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Betriebsräte Jörg Romeiß (l.) und Bernd Mattheis verstehen etwas von IT und von Pflege. Magazin Mitbestimmung

Digitalisierung : Papierlos arbeiten in der Pflege

Ausgabe 01/2021

Je besser Pflegekräfte bei der Einführung neuer Technik beteiligt werden, desto schneller und besser beherrschen sie diese. Zwei Beispiele aus der Praxis zeigen mögliche Wege. Von Eckhard Geitz

Spätschicht in der Urologie am Klinikum Kassel: Pflegekräfte messen Temperatur, versorgen Wunden und prüfen Infusionen. Früher mussten sie alles notieren und im Büro in den Rechner eingeben. Heute tippen sie die Ergebnisse am Krankenbett in ihr Tablet oder den mitgeführten PC-Wagen. Daten wie Puls und Blutdruck senden die Messgeräte direkt an die elektronische Akte. Sie zeigt auch an, welche Untersuchungen die Stationsärztin für die jeweilige Patientin an diesem Tag geplant hat. Die Urologie ist eine papierlose Station im Klinikum Kassel, ein Pilotprojekt, das Digitalisierung im Klinikalltag erprobt.

Ganz ohne Papier arbeitet bisher nur eine Minderheit der 1,5 Millionen Pflegebeschäftigten in Kliniken und Pflegeheimen. Noch läuft vieles zweigleisig, analog und digital. Von einem flächendeckenden Einsatz von technischen Assistenzsystemen, künstlicher Intelligenz, Telecare oder Robotik ist der Alltag der meisten Pflegekräfte weit entfernt. Der digitale Wandel schreitet in der Pflege vor allem an einer Stelle voran: in der Dokumentation.

Damit der digitale Fortschritt reibungslos läuft, kommt es für Gewerkschafter und Personalräte wie Gregor Stroetges darauf an, die Beschäftigten an der Einführung zu beteiligen. Stroetges ist stellvertretender Personalratsvorsitzender der Klinik des Landschaftsverbands Rheinland in Viersen und Projektlotse für DigiKIK. Das Kürzel steht für: Digitalisierung – Krankenhaus – Interaktion – Kompetenz. In dem Projekt untersuchen das Institut Arbeit und Technik (IAT) aus Gelsenkirchen und die Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen mit dem Essener Bildungsinstitut im Gesundheitswesen und dem Bildungswerk Verdi in Niedersachsen, wie Beschäftigte im Gesundheitswesen den digitalen Wandel mitgestalten können. „Wir befassen uns mit papierlosen Stationen, aber auch mit Homeoffice für alle Beschäftigten – auch in der Pflege“, sagt Stroetges. Neben der Psychiatrie in Viersen gehören die Asklepios-Kliniken Langen und Hamburg-Rissen sowie das Klinikum Osnabrück zu DigiKIK.

Michaela Evans, Direktorin des Forschungsschwerpunkts Arbeit und Wandel am IAT stellt fest: „Pflegekräfte nutzen die Software nicht nur. Sie müssen Daten unter Rückgriff auf ihre fachliche Kompetenz interpretieren und in fachliche Entscheidungen übersetzen.“ Das könnten sie nur leisten, wenn sie die Chance bekommen, in die Arbeit mit der neuen Technik hineinzuwachsen und sie wirklich zu beherrschen.

Das Betriebsklima ist wichtig

Das bestätigt auch eine Umfrage unter Beschäftigten im Rahmen von DigiKIK. Wer in einem konstruktiven und offenen Umfeld arbeitet, erlebt die Einführung digitaler Technologien häufiger als Entlastung. Lässt das Betriebsklima dagegen zu wünschen übrig, sorgt die Einführung technischer Neuerungen häufiger für Stress. Dabei schätzen, laut Michaela Evans, Pflegende ihre Technikkompetenz höher und ihre Arbeitsbelastung durch Technik niedriger ein, wenn sie an der Entwicklung und Einführung im Arbeitsalltag beteiligt werden. Das gelingt allerdings nur, wenn ausreichend zeitliche und personelle Ressourcen für Schulungen zur Verfügung stehen und die Qualifizierung in den Stationsalltag eingebaut wird. In der Praxis bedeutet das: Weiterbildung im laufenden Betrieb.

Die Beteiligung der Pflegekräfte an der Einführung digitaler Technik ist der eine Erfolgsfaktor, ein anderer das Verständnis von IT-Fachleuten für die Pflege. Bernd Mattheis, Betriebsrat im Klinikum Kassel, arbeitete in der Pflege, als die Klinik in den 1990er Jahren intern Pflegekräfte suchte, die sich für Technik interessieren. Sie sollten die IT-Abteilung aufbauen und neue EDV-Systeme installieren. Bernd Mattheis und sein Betriebsratskollege Jörg Romeiß wechselten damals aus der Pflege in die IT-Abteilung. „Ich halte es für einen Vorteil, wenn es in der IT-Abteilung jemanden gibt, der etwas von Pflege versteht. Schließlich müssen wir mit unserer Software die Arbeit auf unterschiedlichen Stationen abbilden. Je besser man sich gegenseitig versteht, desto weniger hakt es bei der Einführung“, sagt Romeiß.

Transparente Entscheidungen

Geholfen hat dem Betriebsrat auch, dass er bereits 1994 mit der Geschäftsführung eine Rahmenvereinbarung zu Einführung, Nutzung und Entwicklung neuer Software abschloss. Die Vereinbarung soll Qualifikationseinbußen, Kompetenzverlust, individuelle Leistungs- und Verhaltenskontrolle, Diskriminierung und Arbeitsplatzverlust durch die Einführung neuer EDV-Systeme verhindern. Einig war man sich mit der Klinikleitung, dass Entscheidungen transparent sein sollen, die Gesamtqualifikation erhöht und Betriebsabläufe sowie Arbeitszufriedenheit verbessert werden sollten. Wie vorausschauend diese Betriebsvereinbarung war, zeigt sich inzwischen. So blieben im Rahmen der Pilotprojekte auf papierlosen Stationen bestimmte Tracking-Optionen und Zugriffsrechte gesperrt. „Sie sind zwar technisch möglich, widersprechen aber der Rahmenvereinbarung“, so Betriebsrat Romeiß.

Im Klinikalltag schwanken die Reaktionen oft zwischen Technikeuphorie und Ablehnung. Neue Formen des Datenmanagements können die Arbeit von Pflegekräften erleichtern und ihre Kompetenzen verbessern. Die Arbeitgeberseite kann sie aber auch missbrauchen, um Leistung und Verhalten der Beschäftigten zu kontrollieren. Forschungsprojekte wie DigiKIK und das gemeinsame Gestaltungskonzept im Klinikum Kassel zeigen: Beschäftigtenvertretungen können mit Rahmenvereinbarungen Pflegeberufe durch Digitalisierung aufwerten.

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