verantwortbaren Wirtschaftens stehen, nicht kurzfristige Gewinninteressen.

Mitbestimmung erfüllt die Forderung des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet.“ Deshalb will die SPD die Mitbestimmung in Unternehmen nicht nur erhalten, sondern ausbauen. Wir wollen den Schwellenwert für die paritätische Mitbestimmung auf 1000 Beschäftigte senken. Das deutsche Mitbestimmungsrecht muss auch auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform mit Sitz in Deutschland erstreckt werden. Auf der europäischen Ebene müssen Schlupflöcher, wie sie etwa bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) genutzt werden können, geschlossen werden. Neue Möglichkeiten der Umgehung der deutschen Mitbestimmung durch europäische Rechtsformen dürfen gar nicht erst zugelassen werden. Für uns ist klar: Wir wollen mehr Demokratie im Betrieb.

Sabine Bauer

Stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats sowie Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Adidas AG

Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist ein wichtiger Teil guter Unternehmensführung, ein Stück gelebte Demokratie. Das Mandat bei Adidas ermöglicht uns einen tiefen Einblick in unterschiedliche Themenfelder und bietet Zugang zu vielen vertraulichen Informationen. Die Arbeitnehmervertreter leisten durch ihr Insiderwissen wertvolle Beiträge und können so zusammen mit dem Vorstand und den Vertretern der Anteilseigner die strategische Unternehmensentwicklung begleiten und unternehmerische Entscheidungen mit vorbereiten. 

Mitbestimmung im Aufsichtsrat bedeutet für uns, die Zukunft aktiv und verantwortungsbewusst mitzugestalten, um Kontinuität und Erfolg des Unternehmens und seiner Belegschaft nachhaltig zu sichern – auch mit Blick auf all die Chancen und Herausforderungen, die die Arbeitswelt von heute und morgen mit sich bringt. Herzlichen Glückwunsch zum 40. Geburtstag! 

Reinhard Kardinal Marx

Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

In der Magna Charta der katholischen Soziallehre, der vor 125 Jahren von Papst Leo XIII. veröffentlichten Sozialenzyklika „Rerum novarum“, findet sich ein für die damalige Zeit bemerkenswerter Satz: „So wenig das Kapital ohne die Arbeit, so wenig kann die Arbeit ohne das Kapital bestehen.“ Er verdeutlicht, dass nicht der unversöhnliche Gegensatz von Kapital und Arbeit den Weg in die Zukunft weist, sondern die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Dass es inzwischen gelungen ist, den Graben zu überbrücken, ist auch ein Verdienst der Mitbestimmung. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Sozialpartner trug wesentlich zum Aufbau einer sozial gerechten Wirtschaftsordnung bei. Die Mitbestimmung ist somit Prüfstein unserer freiheitlichen sozialen Ordnung. Sie gehört zum Kernbestand der sozialen Marktwirtschaft.

Die Forderung nach Mitbestimmung verweist zudem auf die unveräußerliche Würde des Menschen, die in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, auch im Arbeitsprozess, zu verwirklichen ist. Der arbeitende Mensch ist kein Objekt, kein Rad im Getriebe des Unternehmens, sondern er ist Subjekt, das heißt Mitverantwortlicher und Mitgestalter seiner Arbeit. „Wer produktive Arbeit tut, muss auch in der Lage sein, den Gang der Dinge mitzubestimmen und durch seine Arbeit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu gelangen“, so Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Mater et Magistra“. Dies gilt heute genauso wie morgen – unter den Bedingungen einer durch die Digitalisierung immer mehr veränderten Arbeitswelt. Dazu ist die Mitbestimmung unerlässlich. 

Jean-Claude Juncker

Präsident der EU-Kommission

Das Mitbestimmungsgesetz hat Jubiläumswünsche mehr als verdient. Ich möchte vor allem den Gewerkschaften gratulieren. Sie erfüllen den Gesetzestext mit Leben und wenden die Kardinaltugenden der sozialen Marktwirtschaft ganz konkret in der Praxis an. Zu einer Wirtschaft, die den Menschen dient, gehört der faire Ausgleich der Interessen zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Mitbestimmung ermöglicht genau diesen Dialog. Sie macht Arbeitnehmer zu echten Mitarbeitern, die sich einbringen und Verantwortung übernehmen.

Das mag manchmal mühsam sein, aber es lohnt sich, weil alle davon profitieren. Genauso müssen wir auch die neuen Herausforderungen der Globalisierung anpacken und die soziale Marktwirtschaft von morgen gestalten. Die von mir geleitete Europäische Kommission hat deshalb einen europaweiten Dialog zur Schaffung einer sozialen Säule eröffnet, womit wir vor allem auch die Arbeitnehmerrechte stärken wollen. Ich lade Sie herzlich ein, daran teilzunehmen und so auch in Europa mitzubestimmen. 

Ingo Kramer

BDA-Präsident

Die betriebliche Mitbestimmung und die Unternehmensmitbestimmung gehören seit 100 Jahren zum Kern der Arbeitsbeziehungen in Deutschland. Sie bleibt ein deutscher Sonderfall – gleichgültig welche vergleichbaren Regeln in anderen Ländern man auch heranzieht. Das gilt ganz besonders für das Mitbestimmungsgesetz von 1976. In schwierigen Situationen hat sich die Mitbestimmung oft bewährt, wie zum Beispiel bei der Finanzkrise. Aber manchmal hat sie auch als Bremsklotz gewirkt. Der 40. Jahrestag des Gesetzes fällt in eine Phase tief greifender Umwälzungen. Die zunehmende Vernetzung der Wirtschaft, die digitale Revolution sowie sich wandelnde Bedürfnisse von Arbeitnehmern stellen hohe Anforderungen an unsere Unternehmen. Diese Entwicklung hat auch zur Folge, dass die Zahl der mitbestimmten Unternehmen rückläufig ist. Darauf muss die Mitbestimmung eine Antwort finden, die nicht in einer starren gesetzlichen Regulierung bestehen kann, die zur Unbeweglichkeit der Unternehmen führt. 

Die Mitbestimmung muss den aktuellen Gegebenheiten von Wirtschaft und Arbeitswelt angepasst werden. Die Attraktivität und das Verständnis für das deutsche Mitbestimmungsmodell muss durch flexiblere, vereinbarungsbasierte Lösungen deutlich erhöht werden. Europa weist hier den Weg. 

Heinrich Bedford-Strohm

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 

Der Mensch ist zur Freiheit berufen. Darin liegt seine Würde begründet. Deswegen soll er nicht zum Spielball der Entscheidungen anderer werden, sondern seine Potenziale und seine Verantwortlichkeit in den Dienst der Menschen und ihrer Gesellschaft stellen können.

Was zu den Grundlagen des christlichen Menschenbildes gehört und sich aus Traditionen der Aufklärung ergibt, wurde mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 auf die Arbeitswelt bezogen: Entscheidungen zur Gestaltung der Arbeitsplätze wie zur Entwicklung der Unternehmen und Betriebe sind gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu treffen.

Heute erscheint Mitbestimmung selbstverständlich. Allerdings: So wie das Mitbestimmungsgesetz selbst hart erstritten werden musste, ist jetzt die Kultur der Mitbestimmung nachhaltig zu pflegen. Dass die Freiheit des Menschen unverzichtbare Grundlage einer humanen Arbeitswelt ist, muss im Blick bleiben. Dass Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft Säulen der sozialen Marktwirtschaft sind und wesentlich zum sozialen und ökonomischen Erfolg dieser Wirtschaftsform beitragen, ist immer wieder in Erinnerung zu rufen. Dass Mitbestimmung unter den Bedingungen von Digitalisierung und Globalisierung in neue Formen gegossen werden muss, ist als Herausforderung anzunehmen. Als Evangelische Kirche unterstützen wir diese Bemühungen nach Kräften.

Anke Hassel

Professorin für Public Policy an der Hertie School of Governance und Vorsitzende der Expertengruppe „Workers‘ Voice“ der Hans-Böckler-Stiftung

Das europäische Sozialmodell ist weltweit einzigartig. Es kombiniert einen hohen Wohlstand mit relativ niedriger sozialer Ungleichheit, einer hohen Lebenserwartung, einer gesunden Bevölkerung und hohen Werten persönlicher Zufriedenheit. Dabei sind insbesondere die Länder erfolgreich, in denen Arbeitnehmerrechte besonders gut ausgestattet sind. Das Wettbewerbsranking des World Economic Forum bestätigt, dass zu den zehn innovativsten Ländern weltweit vier Länder mit umfangreicher Unternehmensmitbestimmung gehören. Unter den zehn innovativsten Ländern in Europa haben sieben Länder die Unternehmensmitbestimmung. Ist das Zufall? 

Wohl kaum. Vielmehr zeigen diese Befunde, dass das europäische Sozialmodell trotz Globalisierung und trotz Liberalisierung der Finanzmärkte seine Vorreiterposition im Bereich Innovation und Wohlstand nicht verloren hat. Unser Wohlstand in Europa basiert in großen Teilen auf kooperativen Arbeitsbeziehungen gemeinsam mit guten Qualifikationen und hoher Produktivität. 

Noch hat sich diese Erkenntnis nicht überall durchgesetzt. Doch selbst wenn die Harmonisierung der Sozialmodelle einschließlich der Mitbestimmung noch in weiter Ferne ist, so sollten wir die Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren. Innovation, Wohlstand und gesellschaftlicher Fortschritt in Europa finden besonders in mitbestimmten Unternehmen statt. Und das nach 40 Jahren. Herzlichen Glückwunsch!

Oliver Burkhard

Arbeitsdirektor und Personalvorstand der ThyssenKrupp AG 

Dank Mitbestimmung werden in den Unternehmen jeden Tag Tausende kleine und größere Probleme gemeinsam gelöst. Mal ernst und schwierig, mal auf kurzem Wege, mal mit und mal ohne zwischenzeitliches Rumpeln. Unternehmen und Mitarbeiter profitieren jeden Tag tausendfach davon, dass es stabile und geordnete Arbeitsbeziehungen gibt. Die Unternehmensmitbestimmung nach dem Gesetz von 1976 hat in diesen Arbeitsbeziehungen einen besonderen Wert. Sie sorgt dafür, dass die Belange der Arbeitnehmer immer eine Stimme im Unternehmen haben. Sie zwingt den Vorstand , diese Belange stets auch mitzudenken. Mehr noch: Sie sorgt dafür, dass die Unternehmensleitung in ganz besonderer Weise gefordert ist, ihre Entscheidungen zu begründen und argumentativ plausibel zu untermauern. Umgekehrt zwingt es die Arbeitnehmervertreter, mit der Mitbestimmung auch die Mitverantwortung anzunehmen. Beides zusammen führt zu einer Versachlichung der Diskurse und zu einer Verbesserung ihrer Qualität. Dies wiederum ist die Voraussetzung für eine gute Unternehmensentwicklung, die allen Stakeholdern dient. Das geht nur mit Vertrauen, der Bereitschaft zu Veränderung und zum fairen Kompromiss.

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