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Magazin Mitbestimmung

Von MICHAELA NAMUTH: PEN ehrt Arbeiterschriftsteller

Ausgabe 04/2017

Wissen Max von der Grün kannte sich aus in der Welt, über die er schrieb. Er hat selbst als Kumpel gearbeitet. In den 60er Jahren waren seine Bücher Bestseller. Jetzt greift PEN Deutschland auf seiner Jahrestagung das Thema „Arbeit und Literatur“ wieder auf.

Von MICHAELA NAMUTH

Wer sich darum sorgt, dass er über sein Smartphone bespitzelt wird, sollte wissen, dass ihm das schon in den 1960er Jahren passieren konnte. In dem Roman “Stellenweise Glatteis” erzählt Max von der Grün, wie die Belegschaft eines Betriebs über die Gegensprechanlage von der Geschäftsführung abgehört wird. Das Buch von 1973 beruht auf Tatsachen.

Von der Grüns Themen sind aktueller denn je. In seinem Roman “Irrlicht und Feuer” beschreibt er den Alltag eines Kumpels, der – zwischen gnadenlosen Arbeitsbedingungen, Ratenzahlungen für die Waschmaschine, drohender Zechenschließung und häuslichen Debatten über die Arbeitsteilung – versucht, seine persönliche Freiheit zu erhalten. Der Autor kennt die Welt, über die er schreibt. Er war selbst Kumpel in der Kohlenzeche, ehe er der erste bekannte Arbeiterschriftsteller wurde. So nannte man ihn.

PEN-Jahrestagung 2017 in Dortmund

Dafür wurde er jetzt in seiner Heimatstadt Dortmund geehrt. Die Schriftstellervereinigung PEN, der er selbst bis zu seinem Tod 2005 angehörte, hält dort vom 27. bis 30. April seine Jahrestagung ab, die sie den Schriftstellern der Arbeitswelt gewidmet hat. Das Motto lautet “Bleib erschütterbar und widersteh“.

Der PEN-Klub hat insbesondere die Tradition der Gruppe 61 aufgegriffen, die Max von der Grün mitgegründet hat. Zu diesem “Werkkreis Literatur der Arbeitswelt” gehörten Autoren wie Günter Wallraff, Peter Paul Zahl und Angelika Mechtel. Den Gründungszweck beschrieb von der Grün einmal so: “Durch diese Gruppe wurde die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, dass man eben auch Literatur schreiben kann, die mit dem einfachen Menschen auf der Straße zu tun hat oder mit dem, womit die meisten Menschen ihr Geld verdienen, nämlich mit der Arbeit.”

Max von der Grün lebte von 1963 bis zu seinem Tod in Dortmund-Lanstrop. Er wurde 1926 in Bayreuth geboren. Während des Krieges musste er seine kaufmännische Lehre in der Porzellanfabrik Rosenthal abbrechen und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Dort lernte er die deutsche Exilliteratur und die Werke von Oscar Wilde und Jack London kennen. “Die Kriegsgefangenenjahre waren meine Universität”, sagte er später in einem Interview mit dem WDR.

In den 1950ern führte ihn die Arbeitssuche nach Unna, wo er als Schlepper und dann als Hauer in der Zeche arbeitete. Nach einem schweren Arbeitsunfall wurde er zum Grubenlokführer umgeschult. Damals begann er zu schreiben. Die Erfahrung des Eingeschlossenseins unter Tage verarbeitete er in seinem ersten Roman “Männer in zweifacher Nacht”. Der literarische Durchbruch kam 1963 mit “Feuer und Irrlicht”. Es folgten allerdings auch Prozesse und Repressalien durch den Arbeitgeberverband Ruhrbergbau und später die Entlassung. In einigen Passagen kritisierte er auch die Gewerkschaft als Apparat. Später setzte er sich jedoch öffentlich für den Beitritt des Verbands Deutscher Schriftsteller in die IG Druck und Papier, heute ver.di, ein.

Kein anderer Roman dieser Zeit erregte soviel Aufsehen. Diese Art zu schreiben war ein Novum in der Nachkriegsliteratur und die Germanisten wunderten sich über die Wirksamkeit der sozialkritisch-realistischen Beobachtungen in „Irrlicht und Feuer“. Das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt, die Taschenbuchauflage erreichte 110 000 Exemplare.

Sperrige Charaktere, genauer Blick

Dieser erste Romanerfolg erlaubte es Max von der Grün bald, vom Schreiben zu leben. Seine Sprache ist unverschnörkelt und fließend. Einige seiner Bücher wurden auch verfilmt, unter anderem “Stellenweise Glatteis” mit Günter Lamprecht in der Hauptrolle. In dem Buch geht es nicht nur um Bespitzelung, sondern auch um lungenkranke Bergleute, Pegeltrinker in der Stammkneipe und den Rassismus gegen “Itaker und Türken”. Am Ende brennen die Türkenbaracken.

Er beschreibt aber auch die selbstbewusste Tochter des Arbeiters und Betriebsrats Karl Maiwald, die als Pflegerin in einem Behindertenheim arbeitet. Das Thema Behinderte taucht in seinen Büchern und Erzählungen immer wieder auf. Seinem Sohn Frank, der selbst ihm Rollstuhl sitzt, widmete er das Kinderbuch “Vorstadtkrokodile”. Es wurde mehrfach verfilmt, zuletzt als Kino-Dreiteiler.

Max von der Grün war ein Schriftsteller von großem Talent und Weitblick. Das attestierte ihm sogar die bürgerliche FAZ. Über seine Orient-Reiseberichte in dem Band “Wenn der tote Rabe vom Baum fällt” heißt es in einer Rezension von 1975: “Von der Grün gelingt es, an einem einzigen Vorfall die soziale oder politische Lage eines Landes transparent zu machen.” Mehr Lorbeeren kann ein Arbeiterschriftsteller kaum erwarten.

Foto: Barbara Morgenstern/picture alliance

 

Lesetipp

Max von der Grün, Werkausgabe in zehn Bänden, 3660 Seiten, Pendragon-Verlag:

HC, Euro 198 Euro. Auch in Einzelbänden erhältlich.

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