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Genesis: „Get ’Em Out By Friday“ Magazin Mitbestimmung

Politisches Lied: Mietdrama

Ausgabe 04/2021

1972 schreibt die Prog-Rock-Band Genesis einen Song über die Wohnungsmisere: „Get ’em out by Friday“ handelt von der alleinerziehenden Mrs. Barrow und ihrer Tochter Mary. Von Martin Kaluza

Genesis: „Get ’Em Out By Friday“ (1972)

I think I’ve fixed a new deal
A dozen properties – we’ll buy at five and sell at thirty-four
Some are still inhabited
It’s time to send the winkler to see them
He’ll have to work some more

Den entscheidenden Tipp bekommt Peter Rachman von seiner Lieblingsprostituierten. Nirgends könne sie ein Zimmer mieten, weder für ihre Geschäfte noch zum Wohnen. Rachman, der als polnischer jüdischer Einwanderer nach dem Zweiten Weltkrieg einen Lebensunterhalt sucht, mietet fortan Wohnungen, um sie an Leute weiterzuvermieten, die auf dem Wohnungsmarkt keine Chance haben. Es ist der Beginn einer steilen Karriere.

Seine Mieten sind überteuert, doch seine Kundschaft ist dankbar. Denn ob Prostituierte­ oder Einwanderer aus der Karibik – Rachman tritt ihnen ohne Vorbehalte gegenüber. Er operiert in Paddington, North Kensington und Notting Hill. Er beginnt, über Hypotheken finanziert, heruntergekommene Mietshäuser zu kaufen.

Da die Mieten für unmöblierte Wohnungen gedeckelt sind, will er die alten Mieter loswerden. Einige bewegt er mit Abfindungen zum Auszug. Andere werfen das Handtuch, weil Rachman die Häuser verfallen lässt und die freien Wohnungen mit viel zu vielen Menschen vollstopft, bevorzugt mit Einwanderern von den Westindischen Inseln. Wenn sie bis spät in die Nacht laute Musik hören: Rachman ist es recht. Er kauft bei Entrümplern billigste Tische, Sessel und Schränke und vermietet die Wohnungen zu einem Vielfachen neu.

Binnen elf Jahren baut Rachman ein Geflecht aus 33 Firmen auf, die seine Immobiliengeschäfte verschleiern, investiert in Nachtclubs, freundet sich mit Schauspielern an und fährt im Rolls Royce durch die Gegend. Er ist nicht der einzige Großvermieter, der Mieter systematisch vergrault, doch er ist der schillerndste.

1972 schreibt die Prog-Rock-Band Genesis einen Song über die Wohnungsmisere. „Get ’em out by Friday“ handelt von der alleinerziehenden Mrs. Barrow und ihrer Tochter Mary. Im Verlauf des Gentrifizierungsdramoletts schlüpft Sänger Peter Gabriel abwechselnd in die Rollen des Vermieters, seines Angestellten, der Mutter.

Die Geschichte spielt in Harlow, einem Vorort nördlich von London, in dem das erste Wohnhochhaus des Landes steht. Das Wohnungsunternehmen Styx Enterprises schickt seinen Entmietungsexperten, den „Winkler“. Er schüchtert Mrs. Barrow so gründlich ein, dass sie ihm anbietet, freiwillig die doppelte Miete zu zahlen. Doch der Winkler will sie bis Freitag raushaben. Er lockt sie mit Geld: Für 400 Pfund Entschädigung ziehen Mutter und Tochter in einen neuen Wohnblock mit Zentralheizung, in dem sie sich überhaupt nicht wohlfühlen. Sie sind noch nicht eingezogen, da wird die Miete schon erhöht.

Der Schlusspart des Songs spielt in der Zukunft, im Jahr 2012. Die Miethaie haben sich mit der Gentechnik verbündet. Sie setzen durch, dass Menschen nur noch vier Fuß groß sein dürfen – etwa einen Meter zwanzig. Die Idee: So passen doppelt so viele Menschen in die gleiche Anzahl Wohnungen. Und die Eigentümer kassieren doppelt. Peter Rachman, das reale Vorbild für den Vermieter aus dem Song, stirbt 1962 an einem Herzinfarkt. Das Oxford Dictionary führt den Begriff „Rachmanism“ bis heute als Synonym für die „Ausbeutung und Einschüchterung von Mietern durch skrupellose Vermieter“.

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