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Magazin Mitbestimmung

Wirtschaftspolitik: Plädoyer für nachhaltige Erholung

Ausgabe 01/2021

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) wirbt in seinem Wirtschaftsausblick für massive Investitionen – auch nach der Pandemie. Von Andreas Schulte

Die deutsche und die europäische Wirtschaft fahren in der Krise auf Sicht. Trotz der Hoffnung auf eine möglichst schnelle Impfung der Bevölkerung ist die Entwicklung der Pandemie nicht abzusehen. Selten war ein wirtschaftlicher Ausblick von mehr Unwägbarkeiten geprägt. Ein Blick in die Glaskugel ist er dennoch nicht, denn zumindest für die Zeit nach dem Lockdown lassen sich Handlungsempfehlungen für die Wirtschaft ableiten.

In seinem wirtschaftspolitischen Jahresausblick 2021 hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung sich der Frage gewidmet, worauf es im zweiten Corona-Jahr ankommt. Der Tenor: Der Weg aus der Krise muss nachhaltig und mit großen Investitionen gestaltet werden. Ein Ende des Lockdowns darf keine Abkehr von der bislang eingeschlagenen Wirtschaftspolitik bedeuten. „Nach der Stabilisierung der Wirtschaft in der aktuellen Corona-Krise besteht die entscheidende Herausforderung darin, die sich abzeichnende Erholung nicht durch eine übereilte Konsolidierung zu schwächen“, heißt es in der Zusammenfassung des 18-seitigen Reports. Die Weichen für einen nachhaltigen Weg aus der Krise werden schon jetzt gestellt.

Erholung nicht abwürgen

Zum aktuellen Zeitpunkt stünden die Chancen noch gut, dass der zweite Lockdown gesamtwirtschaftlich nicht dramatisch durchschlägt, sagt Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. „Aber gerade deshalb ist es wichtig, Hilfen weiter durch die hoffentlich letzten Monate der Pandemie zu ziehen.“ Dullien und sein Forscherteam gehen für das Jahr 2021 in Deutschland von einem Wirtschaftswachstum von „spürbar über vier Prozent“ aus. Doch dies werde nicht ausreichen, um den tiefen Einbruch von fünf Prozent im Corona-Jahr 2020 wettzumachen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2021 unter dem Vorkrisenniveau von 2019 bleiben.

Auch für die Zeit nach dem Lockdown fordern die Forscher eine aktive Wirtschaftspolitik. „Eine frühzeitige Festlegung darauf, ab 2022 die Schuldenbremse wieder einzuhalten, birgt die Gefahr, die Erholung abzuwürgen“, sagt Dullien und geht noch weiter: Das Zukunftspaket des Bundes sieht zwar 58 Milliarden Euro an Investitionen für die Jahre nach 2020 vor, das sei aber zu wenig. Das Institut fordert jährlich weitere 45 Milliarden Euro etwa für Infrastruktur, Bildung und Dekarbonisierung. „Die zur Bekämpfung der Corona-Krise aufgenommene höhere Staatsverschuldung ist kein Hindernis für verstärkte Zukunftsinvestitionen, diese sollten vielmehr absolute Priorität haben gegenüber einer forcierten Rückzahlung der Kredite“, betonen die Forscher.

Aber wann und wie soll der Bund dem hohen Schuldenstand von bereits rund 70 Prozent des BIP zu Leibe rücken? Erlaubt sind nach EU-Regeln derzeit nur 60 Prozent. Hier fordern die Ökonomen, den in der Schuldenbremse vorgesehenen Tilgungszeitplan zumindest zu strecken. Dadurch stünden die Chancen gut, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren aus der höheren Verschuldung „herauswachse“. Zudem würde Raum für weitere benötigte Investitionen geschaffen. Das Kalkül: Kreditfinanzierte Investitionen, die Deutschland zu einem klimaneutralen, digitalisierten, forschungsstarken Industriestandort machen, sollen die Wirtschaftsleistung erhöhen. Gemessen daran würde die Verschuldung in absoluten Zahlen nicht abnehmen, aber die Verschuldungsquote sinken.

Das IMK schlägt daher eine Änderung der Ausgabenregeln in Deutschland und in der EU vor. Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Derzeit kann sich der Bund auch über 30 Jahre zu Negativzinsen verschulden. Die aktuellen Verschuldungsregeln stammen aber noch aus der Zeit vor der Niedrigzinsphase. Das IMK schlägt daher unter anderem vor, den erlaubten Schuldenrahmen von EU-Ländern von 60 Prozent des BIP auf 90 Prozent auszuweiten.

Das IMK nimmt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit auch die Europäische Zentralbank in die Pflicht. Die EZB soll die Transformation zu einer grüneren Wirtschaft antreiben und künftig beispielsweise verstärkt grüne Anleihen kaufen. Dies hat die EZB auch bereits angekündigt. Anleger wie Euroländer und Unternehmen müssten sich also ihrerseits grüner positionieren, wenn sie mit der EZB ins Geschäft kommen wollen. Zudem, argumentiert Dullien, könnten Geschäftsbanken durch die europäische Bankenaufsicht verpflichtet werden, mehr Rücklagen zu bilden, wenn sie Kredite an Unternehmen mit veralteten Techniken vergeben. Das Argument: Diese Kredite sind mit einem höheren Risiko behaftet. Daher müssen die Banken vorsorgen.

In Deutschland indes sollen nach dem Willen des IMK weitere Staatshilfen für Unternehmen Pleiten verhindern. „Wir können kaum abschätzen, ob die befürchtete Insolvenzwelle kommt. Denn wir wissen nicht, wie es in den Unternehmen aussieht, vor allem bei den kleinen. Aber im Zweifel werden wir Pleiten bekommen“, räumt Dullien ein. Dennoch gibt sich der Wissenschaftler optimistisch. Zwar hätten sich durch die in der Pandemie verschobene Insolvenzantragspflicht Unternehmenspleiten aufgestaut, doch als gutes Zeichen wertet er den Ausblick von Banken, die ihrerseits nur mit wenigen Kreditausfällen rechnen. Auch die Industrie legte zuletzt wiederholt beim Auftragseingang zu.

Prekäre Arbeit abschaffen

Massenhaft Arbeitslose befürchten die Forscher nicht. Dennoch sehen sie am Arbeitsmarkt Reformbedarf, denn Soloselbstständige und Minijobber sind hierzulande nur schlecht abgesichert. Die Pandemie hat viele von ihnen sozial zurückgeworfen. Der Report regt an, geringfügige Beschäftigung grundsätzlich „abzuschaffen“ und in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln. Die Minijobber hätten so Anspruch auf Kurzarbeitergeld – ein Instrument, dass sich bereits in der Finanzkrise 2008 sowie im ersten Corona-Jahr bewährt hat.

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