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Magazin Mitbestimmung

: Soviel Kapitalmarkt muss sein

Ausgabe 06/2006

Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg von einem banken- zu einem kapitalmarktfinanzierten System. Brauchen wir daher nicht weniger, sondern mehr Kapitalmarkt-Regulierung? Grundlegendes aus der Sicht eines Bankers.

 

Von Hartmut Bechtold
Der Autor ist promovierter Ökonom, war in den 80er Jahren Abteilungsleiter in der Hans-Böckler-Stiftung und ist seitdem in unterschiedlichen Funktionen leitend im Bankenbereich tätig.



Investitionen sind Zukunftsentscheidungen. Sie binden Kapital für viele Jahre und wollen daher gut überlegt sein. Wenn es um die Zukunft geht, gilt vor allem eins: Sie ist ungewiss. Welche Produkte in fünf Jahren auf dem Markt erfolgreich sein werden und welche floppen - niemand weiß es genau. Trotzdem braucht jede Wirtschaft einen Prozess, der den erfolgreichen Unternehmen von morgen bereits heute das Geld für die notwendigen Investitionen bereitstellt.

Erst ein funktionierender Kapitalmarkt macht die Marktwirtschaft möglich. Beides gehört untrennbar zusammen. Dies sind auch die Lehren aus dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Länder, die Marktwirtschaft zunächst nur auf den realwirtschaftlichen Bereich beschränkten und den Kapitalmarkt unterbanden, wie zum Beispiel die Experimente Ungarns und Jugoslawiens in den 80er Jahren zeigten, erlitten damit allesamt Schiffbruch.

Als in Deutschland das Geld noch billig war

Doch gibt es durchaus unterschiedliche Ausprägungen des Kapitalmarktes. Beim Modell der Deutschland AG spielten die Banken eine bedeutende Rolle. Vereinfacht funktionierte das Modell so: Viele Sparer hatten keine Lust, sich mit Aktien und Anleihen zu beschäftigen, und gaben ihr Geld den Banken. Die Sparer waren mit den niedrigen Zinsen des guten, alten Sparbuchs zufrieden und die Banken erst recht. Sie nahmen das Geld und gaben es in Form von Krediten und Beteiligungen an die Wirtschaft weiter. Einen Teil des Konditionsvorteils aufgrund der niedrigen Zinsen, die sie den Sparern zahlten, gaben die Banken sogar an die Wirtschaft weiter.

Dazu kam: Große Teile des Banksystems waren in öffentlicher Hand und wurden vom Staat durch Staatsgarantien subventioniert. In Deutschland waren Kredite daher immer sehr billig.

Die Banken entschieden über Kredite und Beteiligungen - und damit über die Finanzierung und die Investitionen von Unternehmen. Mehr noch: Über ihre Beteiligungen lenkten die Banken auch in hohem Maße die Geschicke der Wirtschaft - Hand in Hand mit dem so genannten Depotstimmrecht, das heißt der Vertretung ihrer Kunden auf den Hauptversammlungen der börsennotierten Großunternehmen. Dieses Modell war der Kern der Deutschland AG - wozu auch die Präsenz von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten gehört.

Doch die Realität hat sich verändert. Das gute, alte Sparbuch wird von Hochzinskonten verdrängt, die von Direkt- und Auslandsbanken zu Kampfkonditionen in den Markt gedrängt werden. Die Subventionierung großer Teile des Bankenwesens über staatliche Garantien ist auf Druck der Europäischen Kommission bereits 2005 gefallen. Heute müssen sich die deutschen Banken mehr und mehr zu den harten Bedingungen des Kapitalmarkts finanzieren.

Da jedoch die großen Ratingagenturen - aufgrund der Kreditausfälle in den Jahren nach dem Börsenboom - die Bonität herabstuften, wurde auch dies teurer. Hinzu gekommen sind die vielfältigen aufsichtsrechtlichen Veränderungen, die die Anforderungen an die Kreditvergabe von Banken erhöhten. Basel II ist hier das zentrale Stichwort.

Im Wandel zur Kapitalmarktfinanzierung

In diesem Umfeld wandelt sich die Finanzierung der deutschen Volkswirtschaft von einem ehemals bankenorientierten zu einem klassischen kapitalmarktorientierten Finanzierungssystem. An die Stelle des Bankiers - jenem Mann mit schwarzem Hut und dicker Zigarre -, der Entscheidungen über Kredite und damit Investitionen fällte, treten die Regeln des Marktes.

Dieser Wandel ist an sich nicht schlecht. Internationale Vergleiche zeigen, dass kapitalmarktintegrierte Länder - dazu gehören nicht nur die USA und Großbritannien, sondern auch Länder wie Schweden und Dänemark - in den letzten zwanzig Jahren eine höhere Dynamik aufwiesen als kreditfinanzierte Volkswirtschaften, wozu vor allem Japan und Deutschland gehörten. Die Wachstumsdynamik kapitalmarktintegrierter Wirtschaften kann mit der Beschleunigung des Strukturwandels in dieser Zeit zusammenhängen; denn im Gegensatz zum Kreditsachbearbeiter einer Bank schaut der Kapitalmarkt mehr nach vorne, bewertet mehr die Zukunft als die Vergangenheit und ist bereit, höhere Risiken einzugehen - sofern die Renditeerwartungen stimmen.

Kapitalmarkt heißt Transparenz. Die HGB-Rechnungslegung lässt vielfältige Bilanzgestaltung zu - sie passte zu dem Finanzierungsmodell Deutschland AG. Der Hausbanker brauchte keine Rechnungslegungsstandards, die die Unternehmen zu Offenheit zwingen, denn er kannte in der Regel, wie übrigens auch die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten, die realen Zahlen. Der anonyme Kapitalanleger will jedoch größtmögliche Offenheit und Transparenz, die ihm IFRS verschaffen, genauso wie die Offenlegungsvorschriften, die mit einer Börsennotierung einhergehen.

Kapitalmarkt heißt auch Liquidität. Der Kapitalanleger will Liquidität und je liquider in einer Volkswirtschaft Finanzanlagen gestaltet sind, desto geringer sind die Renditeerwartungen der Investoren. Wer es nicht glaubt, sollte sich selbst fragen: Was würde ich für eine zehnjährige Geldanlage an Zins verlangen, bei der ich über die ganze Zeit absolut gebunden bin? Und was verlange ich, wenn ich jederzeit über das Geld verfügen kann? Klar, die Antwort ist: Wenn ich jederzeit verfügen kann, verlange ich weniger. Aus diesem Grund haben in der Regel Länder mit hoher Kapitalmarktliquidität niedrigere Kapitalkosten. Mit anderen Worten: Von dem erwirtschafteten Ergebnis muss weniger an die Kapitalgeber "abgezweigt" werden, da sich die Anleger aufgrund der hohen Liquidität mit weniger zufrieden geben.

Loslösung von der Realwirtschaft ist von Vorteil 

Liquidität wird hergestellt durch die Börse sowie die Trennung von Realwirtschaft und Finanzwirtschaft. Die Aktie oder Anleihe kann jederzeit an einen anderen Kapitalanleger verkauft werden. Dieser Prozess ist völlig losgelöst von dem Unternehmen, das die Aktie ursprünglich emittiert hat bzw. den Kredit mit der Ausgabe der Anleihe in Anspruch genommen hat. Trotzdem profitiert ein Unternehmen von hohen Aktienkursen, wenn es neues Geld braucht und eine Kapitalerhöhung durchführen will.

Liquidität ist auch aus einem weiteren Grund wichtig: Der Kapitalmarkt bildet durch Käufe und Verkäufe Preise für die Kapitalmarktinstrumente - seien es Aktien, Anleihen, Zertifikate, Optionen oder was auch immer. Hinter den Käufen und Verkäufen stehen Zukunftserwartungen und hinter den Erwartungen Informationen. Je mehr Kapitalmarktteilnehmer sich an diesem Prozess beteiligen, umso genauer ist somit die Entscheidungsfindung über die Preise und damit auch die indirekte Investitionssteuerung, die von den Kapitalmärkten ausgeht.

Kritiker, die das Modell nicht verstanden haben, führen die Loslösung der Kapitalmärkte von der Realwirtschaft als Beleg für deren Nutzlosigkeit an. Sie verweisen darauf, dass an den Terminmärkten die meisten Kontrakte nicht real ausgeführt werden, sondern vorzeitig durch Geldzahlungen ausgeglichen werden. Ja, das stimmt, an der Chikagoer Warenterminbörse wird zum Beispiel ein Vielfaches der Schweinebäuche auf Termin ge- und verkauft, als je in den Mägen der Schweinefleischesser landet.

Aber dieser Prozess hilft dem amerikanischen Landwirt, der seine Schweine in der Regel auf Termin verkauft, Planungssicherheit zu gewinnen. Denn erst die Vielzahl der Marktteilnehmer kann ihm einen fairen Preis für seine Zukunftskontrakte liefern, der auf dem gegebenen Stand der Informationen, das heißt auf geschätzter Nachfrage und dem geschätzten Angebot basiert.

Nein, sagen hier die Kritiker, das stimmt doch gar nicht, und verweisen auf die gelegentlichen extremen Übertreibungen auf den Kapitalmärkten - von der Tulpenkrise im 17. Jahrhundert bis zum Internetboom Ende der 90er Jahre.

In der Tat, kann man hier nur antworten, keiner kennt die Zukunft genau, und es kann sein, dass eine Mehrzahl der Anleger in die falsche Richtung rennt, eine Marktblase, Bubble, entsteht. Leider weiß man aber immer erst hinterher, was falsch und richtig war. Und der Markt ist ein demokratisches Instrument für Kapitalanleger. Jeder kann dagegen stimmen, er braucht nur zu verkaufen oder short zu gehen, das heißt, auf fallende Kurse zu setzen.

Wer im Kapitalmarkt falsch liegt, der wird bestraft, er verliert sein Geld. Diese Funktionen durch einen A-13-Beamten ersetzen zu wollen würde sicherlich schnell in einem Fiasko enden.

Der deutsche Mittelstand in Kapitalnöten

Vom Umbau der Unternehmensfinanzierung in Deutschland von der kredit- zur kapitalmarktbasierten Finanzierung ist insbesondere der deutsche Mittelstand betroffen. Er hat sich bislang vor allem über Bankkredite finanziert. Und wo in den angelsächsischen Ländern Unternehmensgründer die persönliche Eigentümerschaft als Übergangsphase zur Kapitalmarktplatzierung betrachten, gehen in Deutschland erfolgreich geführte Unternehmen von einer Generation auf die andere über. Dies trägt zur Kontinuität und Stärke der deutschen Wirtschaft bei, führt aber auch dazu, dass oft die Finanzierung nicht Schritt hält mit dem notwendigen Unternehmenswachstum.

Die Eigenkapitalquote mittelständischer Unternehmen liegt in Deutschland bei etwa 25 Prozent, während sie Frankreich 35, in Großbritannien 40 und in den USA 45 Prozent beträgt. Ein Grund für die geringe Eigenkapitalquote ist, dass viele Formen der kapitalmarktorientierten Eigenkapitalbeschaffung, wie etwa der Gang an die Börse oder Finanzierung über Private Equite, nur bedingt zur familiär geprägten deutschen Mittelstandsstruktur passen. Denn diese Formen der Kapitalmarktfinanzierung erfordern den Verzicht auf die unternehmerische Leitung und stellen Forderungen hin zu einer breiten Transparenz der Unternehmensergebnisse.

Gerade der deutsche Mittelstand kommt somit im Prozess des Umbaus der Deutschland AG in die Zwickmühle. Die reine Bank-Kreditfinanzierung wird schwieriger, und dem Kapitalmarkt steht der Mittelständler skeptisch gegenüber.
Doch die Lösung des Problems liegt nicht im romantisch verklärten Blick zurück auf die guten alten Zeiten, sie kommen nicht wieder, und auch der Staat kann nicht jene Summen bereitstellen, um die es hier geht, er hat genug Probleme, seine eigenen Investitionen zu finanzieren.

Neue Finanzierungsinstrumente gefragt

Die Lösung liegt im Kapitalmarkt selbst. Und in neuen Finanzierungsinstrumenten, die von Investmentbanken für den Mittelstand entwickelt werden. So erlauben zum Beispiel Asset Backed Securities (ABS) dem Mittelständler, seine Handelsforderungen zu verbriefen oder über die Begebung von Genussrechten, - die von einer ABS-Zweckgesellschaft wiederum durch die Begebung von Asset Backed Securities refinanziert werden - indirekt den internationalen Kapitalmarkt zu günstigen ABS-Konditionen anzuzapfen.

Klingt kompliziert, ist es aber nicht unbedingt. Entsprechende Programme sind auf dem Markt und stoßen generell auf ein hohes Interesse beim Mittelstand, da sie ihm seine unternehmerische Freiheit lassen und keine direkte Offenlegung der Unternehmensergebnisse gegenüber der breiten Öffentlichkeit mit sich bringen.

Leider fehlt in Deutschland der steuerrechtliche Rahmen für derartige Finanzierungsprogramme. Sie müssen daher über komplexe ausländische Lösungen nach fremdem Recht abgewickelt werden. Dies behindert wiederum ihre Durchsetzung.

Das gilt auch für die Nutzung von Leasing. Bereits heute werden im Mittelstand weit über zehn Prozent der Anlageinvestitionen durch Leasing finanziert. Alles, was Leasing und die Refinanzierung der Leasinggesellschaften erleichtert, hilft daher dem deutschen Mittelstand. Doch hier fehlen die entsprechenden steuerrechtlichen Rahmenbedingungen.

Deutschland hat seine Wettbewerbsfähigkeit in den letzten Jahren vor allem über Lohnsenkungen hergestellt. Seit Anfang 2001 ist das Bruttosozialprodukt um 8,1 Prozent, die Unternehmensgewinne um 29 Prozent gestiegen, während die Reallöhne um 0,1 Prozent fielen (Standard & Poors, 2006). Während dieser Zeit war - bis vor kurzem - die Kapitalmarktintegration deutscher Unternehmen, das heißt die Inanspruchnahme von Bankkrediten, die Zahl durchgeführter Kapitalerhöhungen und Börsengänge, rückläufig.

Während alle Welt von der Liquiditätsschwemme auf den Kapitalmärkten und den damit einhergehenden sehr niedrigen Renditeansprüchen der Investoren profitierte - an Deutschland gingen die Investoren vorbei. Darüber sollte das Land nachdenken - oder es muss weiter die Löhne senken.

 

Basel II
Basel II bezeichnet die Gesamtheit der Eigenkapitalvorschriften, die vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht in den letzten Jahren vorgeschlagen wurden. Inhalte sind Anforderungen an das Risikomanagement sowie die Solvabilitätsverordnung.

IFRS
International Financial Reporting Standards, internationale Bilanzierungsrichtlinien

Asset Backed Securities (ABS)
Ziel der ABS ist es, bisher nicht liquide Vermögensgegenstände in festverzinsliche, handelbare Wertpapiere umzuwandeln. Hierbei werden bestimmte Finanzaktiva eines Unternehmens in einen Forderungspool eingebracht, der treuhänderisch von einer Finanzierungsgesellschaft verwaltet wird.
Quelle: http://boerse.ard.de/

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