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Magazin Mitbestimmung

Karstadt: Rückzug der Älteren

Ausgabe 12/2012

Nach den jüngsten Sozialplanverhandlungen könnte der Abbau von 2000 Vollzeitstellen bei Karstadt bis 2014  ohne betriebsbedingte Kündigungen vonstatten gehen. Sorgen macht den Betriebsräten die steigende Arbeitsbelastung. Von Carmen Molitor

Schnee liegt in der Luft an diesem ersten Adventswochenende in Hamburg. Eine steife Brise weht um die Karstadtfiliale im Stadtteil Wandsbek, ein paar weihnachtliche Buden und eine kleine Schlittschuhbahn haben gegenüber dem Haupteingang ihre Pforten geöffnet und erzeugen eine Kakofonie aus süßlichen Adventsweisen und dröhnenden Bässen, die zum Haupteingang des Warenhauses herüberdringt. Dort stehen die beiden Karstadtbetriebsräte Jürgen Gehring und Thies Nowacki und frösteln. „Bei Karstadt weht den Betriebsräten ein eisiger Wind ins Gesicht“, witzelt Nowacki grimmig. Ein paar Motive noch, dann ist der Fotograf zufrieden, und es geht wieder hinauf ins geheizte Betriebsratszimmer.

So richtig warm ums Herz ist es 2012 bei Karstadt auch schon vor dem ersten Schnee weder den Betriebsräten noch den übrigen Beschäftigten geworden. Die kalte Angst um den Job ist zurück – wieder mal. Entlassungswellen hatten die Beschäftigten der gut 120 Karstadtfilialen immer wieder erlebt, zuletzt 2009. Seitdem war etwas Ruhe eingekehrt. Ein Sanierungstarifvertrag, der im Zuge der Insolvenz des Konzerns geschlossen worden war und mit dem die Beschäftigten auf Urlaub- und Weihnachtsgeld verzichteten, hatte drei Jahre lang Kündigungen ausgeschlossen. Doch kurz vor Ablauf dieses Vertrages und der Rückkehr zum Flächentarifvertrag zum 1. September 2012 war die alte Unsicherheit wieder da: Der Vorstandsvorsitzende Andrew Jennings kündigte an, 2000 Vollzeitstellen zu streichen, was wegen des hohen Anteils von Teilzeitbeschäftigten bei Karstadt fast doppelt so viele Menschen betreffen kann. „Das haben wir als große Instinktlosigkeit empfunden und als Affront den Beschäftigten gegenüber“, schimpft Jürgen Gehring, Betriebsrats-Vorsitzender von Karstadt in Wandsbek und Gesamtbetriebsratsmitglied. „Sie haben doch die ganzen Jahre über ihren Beitrag am Sanierungstarifvertrag geleistet und dafür gesorgt, dass das Unternehmen überhaupt weitergeführt wird!“

SPAREN DURCH OUTSOURCING

Schon im Frühjahr, lange bevor der geplante Stellen-Kahlschlag bekannt geworden war, hatte sich bei Karstadt die Sorge um die Zukunft zweier Beschäftigtengruppen entzündet, die schon länger schwelte. Die Geschäftsleitung ließ verlauten, dass sie die gut 2500 Angestellten in der Gastronomie zum 1. Oktober 2012 in die Gesellschaft Le Buffet überführen würde. Für diese Beschäftigten hatte bis dahin ein eigener Haustarifvertrag bestanden. „Der war sowieso schon deutlich schlechter als der Einzelhandelstarifvertrag“, betont Thies Nowacki, Aufsichtsratsmitglied der Karstadt Warenhaus GmbH und Gehrings Stellvertreter im Betriebsrat in Wandsbek. Durch die Überführung in Le Buffet sollen die Beschäftigten nun nach den Tarifen des Hotel- und Gaststättengewerbes bezahlt werden. Wie hoch das Lohnniveau letztendlich wird, ist wegen der unterschiedlichen rechtlichen Situation in den Tarifgebieten noch strittig. Nach Berechnungen von ver.di könnten Vollzeitbeschäftigte je nach Tarifbezirk jährlich über 2.000 Euro verlieren.

Als Nächste waren die Beschäftigten der Multimediaabteilungen dran: Diese Abteilungen passten nicht in die „Strategie 2015“, mit der der Konzern vor allem auf den Verkauf von Fashion und die Betonung von Marken setzt. Sie waren der Geschäftsführung nicht ertragreich genug. Man beschloss, sie in drei Wellen in allen Filialen zu schließen. „Davon sind 1000 Vollzeitstellen betroffen“, berichtet Jürgen Gehring. Wandsbek gehörte zur ersten Welle, die Multimediaabteilung dort schloss im August. „Unser Ziel als Betriebsrat war es, dass den Kolleginnen und Kollegen Ersatzarbeitsplätze angeboten wurden.“ In der Filiale Wandsbek sei das weitgehend geglückt: 30 Prozent der Betroffenen hätten zwar mit einer Abfindung frühzeitig das Unternehmen verlassen, für 70 Prozent konnte man aber intern Ersatzarbeitsplätze finden. „Hier ist das sauber und ordentlich gelaufen“, resümiert Thies Nowacki. Insgesamt fürchten die Betriebsräte durch die Schließung der Multimediaabteilungen aber „dramatische Folgen“ für die Personalplanung im Konzern. „Die Personalbesetzung bei Karstadt wird nach wie vor am Umsatz festgemacht. Ein bestimmter Prozentsatz des Umsatzes kann nur für Personalkosten ausgegeben werden“, erläutert der Betriebsrats-Vorsitzende Gehring. Schließt eine umsatzstarke Abteilung wie Multimedia und wird die Fläche durch eine Abteilung ersetzt, die weniger Umsatz, aber eventuell mehr Ertrag einbringt, „dann haben sie die schizophrene Situation, dass sie am Ende Personal abbauen müssen, obwohl der Ertrag steigt und es nicht weniger Arbeit gibt“.

Nach der Unruhe bei Gastronomie und Multimedia kam im Sommer dann der größte Paukenschlag: die Ankündigung der Streichung von 2000 Vollzeitstellen bis 2014. Weil diese Information Wochen vor dem Ende des Sanierungstarifvertrages publik wurde, vermutet Gehring dahinter in erster Linie eine Drohkulisse gegen ver.di. Es sei der Geschäftsführung darum gegangen, die Regelungen des Sanierungstarifvertrages zu erhalten, von der der neue Besitzer, der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen profitiert hatte. Das sollte entweder durch eine Verlängerung oder durch eine Neuauflage des Sanierungstarifvertrages geschehen, bei der die Beschäftigten wieder ihren finanziellen Beitrag leisten. Bei den Haupt- und Ehrenamtlichen der Dienstleistungsgewerkschaft habe die Karstadtführung damit aber auf Granit gebissen. „Es ist ein Unterschied, ob man eine solche Regelung abschließt, weil eine Insolvenz da ist, oder ob man sie abschließen soll, weil der Investor sagt: Ich bin nicht bereit, Geld in das Unternehmen zu geben“, betont Jürgen Gehring. Bisher seien die Investitionen für die nötige Sanierung der Filialen aus dem Cashflow des Unternehmens gezogen worden, nicht aus Berggruens sonstigem Vermögen. Die weiter ausbleibende Finanzspritze für Neuerungen sorge für Enttäuschung bei den Beschäftigten, und ebenso kritisiere man die Art und Weise, wie die Nachricht über den Stellenabbau publik wurde, sagt Gehring. Unmittelbar nachdem der Gesamtbetriebsrat in einer außerordentlichen Sitzung darüber informiert worden war, sei die Nachricht schon in den Medien aufgetaucht. Den Betriebsräten sei keine Chance geblieben, die Beschäftigten selbst über die Pläne zu informieren. Die Kolleginnen und Kollegen erfuhren von den drohenden Stellenreduzierungen völlig unvorbereitet aus den Nachrichten.

HÖHERE ABFINDUNG FÜR SCHNELLENTSCHLOSSENE

Zurzeit besteht allerdings die Hoffnung, dass die meisten der geplanten Stellenstreichungen über Vorruhestandsregelungen und Abfindungen abgefangen werden und betriebsbedingte Kündigungen verhindert werden können, berichtet Gehring. Der GBR hat im Oktober Sozialplanverhandlungen geführt, deren letzte Vereinbarungen Ende November unterschrieben wurden. Eine Begrenzung der Leiharbeit und vor allem „ausgesprochen gute“ Gesamtbetriebsvereinbarungen für die Altersteilzeit habe der GBR dabei aushandeln können. So sei es unter anderem jetzt für denjenigen möglich, der nach einer Altersteilzeit in eine gekürzte Rente gehen müsste, für die Zeit bis zur ungekürzten Rente eine Abfindungszahlung zu bekommen. „Wir haben im Moment in der Karstadt Warenhaus GmbH etwa 3500 Beschäftigte, die älter sind als 58 Jahre“, sagt Gehring, „Ob daraus nun ein größerer Kreis von Beschäftigten zusammenkommt, der die neuen Vorruhestandsregelungen in Anspruch nehmen wird, das kann man nicht sagen.“ Auch für Jüngere sei ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Betrieb durch die Vereinbarungen finanziell besser abgefedert: In einer „Turbo-Regelung“ wurde beispielsweise festgeschrieben, dass Schnellentschlossene, die bis zum 31. Dezember 2012 das Unternehmen verlassen, eine deutlich erhöhte Abfindungssumme erhalten.

Gehring und Nowacki glauben nicht, dass die Geschäftsleitung die Streichung von 2000 Vollzeitstellen auf Biegen und Brechen und auch um den Preis von betriebsbedingten Kündigungen durchdrücken wird. Sie sehen in den geplanten Entlassungen eher eine Strategie der Manager, die Belegschaft mittelfristig erheblich zu verjüngen. Wenn möglichst viele Ältere gehen, braucht man ab einem gewissen Punkt wieder junge Kräfte, die man zu verschlechterten Vertragsbedingungen einstellen kann. „Das ist die unausgesprochene Zielsetzung“, vermutet Gehring. Aufsichtsrat Nowacki sieht in dieser Personalpolitik eine weitere Gefahr: „Die Mitbestimmungsgremien werden durch den Personalabbau erheblich tangiert“, gibt der 47-Jährige zu bedenken. Es könnte weniger Freistellungen geben, die Gremien würden kleiner und verlören womöglich die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, denn „es kann ja auch sein, dass nun auch ältere Betriebsräte gehen“. „2014 werden zwischen 30 und 40 Prozent der heutigen Gesamtbetriebsratsmitglieder sowieso altersbedingt nicht mehr dabei sein“, ergänzt Jürgen Gehring.

Aufsichtsrat Nowacki treibt noch eine andere Sorge um: „Was machen die Kolleginnen und Kollegen, die bei Karstadt bleiben?“ Auf sie käme durch den Stellenabbau „eine gewaltige Belastung“ zu. „Es gibt jetzt schon Zeiten, an denen auf einer Etage teilweise nur eine Verkäuferin auf 1000 Quadratmetern zugegen ist“, sagt Nowacki. „Die Krankenquote steigt.“ Gehring stimmt zu: „An dieser Stelle stiehlt sich unser Unternehmen aus der Verantwortung“, betont er. Die Betriebsräte seien keinesfalls gegen jegliche Veränderung. Aber wer verändern wolle, müsse dafür vernünftige Rahmenbedingungen schaffen, den Beschäftigten ihre Ängste nehmen und den Prozess begleiten. „Das passiert nicht“, moniert der Betriebsrats-Vorsitzende. Die Ägide von Nicolas Berggruen, auf den viele Beschäftigte hohe Erwartungen gesetzt hatten, sei inzwischen von Ernüchterung geprägt. Sieht so aus, als ob Karstadt noch ein langer, kalter Winter bevorstünde. 

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