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Elvis Costello 1981 Magazin Mitbestimmung

Das politische Lied: Schiffe für den Krieg

Ausgabe 03/2022

Mitten im Falklandkrieg schreibt Elvis Costello einen Song über die Produktion von Kriegsschiffen. Von Martin Kaluza

Elvis Costello ist mit seiner Band „The Attractions“ auf Tournee in Australien, als ihn die Anfrage erreicht, einen Text zu schreiben. Die Melodie gibt es schon, Robert Wyatt wird die melancholische Ballade singen. Die Nachrichten kennen gerade kaum ein anderes Thema als die Eskalation des Streits zwischen Argentinien und Großbritannien über die kleine Inselgruppe im Südwestatlantik, die von den Briten „The Falklands“ genannt wird und von den Argentiniern „Las Malvinas“.

Seit 1833 wird die Insel von Großbritannien beansprucht. In der Nacht zum 2. April 1982 landeten die ersten argentinischen Truppen auf den Falklandinseln, was zu einer raschen Eskalation führt. Als am 2. Mai 1982 ein britisches Atom-U-Boot den argentinischen Kreuzer „General Belgrano“ versenkt, steht auf der Titelseite der Londoner Boulevardzeitung „The Sun“ die Schlagzeile „Gotcha!“, erwischt. Bei dem Angriff haben 323 Menschen ihr Leben verloren. Costello ist entsetzt über das Ereignis ebenso wie über die Form der Berichterstattung.

Noch während der Tournee schreibt er eine Geschichte aus seiner Heimat, ohne die Premierministerin Margaret Thatcher oder den Falklandkrieg wörtlich zu erwähnen. Costello stammt aus Birkenhead, einer Industriestadt am River Mersey, die gegenüber von Liverpool liegt und ebenfalls vom Schiffsbau lebt. Zuletzt ging es kontinuierlich abwärts, Werften mussten schließen, Familien haben ihren Lebensunterhalt verloren. „1982 hatten die meisten Geschäfte die Stadt verlassen. Du konntest die gesamte Laird Street langlaufen und bist kaum einer Seele begegnet“, schreibt Costello.

In seinem Songtext stellt er sich vor, wie plötzlich das Gerücht die Runde macht, bald würden die Werftarbeiter wieder Schiffe bauen. Auf den gleichen Schiffen ziehen die Söhne der Arbeiter schließlich in den Krieg – und hoffen, vor Weihnachten zurück zu sein. Schon die allererste Zeile des Songs stellt die entscheidende Frage: Ist es das wert? „Shipbuilding“ wird ein Erfolg für Robert Wyatt, und Costello findet den Song so gelungen, dass er ihn selbst noch einmal aufnimmt; der legendäre Jazztrompeter Chet Baker steuert ein Solo bei.

Und der Krieg? Ein paar Tage, nachdem Costello den Text im Juni 1982 fertig hat, schweigen die Waffen. Als „Shipbuilding“ 1983 erscheint, ist der Falklandkrieg schon vorbei, nach zweieinhalb Monaten. Die Inseln bleiben britisch. In der kurzen Zeit erleben die Werften keinen Aufschwung, die jungen Männer sind auf den alten Schiffen in den Krieg gefahren. Thatchers innenpolitisches Kalkül geht indessen auf: Die Unterhauswahlen 1983 werden der größte Erfolg der konservativen Partei unter ihrer Führung.

In seiner Autobiografie schreibt Costello, er sei Protestsongs gegenüber immer skeptisch gewesen. Eine Welt ohne „Ohio“ und „Free Nelson Mandela“ mag er sich trotzdem nicht vorstellen. Er fragt sich: „Kann ein Song verändern, was die Menschen denken? Ich bezweifle das, aber ein Song kann dein Herz infiltrieren, und das Herz kann verändern, was du denkst.“

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