: Nichts verschenken beim Verkauf
TRANSAKTIONEN Für die Arbeitnehmer ist es vital wichtig, dass Betriebs- und Aufsichtsräte im Verkaufsprozess ihres Unternehmens eine aktive Rolle spielen.
Von Christof Balkenhol. Der Autor berät Betriebsräte und Gewerkschaften und hat mehrere Unternehmensverkäufe begleitet. c.balkenhol@matrix-partners.de
Das Übernahmekarussell dreht sich, und Unternehmen gehen von einer Hand in die andere. Deutsche Konzerne - egal, ob sie Linde, Bayer, BASF, Siemens, Altana oder KarstadtQuelle heißen - sind sehr aktiv beim Umbau ihrer Unternehmensportfolios. Sie kaufen und verkaufen Tochtergesellschaften und ganze Unternehmensbereiche. So hat sich 2006 die Bayer AG in einem Übernahmekrimi als Käufer der Schering AG durchgesetzt.
Anschließend hat Bayer den Geschäftsbereich Diagnostika an den Siemens Konzern veräußert. Die TUI AG hat sich mit dem Verkauf des Heizungsbauers Wolf von ihrer letzten Industriebeteiligung getrennt und danach das touristische Geschäft in ein Joint Venture mit dem englischen Reiseunternehmen FirstChoice eingebracht.
Die Wolf-Betriebsräte haben von Anfang an Einfluss auf den Verkaufsprozess genommen, schließlich ging es für die Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze und ihre Zukunft. "Wir waren in ständigem Kontakt mit unserer Geschäftsführung bei Wolf", sagt Betriebsrats-Vorsitzender Alfred Linzmeiner. "Wir haben dem TUI-Management klar gesagt: Ihr habt Verantwortung für uns. Während des gesamten Verkaufsprozesses haben wir uns eng mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der TUI AG abgestimmt."
HOHES KAUFINTERESSE_Auch Private-Equity-Gesellschaften und Finanzinvestoren haben ihre Präsenz auf dem Markt für "Merger & Aquisitions" (M?&?A) ausgebaut. Das Eigenkapital, das sie in ihren Fonds eingesammelt haben, stocken die PE-Gesellschaften zur Finanzierung von Unternehmenskäufen mit erheblichen Bankkrediten auf. Damit sind große Finanzinvestoren wie KKR, Blackstone oder Permira ohne weiteres in der Lage, Kaufpreise in Milliardenhöhe zu finanzieren.
Vor kurzem hat der Wiesbadener Linde-Konzern für mehrere Milliarden Euro seine Gabelstapler-Sparte an eine Gruppe von Finanzinvestoren veräußert (siehe Reportage Seite 10). Der Daimler-Konzern hat seine Tochter Chrysler an die amerikanische Private-Equity-Gesellschaft Cerberus verkauft, und nicht an einen strategischen Investor aus der Autobranche.
Gelegentlich finden solche Transaktionen auch unter umgekehrten Vorzeichen statt: Finanzinvestoren verkaufen ihrerseits an strategische Investoren. Prominentes Beispiel ist der Gartengerätehersteller Gardena aus Ulm: Den ehemaligen Familienbetrieb hatte 2002 die schwedische Beteiligungsgesellschaft Industri Kapital gekauft und jetzt wieder an den Industriekonzern Husquarna veräußert.
Der derzeitige "Kaufrausch" auf dem M&A-Markt wird einerseits durch die gute Ertragslage vieler deutscher Konzerne ausgelöst; nach Jahren der Konsolidierung suchen die Unternehmen verstärkt nach Wachstumspotenzialen durch Zukäufe. Zusätzlich heizen Private-Equity-Fonds den Markt weiter an: Sie stehen unter hohem Anlagedruck und suchen dringend nach attraktiven Beteiligungsmöglichkeiten.
Die aktuelle Krise der Finanzmärkte markiert aber möglicherweise einen Wendepunkt für Finanzinvestoren: Ihr Zugang zu Krediten wird zukünftig deutlich schwieriger werden. Im Juli mussten bereits erste Übernahmen von Private-Equity-Gesellschaften abgesagt werden, weil Bankenkonsortien zugesagte Kredite nicht mehr bereitstellen wollten und dafür sogar hohe Vertragsstrafen in Kauf nahmen.
FINANZINVESTOR ODER STRATEGISCHER INVESTOR?_ Auch DAX-Unternehmen stehen auf dem Wunschzettel von Finanzinvestoren. Ein deutliches Zeichen setzte 2006 die Finanzinvestorengruppe um Bain Capital mit ihrem (gescheiterten) Versuch, die Continental AG zu übernehmen. Dem hat sich der Hannoveraner Automobilzulieferer nun mit dem Kauf von Siemens VDO für 11,4 Milliarden Euro entzogen, wobei 50 000 Beschäftigte zu Continental wechseln. Continental setzte sich als Kaufinteressent gegen TRW durch, hinter dem Blackstone, einer der größten Finanzinvestoren weltweit, steht.
Oft treten bei Unternehmensverkäufen strategische Investoren und Finanzinvestoren als Kaufinteressenten in einen Wettbewerb. Die Erfahrung aus der Begleitung von Betriebsräten bei M&A-Prozessen zeigt: Gerade aus Arbeitnehmersicht ist nicht in jedem Fall der Finanzinvestor der "schlechte" Käufer und der strategische Investor der "gute" Käufer. Es kommt in jedem Einzelfall auf das ganz konkrete Konzept an, das ein Investor vorlegt. Nur auf dieser Grundlage kann eine fundierte Meinungsbildung der Mitbestimmungsgremien erfolgen.
DAS GESCHÄFTSMODELL IST AUSSCHLAGGEBEND_Strategische Investoren wollen durch Zukäufe in der Regel ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio ergänzen und gleichzeitig Größenvorteile realisieren. In den "Synergiepotenzialen" stecken erhebliche Risiken für die Arbeitnehmer, etwa durch Stellenabbau, die intensivere Ausschöpfung von Produktionskapazitäten oder die Zusammenlegung von Verwaltungs-, Vertriebs- und Servicefunktionen.
Es folgen häufig Werksschließungen und Standortkonsolidierungen. Die Bayer/Schering-Übernahme hat das Konfliktpotenzial beim Erhalt von Standorten und der Sicherung von Arbeitsplätzen deutlich gemacht. Andererseits kaufen und planen strategische Investoren längerfristig, wodurch sich auch der Planungshorizont für die Arbeitnehmer und deren Betriebsräte stabilisiert.
Dagegen ist das Geschäftsmodell bei Finanzinvestoren darauf angelegt, dass sie ihre Beteiligung nach drei bis fünf Jahren wieder veräußern wollen. Innerhalb dieser Frist versuchen sie, den Wert ihrer Beteiligung deutlich zu steigern, und setzen zwei Hebel an:
* Steigerung der Profitabilität im operativen Geschäft: Sowohl Maßnahmen zur Umsatzsteigerung wie auch zur Kostensenkung (darunter auch Personalkosten) stehen regelmäßig auf der Agenda der Investoren.
* Maßnahmen zur Veränderung der Bilanz und der Finanzierungsstruktur: Hierbei werden zum Beispiel stille Reserven gehoben, nicht unmittelbar betriebsnotwendiges Vermögen wird veräußert und Eigenkapital wird durch Fremdkapital ersetzt.
WACHSENDE RISIKEN AUF DEN FINANZMÄRKTEN_Ein weiteres Risiko liegt bei den Finanzinvestoren in ihrer oft aggressiven Art, wie sie den Kaufpreis finanzieren. Die Darlehen werden vom Käufer direkt oder indirekt auf das Kaufobjekt übertragen. Damit hat das gekaufte Unternehmen eine erhebliche Finanzierungslast aus seinem eigenen Cashflow zu tragen. Bleibt das Unternehmen anschließend hinter seinen Umsatz- und Ergebniszielen zurück, bricht die Finanzierungsstruktur zusammen: Beim Automobilzulieferer Kiekert verlor der Finanzinvestor Permira auf diesem Weg die Kontrolle über das Unternehmen.
Wenn überhöhte Kaufpreise bezahlt und gleichzeitig immer gewagtere Finanzierungskonstruktionen mit hohem Fremdkapitalanteil realisiert werden, wächst die Gefahr, dass aus den übernommenen Unternehmen schnell Restrukturierungs- und Sanierungsfälle werden. Inzwischen kommentieren wichtige Akteure der Finanzmärkte wie etwa der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Jochen Sanio diese Entwicklung sehr kritisch: "Dadurch, dass die Finanzierungen riskanter werden, geraten die Zielunternehmen in die Gefahr, spätestens vom nächsten konjunkturellen Abschwung dahingerafft zu werden." Die negativen Auswirkungen existenzgefährdender Schieflagen auf Arbeitsplätze liegen auf der Hand.
WAS KÖNNEN AKTEURE DER MITBESTIMMUNG TUN?_Grundsätzlich berührt ein Eigentümerwechsel zunächst die Unternehmensmitbestimmung. Im Aufsichtsrat sollte deshalb das "Ob" und "Wie" der Veräußerung eines Unternehmens oder Unternehmensbereiches intensiv diskutiert werden. Hier sind Arbeitnehmervertreter aufgerufen, die Perspektiven zu prüfen, die mit einem Eigentümerwechsel für das Unternehmen und für seine Mitarbeiter verbunden sind (Verbesserung oder Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit, Erhalt von Arbeitsplätzen, Standortauswirkungen, Tarifbindung). Beim Herauslösen von Konzernteilen sollte dabei sowohl der Blickwinkel der Mitarbeiter im herauszulösenden Unternehmen wie auch der verbleibenden Mitarbeiter im Konzern berücksichtigt werden.
Auf der betrieblichen Ebene wird der Eigentümerwechsel - rein rechtlich nach Betriebsverfassungsgesetz - meist erst dann zum Verhandlungsfeld mit dem Arbeitgeber, wenn damit Betriebsänderungen, Betriebsaufspaltungen oder Betriebsübergänge verbunden sind.
WIRKUNGSVOLLE VERNETZUNG_Die Verkaufprozesse bei Linde-Kion und AOL (siehe Berichte Seite 10 ff. bzw. 37 ff.) zeigen, wie Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat deutlichen Einfluss ausüben können. Generell ist ihre rasche und wirkungsvolle Vernetzung wichtig, strategische (Fehl-)Entscheidungen im Aufsichtsrat können auf der betrieblichen Ebene kaum noch geheilt werden.
Auf jeden Fall sollte sich der Betriebsrat frühzeitig und intensiv mit dem Verkaufsprozess auseinandersetzen und dabei seinen Einfluss geltend machen - unabhängig von formalen Mitbestimmungsrechten. Die Erfahrung aus der Begleitung solcher M&A-Prozesse zeigt: Man kann Arbeitgeber durchaus davon überzeugen, dass die Einbindung des Betriebsrat sinnvoll ist - auch über die engen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes hinaus.
Denn durch diese Einbindung der Vertrauenspersonen auf der Arbeitnehmerseite kann die Integration des gekauften Unternehmens befördert werden. Wie konstruktiv oder ablehnend sich der Betriebsrat zum M&A-Prozess positioniert, das hat eben oft auch erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung (und Motivation) der betroffenen Mitarbeiter.
Intensive Auseinandersetzung mit dem Verkaufsprozess heißt:
* Klarheit über den geplanten Ablauf gewinnen: In welchen Phasen werden mögliche Erwerber angesprochen? Bis wann sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein? Wann soll der Übergang auf den neuen Eigentümer erfolgen?
* Eckpunkte bei den Verkaufsverhandlungen in Erfahrung bringen: Welche Teile des Unternehmens werden veräußert? Welche Mitarbeiter sind betroffen? Welche Teile des Betriebs- und Anlagevermögens sollen planmäßig veräußert werden?
* Auswahlprozess der Kaufinteressenten: Wer wird im Rahmen des M&A-Prozesses als möglicher Käufer angesprochen? Nach welchen Kriterien werden aus der Liste möglicher Kaufinteressenten diejenigen Bieter ausgewählt, mit denen man in exklusive Kaufverhandlungen eintritt?
* Unternehmensprofile der Bieter: Für diejenigen Unternehmen, mit denen intensive Verhandlungen aufgenommen werden, sollte der Betriebsrat eine fundierte Einschätzung entwickeln. Dazu sind insbesondere Informationen über wirtschaftliche Kennziffern (Umsatzentwicklung, Ertragskraft Finanzierungsstruktur) und über die strategische Perspektive zu beschaffen und auszuwerten. Ähnlich gelagerte Referenzfälle liefern häufig wichtige Erkenntnisse: Wie ist das Käuferunternehmen in der Vergangenheit mit Unternehmenskäufen umgegangen? Wie erfolgreich waren die Integrationen? Welche Perspektive hat sich für Mitarbeiter und Mitbestimmung ergeben?
* Kenntnis über die vorgelegten Investorenkonzepte: Wohin wollen die jeweiligen Bieter das Geschäft entwickeln? Welche Businesspläne legen diese dem Kauf zu Grunde? In welchem Maße planen die Erwerber Investitionen? Welche Perspektiven zur Absicherung von Arbeitsplätzen sind erkennbar? Wichtig ist darüber hinaus Kenntnis über die geplante Finanzierungsstruktur des Unternehmenskaufes (In welchem Umfang werden Darlehen aufgenommen? Werden die Finanzierungslasten unmittelbar auf das Kaufobjekt übertragen? etc.). Zusätzlich sollte auch das organisatorische, gesellschaftsrechtliche und kulturelle Integrationskonzept hinterfragt werden.
EXISTENZIELLES ANLIEGEN DER ARBEITNEHMER_Wer sich so fundiert als Betriebsrat mit dem Verkaufsprozess auseinandersetzt, kann sowohl den M&A-Prozess in seinem Ablauf überblicken wie auch eine eigene Einschätzung zu den Kaufinteressenten erarbeiten. Auf dieser Grundlage lassen sich dann entsprechende Forderungen an ein Übernahme- und Integrationskonzept ableiten - wie zum Beispiel Investitionszusagen und Beschäftigungssicherung.
Dabei sind auch die Arbeitgeber gut beraten, die Betriebsräte einzubeziehen, denn eine aktive Rolle der Vertrauenspersonen der Arbeitnehmer wirkt stabilisierend. Es gibt gute Praxis, wo das Management sehr wohl bereit war, auf begründete Argumente von Betriebsräten und gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten bei der Auswahl eines Käufers einzugehen.
Die Einflussnahme der Arbeitnehmervertreter im Fall Linde ist auch in der Wirtschaftspresse wohlwollend kommentiert worden. Es gibt also durchaus öffentliche Unterstützung dafür, dass die Anliegen der Arbeitnehmer bei einer so wichtigen und nicht selten existenziellen Entscheidung gehört werden.
ZAHLEN
60 Prozent mehr Unternehmenskäufe und -verkäufe (M?&?A) wurden in Deutschland zwischen 2005 und 2006 verzeichnet.
230 Milliarden Euro sind für Unternehmen bezahlt worden, die 2006 verkauft wurden.