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Magazin Mitbestimmung

Arbeit 4.0: Mensch gegen Maschine

Ausgabe 06/2015

Die Industrie steht vor grundlegenden Veränderungen. Mit der digitalen Vernetzung der Produktion wird sich zwangsläufig auch die Arbeit verändern. Doch wo und wie genau die neue Technik eingesetzt wird, hängt auch von den Beschäftigten selbst ab. Von Olaf Struck, Professor für Arbeitswissenschaft an der Universität Bamberg

Die Diskussion über die Zukunft der Industrie ist derzeit bestimmt von einem Begriff: Industrie 4.0. Was in der Debatte um die Digitalisierung der Produktion bislang aber kaum eine Rolle spielt, ist die Frage, wie sich die  Industriearbeit entwickeln wird. Werden Beschäftigte, befreit von Routinetätigkeiten neue Handlungsspielräume erhalten oder wird Automatisierung und Standardisierung Fachkräfte in ein enges Korsett zwängen? Diese Fragen sind zwar so alt wie die Anfänge der Industriearbeit, sie stellen sich aber derzeit wieder - in aller Dringlichkeit.

Um die passenden Antworten geben zu können, ist es notwendig zu wissen, welche Hebel bedeutsam sind, um Weichen in die eine oder andere Richtung zu stellen. Genauso wichtig ist es aber auch mitzudenken und mitzugestalten, welche Interessengruppen im Rahmen welcher kooperativen oder konflikthaften Verfahren die bedeutsamen Hebel bedienen können. Dabei ist zu berücksichtigen: Es sind nicht allein die Schalter Technik, Arbeitsorganisation und Personalentwicklung, die darüber entscheiden wie Menschen in Zukunft arbeiten werden. Wichtig sind auch jene Hebel, die in der Arbeits- und Sozialpolitik oder in der Bildungspolitik Weichenstellungen auch für die Menge und Qualität des Angebotes an Arbeitskräften vornehmen. 

Die Digitalisierung der Produktion birgt erhebliche Veränderungspotentiale. Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien werden über das bekannte Maß hinaus Kundendaten, Werkstücke, Maschinen und Menschen digital enger als bisher miteinander vernetzt. Das Ziel: Es geht um eine von Wettbewerb getriebene hochproduktive Qualitätsproduktion, mit häufig sehr geringen Losgrößen bis hin zu Einzelstücken sowie um sehr flexible Anpassungen an Veränderungen auf von Schwankungen geprägten Märkten. 

Welche Folgen hat dies für die Arbeitsanforderungen der Beschäftigten? Für höherqualifizierte Beschäftigte in der Entwicklung und Steuerung von Technik, Kapital, Marktverbindungen, Arbeitsorganisation und Personal werden die Anforderungen komplexer und vernetzter. Sie müssen sich zunehmend an Prozessen orientieren und sehr flexibel mit unterschiedlichen Techniken, Projektteams und Marktbedingungen umgehen. Geringe Kontrollmöglichkeiten, eine große Bedeutung von Erfahrungswissen und hohe Verantwortung sind mit großen Handlungsspielräumen verbunden. Das hohe Maß an Können und Vernetzung sichert hier berufliche Verläufe auch wenn der Betrieb gewechselt wird.

Auf der anderen Seite wird es auch weiterhin einfache Tätigkeiten geben, die von Personen mit geringen oder falschen Qualifikationen ausgeübt werden können. Diese hochstandardisierte Arbeit steht jedoch immer unter dem Druck, entweder durch weitere Automatisierung oder durch Verlagerung ins Ausland ersetzt zu werden. Dies gilt für einfache Arbeiten an Maschinen ebenso wie für Lagertätigkeiten oder einfache Buchhaltungs-, Such- und Dokumentationsaufgaben in kaufmännischen Bereichen. In der Industrie werden diese Stellen weiter abgebaut. Aber, sofern genügend Menschen bereit sind diese Aufgaben zu geringen Löhnen zu erledigen, besteht für Unternehmen kein Anreiz schnell zu automatisieren. Ob Menschen für prekäre Beschäftigung zur Verfügung stehen, hängt unter anderem davon ab, ob es gelingt, die zu hohe und stabile Quote jener 15 Prozent, die keine berufsfachliche Ausbildung haben, zu senken, ob in Arbeitsagenturen die schnelle Vermittlung im Vordergrund steht oder eine an die Biographie und an Zukunftsbedingungen der Wirtschaft angepasste Qualifizierungsstrategie, und ob Arbeitsverhältnisse wie beispielsweise die Leiharbeit weiter existieren, in denen die berufsfachlichen Qualifikationen entwertet und damit Chancen für gute Arbeit verbaut werden.

Zwischen diesen beiden Gruppen existiert eine weitere große Gruppe: Die industriellen Facharbeiter. Ihre Zukunft ist ungewiss. Dabei ist diese Gruppe für die Einschätzung der Gesamtentwicklung am wichtigsten. Wenn es um die künftige Gestaltung der Arbeitsbedingungen geht, muss daher ein besonderes Augenmerk auf ihnen liegen. Über verbesserte Sensoren und neue Lernsysteme scheint es möglich, dass die Bedeutung des Erfahrungswissens an Maschinen stückweise zurückgedrängt wird. So können etwa Dialoge zwischen Mensch und der sich künftig selbst steuernden Maschine deutlich vereinfacht werden, so dass jahrelange Lernprozesse nicht mehr notwendig sind. Geht etwas schief, dann kommt der Spezialist. Unternehmen können solche durch Technik und Arbeitsorganisation vereinfachte und knapp zugeschnittenen Arbeiten fördern. Sie werden es insbesondere dann tun, wenn ihnen qualifizierte Fachkräfte fehlen! Die Zukunft kann aber auch anders aussehen: Qualifikation und Handlungskompetenz bleiben in der Werkhalle. Die Mitarbeiter werden über mehr Verantwortung und eine Anreicherung ihrer Tätigkeit – von der Qualitätssicherung über die Steuerung und die Wartung bis hin zu Abstimmungen mit anderen Teams und der Selbstorganisation – in die Prozesssysteme einbezogen.

Welchen der beiden Wege die Unternehmen einschlagen werden, ist offen. Es wird aber – wie bei den einfachen Tätigkeiten – vom Beschäftigtenpotential abhängen. Breit und praxisnah qualifizierte junge Menschen werden nur schwer in automatisierte Korsetts zu pressen sein. Damit sind wichtige Hebel in Unternehmen schon in der beruflichen Ausbildung zu ziehen. Aber umgelegt werden müssen die Hebel vor allem in der schulischen und universitären Bildung. Diese ist heute zu wenig an realer Komplexität und realen Prozessen und zu stark auf standardisiertes Lehrbuchwissen orientiert. Das war mal anders. Es war die Zeit vor der Re-Taylorisierung.

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