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Metaller für den Sozialismus Magazin Mitbestimmung

Rätselhaftes Fundstück: Metaller für den Sozialismus

Ausgabe 06/2021

Im Dezember 1921 kommen in Leipzig Hunderte Delegierte des Deutschen Metallarbeiterverbandes zu ­einem Kongress zusammen. Das Treffen wird beherrscht von Diskussionen um die richtige Wirtschaftsverfassung. Von Wolf-Dieter Rudolph

Im Jahr 1921 ist Deutschland ein Land, das sich nicht zwischen Hoffnung und Verzweiflung entscheiden kann. Zu frisch sind die verstörenden Eindrücke von den Schlachtfeldern des Krieges und den Bürgerkriegsszenen der Novemberrevolution. Das im Vorjahr verabschiedete Betriebsrätegesetz erscheint wie ein matter Abglanz dessen, was die Geschichte vielleicht in dieser Stunde bereitgehalten hatte. Die Versorgungslage ist drei Jahre nach Kriegsende immer noch angespannt. In den Gewerkschaftshäusern wogen die Diskussionen über steigende Lebensmittelpreise, die stockende Kohleversorgung und die Folgen des Versailler Vertrages hin und her. Vor diesem Hintergrund organisiert der zum Gewerkschaftsdachverband ADGB gehörende Deutsche Metall­arbeiterverband (DMV) einen „Reichsbetriebsrätekongress“, der Klarheit über die künftige Strategie schaffen soll. 

Das Bürgertum bestimmt weiter die Geschicke Deutschlands – und den Geschmack der Arbeiter. Die Einlasskarte zur Begrüßungsfeier des Arbeiterparlaments wirkt wie die Einladung zu einem Konzertabend. Eine weibliche Gestalt ziert sie – wohl die „Libertas“, eine Allegorie der Freiheit. Doch was bringt den Arbeitern die echte Freiheit? 

Die Veranstaltung findet vom 5. bis 7. Dezember im Leipziger Volkshaus statt. Das Gebäude, das im Vorjahr während des Kapp-Putsches durch die Reichswehr zur Ruine zerschossen wurde, ist erst seit dem 1. Mai wieder eröffnet. Es reisen 600 Delegierte an. Alle sind von den Betriebsratsmitgliedern, die dem DMV angehören, per Urwahl gewählt. Zukunftsweisend und die strikte Trennung von „Hand-“ und „Kopfarbeitern“ ignorierend, nehmen an dem Kongress auch Delegierte des nicht zum ADGB gehörenden Allgemeinen freien Angestelltenbunds teil.

Die Delegierten stellen, in scharfer Abgrenzung zu den Führungen der meisten Gewerkschaften, die mit den Arbeitgebern eine „Arbeitsgemeinschaft“ gegründet und zugunsten des Achtstundentags sowie der Anerkennung als Tarifpartner auf weitere revolutionäre Forderungen verzichtet haben, die Besitzverhältnisse infrage. Sie fordern, die Wirtschaft in eine sozialistische Bedarfswirtschaft umzuwandeln und die Kohle- und Eisenindustrie zu sozialisieren. Das Betriebsrätegesetz gilt ihnen als Kompromissgesetz. Der DMV-Vorsitzende Robert Dißmann, Mitgründer der USPD, wirft den Unternehmern vor, das Gesetz zu sabotieren. 

In Leipzig werden auch etliche Defizite des Gesetzes offenbar wie die Unmöglichkeit, Konzernbetriebsräte einzurichten, oder das Fehlen gesetzlicher Vorschriften für Betriebsratsschulungen. Ganz oben auf der Liste mit Verbesserungsvorschlägen steht die Erweiterung der Rechte in wirtschaftlichen Fragen.

Die Journalistin, Gewerkschafterin und Reichstagsabgeordnete Tony Sender bedauert in einer Nachbetrachtung des Kongresses das Scheitern der Revolution von 1918, das wie ein Trauma gerade den linken Flügel der Gewerkschaften verfolgt. Die Ursachen sieht Sender weniger in der Zerrissenheit der „politischen Front der deutschen Arbeiterschaft“, sondern vor allem in der ausgebliebenen Vergesellschaftung der Produktionsmittel: „Politischer Sozialismus ohne ökonomische Grundlage muss zusammenbrechen.“

Rätselfragen

  • Wie heißt der Verfasser eines Kommentars zum Betriebsrätegesetz, dessen letzte ­Auflage der Gesuchte 1931 gemeinsam mit Otto Kahn-Freund publizierte?
  • Der gegen den Widerstand der Arbeitgeber durchgesetzte § 70 des Betriebsrätegesetzes bedurfte eines Ausführungsgesetzes, das im Februar 1922 verabschiedet wurde. Was wurde darin geregelt?
  • Tony Sender musste nach der Machtübernahme der Nazis aus Deutschland fliehen. Welches Land wurde ihr Exil?

Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 28. Januar 2022 bei uns ein­gehen, nehmen an einer Auslosung teil.

Preise
1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 100 Euro
2.–4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro

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Auflösung der Rätselfragen 5/2021

  • „Wilhelm Gustloff“
  • 1947
  • München
  • Die Einlasskarte zur Begrü ungsfeier des Arbeiterparlaments

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