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Magazin Mitbestimmung

Metallbetriebe: Permanentes Tauziehen

Ausgabe 12/2012

Betriebsräte können durch Mitbestimmung die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen der Leiharbeiter verbessern. Das ist jedoch ein schwieriges Geschäft. Von Ingrid Artus

Der größte Konflikt der letzten Jahre ist das permanente Tauziehen in der Frage der Leiharbeit“, sagte uns ein Betriebsratsvorsitzender. Diese Erfahrung teilt er mit vielen seiner Betriebsratskollegen, die wir in Metallbetrieben rund um die IG-Metall-Verwaltungsstelle Nürnberg zu ihrer Mitbestimmungspraxis bei Leiharbeit befragten. Wir fragten sie zum Beispiel, inwiefern sie auch die Interessen der Leiharbeiter im Unternehmen vertreten. Wie eng ist der Alltagskontakt? Welche speziellen Probleme haben Leiharbeiter? Welche Vereinbarungen zur Leiharbeit gibt es schriftlich oder auch mündlich zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung? Oder wie stehen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zu den Gewerkschaften?

Gestellt wurden diese Fragen im Sommer 2011 von Mitarbeitenden eines Lehrforschungsprojekts, das wir – unterstützt von der Hans-Böckler-Stiftung – am Erlanger Institut für Soziologie durchführten. Wir wollten einen Überblick über betriebliche Mitbestimmungskulturen zum Thema Leiharbeit in größeren Betrieben der Metallindustrie bekommen – ein Thema, das freilich auch die IG Metall interessiert. Schließlich hat sie es unlängst unternommen, durch die Kampagne „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ das Thema Leiharbeit innerbetrieblich zu politisieren und damit tariffähig zu machen. Inwiefern dies gelungen ist, wollte die Studie herausfinden. Wobei wir mit einem Lehrforschungsprojekt, bei dem Betriebsräte in zehn Metallbetrieben befragt wurden, keinen repräsentativen Überblick bieten können, wohl aber einen interessanten Einblick. Mit der parallelen Befragung von zehn Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern stellten wir sicher, dass auch die Betroffenen selbst zu Wort kamen.

Wir fanden eine große Heterogenität der Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern und – damit eng verknüpft – eine erhebliche Bandbreite, wie die Mitbestimmungsakteure mit dem Phänomen Leiharbeit umgehen. Gemeinsam ist den Leiharbeitern in allen zehn Betrieben, dass ihre Arbeitsbedingungen schlechter sind als die der Stammbeschäftigten: Ihr Lohn liegt niedriger, die Arbeitsbelastung ist höher, die Arbeitsplatzsicherheit erheblich geringer. Es handelt sich also um prekäre Beschäftigung. Dies generiert soziale Hierarchie und Konkurrenzdruck innerhalb der Belegschaften und führt zu sozialer Spaltung.

DIE MENGE MACHT DEN UNTERSCHIED

Die Betriebsräte reagieren in unterschiedlicher Weise auf diese Situation: Dort, wo Leiharbeit nur einen sehr geringen Teil der Belegschaft betrifft (rund zwei Prozent), können die Betroffenen häufig sozial gut integriert und auch vom Betriebsrat unproblematisch „mitvertreten“ werden. Leiharbeit ist eine betriebskulturelle Marginalie. Nicht immer bedarf es daher aus Sicht der Betriebsräte einer expliziten Normierung des Themas. Falls diese – etwa in der Form von Betriebsvereinbarungen – dennoch stattfindet, gestaltet sie sich eher unproblematisch und ist kaum Gegenstand größerer Konflikte.

Deutlich anders ist dies in Betrieben, die einen systematischen und strategischen Gebrauch von Leiharbeit machen – und das war die Mehrheit im Rahmen unserer Studie. Mit einem Anteil der Leiharbeiter an der Gesamtbelegschaft von fünf bis 30 Prozent ist hier das personalpolitische Instrument der Arbeitnehmerüberlassung längst zu einem dauerhaft eingesetzten Mittel der Lohnkostenreduktion geworden, wie dies schon der Soziologe Hajo Holst in den „WSI-Mitteilungen“ im März 2009 beschrieb. Wie die Betriebsräte hier auf die Spaltung der Belegschaft in „Stamm- und Randbeschäftigte“ reagieren, hängt insbesondere mit der etablierten politischen Kultur der Austauschbeziehungen zwischen Management und Betriebsrat zusammen: Betriebsräte, die in ihrer Alltagspraxis eher gemeinsame Interessen von Beschäftigten und Geschäftsleitung in den Vordergrund stellen und integrationsorientiert mit dem Management kooperieren, konzentrieren sich nahezu ausschließlich auf die Vertretung der Stammbeschäftigten. Schließlich seien sie rechtlich gesehen für die Leiharbeiter gar nicht zuständig. Einer sagte uns: „Also wenn se (die Leiharbeiter) bei uns arbeiten, nehmen wir die täglichen Problematiken, die se ham, auch nach Gesetz wahr und regeln des. Das andere, was sie mit ihrem Arbeitsvertrag haben, da ist der Betriebsrat beim Entleiher zuständig. Und da können, dürfen wir auch nicht rein.“ Dass ein Betriebsrat in den meisten Leiharbeitsfirmen überhaupt nicht existiert, ändert für ihn nichts.

Zwar äußern sich die Betriebsräte oft moralisch entrüstet über den „Seelenhandel“ in der Leiharbeitsbranche; zugleich betonen sie jedoch ihre Machtlosigkeit in dieser Frage: „Ich kenn welche, die arbeiten mit 200 Prozent jeden Tag. Ich frag mich, wie lang halten die das durch, weil irgendwann verschleißen sie. Verschleißen, nur um den täglichen Broterwerb zu sichern, der noch nicht mal ausreicht. Und da tun sie mir eigentlich leid. Kann aber nix ändern. (…) Ja, was hab ich für a Druckmittel?“ Infolgedessen existieren in solchen Betrieben allenfalls informelle Absprachen mit der Geschäftsleitung zum Umgang mit der Leiharbeit. Die Arbeitsbedingungen der Randbelegschaft bewegen sich kaum über das rechtliche bzw. tarifliche Mindestniveau hinaus. Man kann sagen: Interessenvertretung findet jenseits von Leiharbeit statt.

PARTIELLE MITVERTRETUNG

Wir fanden jedoch auch den Normaltypus betriebsrätlicher Mitbestimmungskultur in größeren, gewerkschaftlich zufriedenstellend organisierten Metallbetrieben. Hier wird mittlerweile der Versuch einer partiellen Mit-Vertretung der Leiharbeiter unternommen. Partiell ist diese Interessenvertretung deshalb, weil die rechtlichen Befugnisse und Machtmittel der Betriebsräte bei diesem Thema äußerst beschränkt sind – und auch, weil im Zweifelsfall die Interessen der Stammbeschäftigten vorgehen.

Dennoch führen die Betriebsräte hier einen schwierigen „politischen Kampf“, wie sie es nennen, für eine quantitative Beschränkung der Leiharbeit, für Übernahmen der Leiharbeiter und das – meist noch weit entfernte – Ziel „Equal Pay“. Machtpolitisch sind die Arbeitnehmervertreter für diesen Kampf ausgesprochen schlecht gerüstet, weil die Mobilisierbarkeit der Stammbelegschaft für die Interessen der Leiharbeiter höchst fraglich ist. Der „politische Kampf“ der Betriebsräte besteht daher in einer mühevollen Kleinarbeit, wobei Leiharbeit auf Betriebsversammlungen politisiert und das Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen strategisch genutzt wird, um wenigstens „mit Bürokratie zu drohen“.

Das „permanente Tauziehen“ der Betriebsräte war in allen Betrieben von Teil-Erfolgen gekrönt – etwa in der Form von „Besser-Betriebsvereinbarungen“, die für die Leiharbeiter eine gestufte Angleichung der Entgelte in Richtung „Equal Pay“ vorsehen. Die Leiharbeiter schätzen diese Vertretungsleistungen durchaus, denn in anderen Betrieben war das nicht üblich. Die zeitliche Befristung ihres betrieblichen Arbeitseinsatzes beschränkt jedoch auch den Wert der Mitbestimmung. Eine Leiharbeiterin meinte etwa: „Der Betriebsratsvorsitzende hat sich sehr viel Mühe gegeben mit dem Problem, was ich hatte, halt mit meinen Zulagen, er hat sich bei der IG Metall informiert, also Hut ab. Aber der Betriebsrat insgesamt, die denken, glaub ich: Was interessiert mich der Zeitarbeiter? Is eh net lang da. Brauch ich mich ja gar net mit dem abgeben.“ Und auch die vom Betriebsrat ausgehandelten Zulagen sind ein fragiles Gut: „Wenn ich jetzt wieder in an andern Betrieb komm, also, stürzt’s (das Einkommen) rapide wieder ab“, meint die Leiharbeiterin. Das zentrale Interesse der Leiharbeiter ist daher die Übernahme und mehr Arbeitsplatzsicherheit – gerade dieses zentrale Interesse können die Betriebsräte jedoch kaum wirksam vertreten. Zugleich zermürben diese Kraftakte auf Dauer so manchen motivierten Betriebsrat, dessen Anstrengungen von der Stamm- wie auch von der Randbelegschaft nur unzureichend unterstützt und gewürdigt werden. Sie betreiben eine mühsame Stellvertreterpolitik für die Leiharbeiter und nicht mit ihnen.

Nur ausnahmsweise fanden wir in der betrieblichen Realität Beispiele, in denen grundlegendere Erfolge gegenüber der Leiharbeit erzielt werden konnten. So nutzen manche Betriebsräte erfolgreich ihre innerbetriebliche Macht, um Leiharbeit komplett zu verhindern. Personelle Flexibilität wird in diesen Betrieben vor allem über befristete Beschäftigung und Arbeitszeitflexibilisierung erreicht, nicht über die Leiharbeit. In einem weiteren Metallbetrieb gelang eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern.

BESTE BESSER-VEREINBARUNG

Beide Handlungsoptionen basierten auf einer ausgesprochen starken innerbetrieblichen Machtposition des Betriebsrats, die gestützt wird durch einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und die virulente Mobilisierbarkeit der Belegschaft. Im letzteren Fall gelang es übrigens, nicht nur die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter an jene der Stammbelegschaft anzunähern, sondern auch den gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Die in diesem Metallbetrieb vereinbarte Mindestlohnhöhe von 14,54 Euro brutto pro Stunde war materiell mit Abstand die beste „Besser-Vereinbarung“ in unserer Studie. Für die geringer Qualifizierten bedeutet sie nahezu eine Verdoppelung des tariflich gültigen Leiharbeiterlohns. Stellt ein Betriebsrat diese Errungenschaft in systematischen Mitglieder-Aufnahmegesprächen als Resultat gewerkschaftlicher Kampfkraft dar, so haben diese Argumente die Leiharbeiter bislang stets überzeugt. Sie traten zu 100 Prozent der Gewerkschaft bei. In der Konsequenz findet hier partiell nicht nur eine wirksame Interessenvertretung für, sondern teilweise auch mit den Leiharbeitern statt.

Unser Fazit: Betriebsräte spielen in vielfacher Hinsicht eine wichtige Rolle bei der Normierung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen auch von Leiharbeitern. Das heißt: Mitbestimmung macht einen Unterschied – oder auf Denglisch: „Mitbestimmung matters.“ Deutlich wurde auch: Je stärker der Betriebsrat die Leiharbeitsbedingungen mitgestaltet, desto weniger skandalisiert er die Leiharbeit.

Andererseits macht unser Einblick in zehn Metallbetriebe aber auch deutlich, wie mühsam und schwierig die Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer unter den gegebenen rechtlichen und machtpolitischen Rahmenbedingungen ist. Der jüngste Tarifabschluss der IG Metall ist hier ein wichtiger Schritt, angesichts der Problemlagen aber eher ein Trippelschritt. Grundlegende Erfolge gegen die Prekarisierung der Arbeitswelt bedürfen letztlich einer veränderten rechtlichen Regulierung, das heißt, die 2003 erfolgten gesetzlichen Liberalisierungen müssen überdacht werden. Solange dies nicht geschieht, bleibt die Lage für viele dramatisch: „Das Leben ist hart, aber grausam“, sagte eine von uns befragte Leiharbeiterin – in sarkastischer Anspielung auf die Redewendung „Hart, aber herzlich“.

Ingrid Artus ist Professorin für Soziologie an der Universität Erlangen

Mehr Informationen

Ingrid Artus/Felix Roßmeißl: Leiharbeit und prekäre Arbeit – aktuelle Situation und Trends im Organisationsbereich der bayerischen IG Metall. Erlangen, Oktober 2012, 103 Seiten.

Der Endbericht des Forschungsprojektes kann bei Ingrid.Artus(at)soziol.phil.uni-erlangen.de oder der HBS, Abteilung Forschungsförderung, bei stefan-lücking(at)boeckler.de angefragt werden. Eine Veröffentlichung ist für 2013 geplant. 

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