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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Steuerbetrüger haben es heute schwerer als früher“

Ausgabe 06/2013

Norbert Walter-Borjans, Finanzminister in der rot-grünen Regierung in Nordrhein-Westfalen, über prominente Steuersünder, den Ärger des Fiskus mit der Schweiz und den Wunsch der Bürger nach mehr Steuergerechtigkeit.

Herr Walter-Borjans, Anfang Mai hat ganz Deutschland über den Fall Hoeneß diskutiert. Spüren Sie, etwa bei den Selbstanzeigen, schon Folgen dieser Debatte?

Ein „Hoeneß“-Effekt ist erst demnächst zu erwarten. Denn Selbstanzeigen werden häufig durch einen Steuerberater begleitet, und die Vorbereitungen sind zeitaufwendig. Aber der Fall macht deutlich, dass es richtig war, im Bundesrat das von der schwarz-gelben Bundesregierung geplante Steuerabkommen mit der Schweiz abzulehnen. Steuerhinterzieher hatten voll auf den Rabatt gegenüber der ehrlichen Steuerzahlung gesetzt, der ihnen dort in Aussicht gestellt wurde. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an der steigenden Zahl von Selbstanzeigen mit Bezug zur Schweiz. Im Dezember, als viele noch auf das Steuerabkommen gehofft hatten, sind bei uns 66 Selbstanzeigen eingegangen. Bis Anfang Juni sind es mehr als 1000, das ist mehr als viermal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Wer Steuerhinterziehung selbst anzeigt, geht straffrei aus. Ein Dieb hat diese Möglichkeit nicht. Das gilt nur für die, die die Gemeinschaft bestehlen. Ist das nicht ungerecht?

Wenn es so ist, dass Steuerbetrug verharmlost wird, weil man es ja erst einmal versuchen kann und dann immer noch die Möglichkeit hat, einer Bestrafung aus dem Weg zu gehen, dann ist das eindeutig ungerecht. Ich will aber den Kleingewerbetreibenden nicht kriminalisieren, der jeden Monat Steuern erklären muss, dabei etwas falsch macht und das korrigieren will. In seinem Fall geht es weder um Millionen noch um jahrelanges Versteckspiel. Ganz anders ist es bei Uli Hoeneß: Er sagt ja selber, dass er sich des Unrechts bewusst war und fürchtete aufzufliegen. In diesen Fällen muss Schluss sein mit dem Privileg der strafbefreienden Selbstanzeige. Diese Möglichkeit darf es künftig nur bei sehr begrenzten Nachzahlungsbeträgen in nachvollziehbaren Fällen geben.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich der einfache Steuerzahler irgendwann wie der Dumme vorkommt?

Ja sicher. Deshalb gehen wir ja auch so konsequent gegen die Selbstgerechtigkeit einiger vor, die glauben, Gesetze hätten nur für andere Geltung. Die Normalbürgerin und der Normalbürger haben ihre Steuerzahlung schon auf dem Gehaltsstreifen. Die können weder mit dem unversteuerten Geldkoffer in die Schweiz oder nach Luxemburg fahren noch abenteuerliche Steuervermeidungskonstruktionen nutzen, wie das einige Konzerne tun und sich dann von den Aktionären feiern lassen. Dem Fiskus in Deutschland gehen Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren. Der Schaden durch Steuerbetrug und Steuervermeidung liegt in Deutschland bei schätzungsweise mindestens 160 Milliarden Euro. Die Steueroasen machen ihren Gewinn nicht mit fairer Leistung ihres Finanzsektors, sondern mit dem Schaden anderer. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben, sonst geht auch die Moral der Ehrlichen flöten.

Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema ist sehr hoch. Einige Parteien fordern Steuererhöhungen, während vor wenigen Jahren vor allem Steuersenkungen ein Thema waren. Hat sich die öffentliche Meinung gedreht?

Steuererhöhungen einfach nur so, das will niemand. Aber in einem Land leben, in dem Kinder eine gute Bildungschance haben, das über gute Verkehrswege, ein funktionierendes Gesundheitswesen verfügt und in dem der soziale Zusammenhalt gewahrt bleibt, das wollen alle. Was die Menschen durch die Finanzkrise in Südeuropa heute viel klarer sehen, ist, dass ein Staat nicht gleichzeitig Leistungen erbringen, Schulden abbauen und Steuern senken kann. Ein Gemeinwesen, das so viel bietet wie unseres, kostet auch etwas. Wenn wir zeigen, dass wir für einen sparsamen Umgang mit Steuergeldern stehen und Ausgaben in Art und Höhe auf den Prüfstand stellen, dass wir aber auch gezielt in die Zukunft investieren, dann gehen die Menschen auch mit, wenn es um einen gerechten finanziellen Beitrag geht. Gerecht heißt, dass die, auf die sich Einkommen und Vermögen extrem konzentrieren, eine maßvoll höhere Beteiligung als bisher verkraften können.

Und wie steht es um die Steuermoral?

Machen wir uns nichts vor: Dass in Deutschland ein höherer Anteil an Steuern auch tatsächlich eingenommen wird, hat vor allem damit zu tun, dass wir ein wirksames Besteuerungssystem haben. Das finden die Menschen auch ganz überwiegend richtig so. Was sie falsch finden, ist, dass es bestimmte Gruppen gibt, die nicht so lückenlos erfasst werden und das zum Anlass nehmen, sich vor der finanziellen Mitverantwortung zu drücken. Deren großspurige Geschichten, wie sie das Finanzamt ausgetrickst haben, stießen früher gelegentlich auf neidvollen Respekt. Das hat sich deutlich geändert. Die Ehrlichen erkennen heute besser, dass sie die Rechnung für die Unehrlichen mitzubezahlen haben. Deshalb haben es die Betrüger am Stammtisch heute wesentlich schwerer als früher. Und das ist gut so!

Wo liegen die Schwierigkeiten für die Verwaltung, Steuerhinterziehung aufzudecken?

Es beginnt damit, dass die Frage „Brauchst du eine Rechnung?“ gelegentlich immer noch als Einladung verstanden wird, auf Kosten des Gemeinwesens zu sparen. Der eine spart die Umsatzsteuer, der andere die Einkommensteuer. Den Schaden haben wir alle. Die nächste Klippe ist das in einigen Ländern bestehende Bankgeheimnis. Dabei geht es um die Weigerung von Banken, der Finanzverwaltung die Informationen zu geben, die sie für eine Besteuerung braucht. Wohl gemerkt: Es geht nicht um die Aufweichung des Steuergeheimnisses, das die Privatsphäre vor Einblicken der Öffentlichkeit schützt. Wir haben in Deutschland zu Recht ein strenges Steuergeheimnis, an dem wir selbstverständlich festhalten. Aber was wir brauchen, ist ein automatischer Informationsaustausch zwischen Banken und Finanzbehörden, auch über Grenzen hinweg. Dem verweigern sich bisher noch einige Länder, die dann für ihre Banken die Felle davonschwimmen sehen. Da liegt aber der Schlüssel zur erfolgreichen Bekämpfung von Steuerbetrug.

Es gab auch Berichte, dass Banken bei Steuerhinterziehung helfen. Können sie dafür eigentlich zur Verantwortung gezogen werden?

Ganz klar: Wenn wir nachweisen können, dass Bankmitarbeiter Beihilfe zum Steuerbetrug geleistet haben, müssen die Berater zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist aber auch richtig, dass der Nachweis nicht immer ganz einfach ist. Was die Bank selbst angeht, ist das momentan schwierig. Aber: Die nordrhein-westfälische Justiz hat immerhin Geldbußen in Höhe von rund 200 Millionen Euro gegen zwei Banken festgesetzt. In Deutschland existiert allerdings noch kein Unternehmensstrafrecht. Dass dieses aber unbedingt notwendig ist, hat die SPD nicht erst jetzt erkannt. Mein Kollege, NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, hat nun einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Peer Steinbrück hat in seinem Acht-Punkte-­Plan das konsequentere Vorgehen gegen Banken, die systematisch Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten, noch einmal aufgezeigt. Dabei muss es – je nach Schwere des Betrugs – härtere Strafen bis hin zum Entzug der Banklizenz geben. Der Bundesrat hat am 7. Juni einer entsprechenden Gesetzes-Initiative der Länder Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zugestimmt.

Nordrhein-Westfalen konzentriert die Steuerfahndung in zehn speziellen Finanzämtern. Welche Vorteile hat das?

Die STRAFA-FÄ, wie wir diese Spezialfinanzämter im Fachjargon nennen, sind zentral zuständig für die Verfolgung von Steuerkriminalität. Das hat den Vorteil, dass durch die Bündelung auch sehr umfangreiche Fälle angemessen untersucht werden und ein hohes Maß an Spezialisierung möglich ist. Die Steuerfahndung in NRW hat damit in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet – und entsprechend auch Gegenwind aus der Schweiz gespürt.

Gegen einzelne Fahnder des Teams in Wuppertal hat die Schweiz ja sogar Haftbefehle erlassen. Sind die Finanzbeamten zu weit gegangen?

Das Team in Wuppertal, aber auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen der übrigen Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung machen hervorragende Arbeit. Im März vergangenen Jahres hat die Schweizer Generalanwaltschaft Haftbefehl gegen drei NRW-Steuerfahnder erlassen, weil sie angeblich zum Datendiebstahl und zur Wirtschaftsspionage angestiftet hätten. Hier wird ganz offenkundig versucht, Fahnder zu kriminalisieren und Täter zu Opfern zu machen. Die betroffenen Fahnderinnen und Fahnder habe meine volle Unterstützung. Interessant ist übrigens, dass die Schweiz aus meiner Sicht das Gegenteil von dem erreicht hat, was sie eigentlich erreichen wollte: Erst durch die Haftbefehle ist das Thema Steuerhinterziehung und Geldanlagen im Ausland so richtig in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit gerückt.

Sie haben den Kauf von Steuer-CDs immer verteidigt. Haben sich die Investitionen denn gelohnt?

Es hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Den Kaufpreisen von insgesamt rund neun Millionen Euro in der Zeit der rot-grünen Landesregierung stehen Mehreinnahmen von mehr als 670 Millionen Euro allein für NRW gegenüber. Die setzen sich unter anderem aus Auswertung der Steuer-CDs, Geldbußen und Mehrergebnissen aufgrund von Selbstanzeigen zusammen. Und damit bin ich auch schon beim zweiten Punkt. Die Klientel, die bisher in der Schweiz oder anderswo ihr Vermögen versteckt hat, bekommt durch den Ankauf von Steuer-CDs kalte Füße, und genauso soll es auch sein. Nur dieser Druck lässt Steuerhinterzieher so schlecht schlafen, dass sie sich irgendwann zu einer Selbstanzeige entschließen. Was wir aber letztendlich erreichen wollen, ist, dass die Schlupflöcher vor der Tat verstopft werden.

Wie müsste das im Fall der Schweiz aussehen?

Ein Abkommen muss sicherstellen, dass Steuerflüchtlinge nicht weiter im Schutz der Anonymität leben können. Deshalb fordern wir den automatischen Informationsaustausch. Aber es geht nicht nur um die Besteuerung der Kapitalerträge. Vielfach stammt das im Ausland angelegte Geld aus Einnahmen, die schon in Deutschland nicht versteuert worden sind. Es geht also auch um die Höhe der Nachbesteuerung. Es kann nicht sein, dass Steuerhinterzieher durch das Abkommen letztlich weniger Steuern zahlen als ehrliche Steuerzahler. Und es darf keine Lücken geben, etwa Anlageformen, die von einem Abkommen ausgenommen werden, so wie das im gescheiterten Vertrag mit der Schweiz der Fall gewesen wäre. Gar nicht zu akzeptieren ist die drastische Einschränkung der Nachforschung. Man kann es auch so sagen: Ein Abkommen hat nur Sinn, wenn es Schlupflöcher schließt und für eine gerechte Besteuerung sorgt, und nicht, wenn es neue Hintertüren aufmacht und dazu gedacht ist, Steuerbetrügern wieder zu ruhigem Schlaf zu verhelfen.

Die Fragen stellte Andreas Kraft, Redakteur des Magazins Mitbestimmung

Zur Person

Norbert Walter-Borjans, 60, hat sich in seinen drei Jahren als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen mit dem Ankauf von Steuer-CDs und seiner Opposition zum geplanten Steuerabkommen mit der Schweiz bundesweit einen Namen gemacht. Zuvor war der SPD-Politiker und gebürtige Krefelder Wirtschaftsdezernent und Kämmerer der Stadt Köln. Unter NRW-Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) war der promovierte Ökonom von 1996 bis 1998 Regierungssprecher.

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