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Magazin Mitbestimmung

Schuldenkrise: London stellt auf stur

Ausgabe 12/2011

GROSSBRITANNIEN Mit allen Mitteln kämpft die britische Regierung gegen eine straffe Kontrolle der Finanzbranche. Sie riskiert den Bruch mit den Gewerkschaften – und den europäischen Nachbarn. Von Ingmar Höhmann

INGMAR HÖHMANN ist Journalist, zurzeit in London/Foto: Kirsty Wigglesworth, AP

Ein riesiges Monopoly-Spiel, in der Mitte sitzt ein Banker. Er streckt seinen Zylinder aus und bettelt um Geld. Für Alison Playford, die dem Protestcamp der Londoner Occupy-Bewegung angehört, ist die Skulptur auf dem St. Paul’s Square ein Symbol: „Die Bürger zahlen mit ihren Steuern für die Fehler der Finanzbranche“, sagt die Schauspielerin. „Es ist Zeit, dass die Banken etwas an die Gesellschaft zurückgeben.“

Die Demonstranten in Europas Finanzhauptstadt haben eine klare Meinung – im Zweifel sind sie gegen die Finanzbranche. Doch das Zeltcamp vor der St.-Paul’s-Kathedrale steht für mehr: „In Großbritannien wird der Ruf nach mehr Fairness in der Gesellschaft und im Steuersystem lauter“, sagt Owen Tudor, Leiter der Abteilung Europäische Union und internationale Beziehungen beim britischen Gewerkschaftsbund TUC. „Die Leute akzeptieren nicht, dass die Banken, die für den Ausbruch der Finanzkrise verantwortlich sind, der Regulierung entkommen.“

GRÖSSTER WIRTSCHAFTSZWEIG_ Egal ob beim Verbot ungedeckter Leerverkäufe, bei Börsenvorschriften, dem Austrocknen von Steuerparadiesen, die unter britischer Oberhoheit stehen, oder dem Vorgehen gegen die Spekulation mit Rohstoffen – stets entschied sich Großbritannien gegen mehr Regulierung. Gewerkschaften wie der TUC, der sich für eine stärkere Finanzmarktregulierung ausspricht, finden bei der konservativen Regierung kein Gehör. Doch nun hat selbst die von der Regierung eingesetzte Independent Commission on Banking, geleitet vom renommierten Ökonomen John Vickers, im September Reformen angemahnt. Und eine Studie des Londoner Thinktanks New Economics Foundation (NEF) kommt zu dem Schluss: „Großbritannien untergräbt den Weg zu einem sichereren Finanzsystem und ist zum Hindernis für internationale Reformbestrebungen geworden.“

Das zeigt sich nirgends deutlicher als bei der Ablehnung der auch vom TUC geforderten Finanztransaktionssteuer. Sie könnte Schwankungen an den Finanzmärkten verringern und vor Krisen schützen. Der Grund: Immer mehr Geschäfte werden durch Computer gesteuert. In Millisekunden entscheiden diese per Algorithmus über Kauf und Verkauf von Werten. Das „High-Frequency Trading“ mache 56 Prozent aller Geschäfte in den USA und 38 Prozent in Europa aus, sagt TUC-Experte Tudor – und sei „pures Wetten“. Die Steuer soll dem einen Riegel vorschieben.

Deutschland und Frankreich treiben die Idee voran, auch die EU-Kommission steht hinter dem Vorhaben: Sie hat vorgeschlagen, Käufe von Anleihen und Aktien in der EU mit einer Steuer von 0,1 Prozent zu belegen, Derivatgeschäfte mit 0,01 Prozent. Das soll geschätzte Einnahmen von 57 Milliarden Euro pro Jahr bringen. In Großbritannien haben sich neben Wirtschaftsexperten auch Persönlichkeiten wie Schauspieler Bill Nighy oder Rowan Williams, das geistliche Oberhaupt der englischen Kirche, für die Steuer ausgesprochen. Doch die Regierung stellt sich stur. Premierminister David Cameron beschwört verheerende Folgen herauf. „Die Vorschläge sind eine Kugel, die auf das Herz Londons gerichtet ist“, sagt er. „Wenn Amerika und China nicht mitmachen, wäre das ökonomischer Selbstmord für Großbritannien und Europa.“

Unterstützung bekommt Cameron von wirtschaftsliberalen Forschern. Eine EU-weite Steuer würde das Wirtschaftswachstum abwürgen und die Arbeitslosigkeit erhöhen, schreiben Adam Baldwin und Sam Bowman in einer Studie des Adam Smith Institute. Tatsächlich hängt die Ökonomie in keinem anderen Land in Europa so stark vom Wohl und Wehe der Banken ab. Seit Anfang der 90er Jahre ist die britische Finanzbranche der größte Wirtschaftszweig, wichtiger als die verarbeitende Industrie. 28 Prozent aller Dienstleistungsexporte stammen aus dem Finanzsektor – zuvorderst von den Banken. Nicht zuletzt zahlen die Finanzdienstleister elf Prozent aller Steuern – in einem Land, das knapp bei Kasse ist, hat das Gewicht. Zudem bauen Finanzinstitute wie BNP Paribas, Bank of America und Nomura bereits im großen Stil Jobs im Investmentbanking ab. Schätzungen zufolge fallen dieses Jahr weltweit bis zu 200 000 Arbeitsplätze in der Finanzindustrie weg – ein nicht unerheblicher Teil davon in London.

Die Befürworter der Steuer halten die Argumente der Finanzlobby für vorgeschoben. Die Banken würden in London bleiben, weil sie auf die Subventionen angewiesen seien, sagt TUC-Experte Tudor. Die staatlichen Garantien von über 100 Milliarden Pfund ermöglichten den Kreditinstituten eine günstige Refinanzierung. Im Gegenzug bedeute das höhere Finanzierungskosten für den Staat – das relativiere dann auch die Steuerzahlungen der Banken. „Angesichts der Subventionen müsste der Finanzsektor noch viel höhere Steuern zahlen“, fordert Tudor.

Dennoch: Die Politik scheint sich entschieden zu haben. Sowohl Finanzminister Osborne als auch sein Gegenpart von der Labour-Opposition, Ed Balls, schließen einen europäischen Alleingang aus. Sie wollen eine Finanztransaktionssteuer nur mittragen, wenn alle G20-Industriestaaten mitziehen. Das aber scheint angesichts der Ablehnung der USA unmöglich.

KÄMPFERISCHE GEWERKSCHAFTEN_ Zumindest für die Vorschläge der Vickers-Kommission zeigt sich die Regierung offen. Zentraler Punkt ist das sogenannte „Ringfencing“ – die finanzielle Abschottung des Investmentbankings vom Privatkundengeschäft innerhalb einer Bank. Das soll verhindern, dass sie die Einlagen der Kunden für spekulative Investments missbraucht. NEF-Finanzexpertin Lydia Prieg hält das vom Grundsatz her richtig, im Detail für falsch. „Die Kommission schlägt vor, dass die Bank selbst entscheiden kann, was zu welchem Teil gehört. Diese Flexibilität macht das Ringfencing praktisch nutzlos und für Regulierer zum Albtraum.“ Zudem reiche die Abschottung des Investmentbankings nicht aus, um Krisen zu verhindern. „Auch Lehman Brothers war eine reine Investmentbank ohne Privatkundengeschäft. Trotzdem hat ihr Kollaps Schockwellen rund um den Globus ausgesandt.“

Ohnehin ist Prieg skeptisch, ob es Reformen geben wird – denn sie sollen erst 2019 bindend werden. „Das gibt den Banken genug Zeit, die Vorschläge zu verwässern, wenn die Zeitungen nicht mehr jeden Tag über Finanzmarktregulierung berichten“, sagt sie. Gewerkschafter Tudor gibt sich kämpferisch: „Es werden noch politische Schlachten gefochten werden. Bei einer Labour-Regierung wird unser Einfluss stärker sein.“ Unter Premierminister Cameron jedoch hat der Kampf wenig Aussicht auf Erfolg. Kürzlich veröffentlichte das Bureau of Investigative Journalism Details zur Parteienfinanzierung. Die konservative Partei erhält mehr als die Hälfte aller Spenden von der Finanzindustrie. Der größte Geldgeber darunter sind Hedgefonds – kaum jemanden würde eine Finanztransaktionssteuer härter treffen.

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