Mein Arbeitsplatz: Visite im Knast
Joe Bausch, 60, ist bekannt als Pathologe Dr. Joseph Roth aus dem Kölner „Tatort“. Auch im wahren Leben arbeitet der Mime als Mediziner: Seit 1987 ist er Gefängnisarzt. Über seine Arbeit hinter Gittern hat der Regierungsmedizinaldirektor jüngst ein Buch geschrieben: „Knast“.
Werl, Langenwiedenweg 46 „Ich bin Hausarzt von 860 Schwerverbrechern aus 45 Nationen. Wenn man so will ein Hausarzt alter Schule, denn ich bin mitten unter meinen Leuten und weiß sehr viel über sie. Wir haben hier nur harte Jungs. Mich interessiert wenig, was jemand auf dem Kerbholz hat. Jeder verdient und bekommt die gleiche Behandlung. Die Krankheitsbilder ähneln denen draußen: Wir haben Dialyse-, Krebs- und alleine 133 Drogenkranke, die substituiert werden. Eine anspruchsvolle Medizin, eine Medizin von Kopf bis Fuß, aber eine sehr zufriedenstellende.
Mein Arbeitstag beginnt gegen 7.45 Uhr. Nach der Besprechung mit dem juristischen Leiter behandle ich Notfälle, führe Nüchternuntersuchungen durch, nehme Blut ab. Dann startet die Sprechstunde. Es gibt vier Wartezellen, auf die maximal 18 Gefangene nach dem Zufallsprinzip verteilt werden, um Absprachen auszuschließen. Sie werden der Reihe nach vorgeführt, untersucht und versorgt. Besonders Gefährliche kommen gesondert. Nachmittags stehen Einzelgespräche, Gutachten und Stellungnahmen an. Gegen 17.30 Uhr habe ich Feierabend. Zum Team gehören 14 Krankenpfleger und ein zweiter Arzt, regelmäßig kommen Augen- und Zahnarzt sowie ein Psychiater. Seit vier Jahren betreuen mein Kollege und ich auch 170 Inhaftierte der JVA Hamm. Zudem bin ich Betriebsarzt und verantwortlich für die Apotheke. Keine Zeit also, um sich die Fingernägel zu lackieren.
Als Knastarzt brauchst du eine klare Haltung, musst mit dir im Reinen sein und die ganze Institution begreifen. Und du musst Lust auf Menschen haben, sonst kannst du sie nicht heilen. Das ist als Schauspieler ebenso, denn auch hier kannst du keinen spielen, wenn du keine Empathie besitzt. Dass ich beide Berufe parallel machen wollte, wusste ich von Anfang an. Durch die Schauspielerei einerseits und meine TV-Auftritte zum Thema Strafvollzug andererseits ist mein Name zu einer Art Marke geworden. Diese Bekanntheit hilft, die Blackbox Gefängnis zu öffnen. Das ist auch Anliegen meines Buches: echte Einblicke zu liefern, uns nicht zu verstecken. Schließlich ist Knast ein Spiegel der Gesellschaft.“
Textdokumentation: Anja Scheve