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DGB-Chef Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Vorstands der Hans-Böckler- Stiftung, über den Zehn-Punkte-Plan des DGB zur Weiterbildung, die Rolle von Mentoren und die Frage, wie man Lust auf Wissen macht Magazin Mitbestimmung

Interview: "Lernen muss ein Gewinn sein, keine Last"

Ausgabe 03/2019

DGB-Chef Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung, über den Zehn-Punkte-Plan des DGB zur Weiterbildung, die Rolle von Mentoren und die Frage, wie man Lust auf Wissen macht. Das Gespräch führte Ines Gollnick

Reiner Hoffmann, warum hat der DGB einen Zehn-Punkte-Plan zur Weiterbildung aufgestellt? 

Der Zehn-Punkte-Plan ist unser Beitrag, um endlich von den Sonntagsreden der Politik wegzukommen und wirkende Maßnahmen zu ergreifen. Wir reden seit Anfang der 70er Jahre über Weiterbildung. Ich erinnere an die erste Stellungnahme der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, in der das Thema lebenslanges Lernen beziehungsweise lebensbegleitendes Lernen eine wichtige Rolle spielte. Schaue ich mir die reale Entwicklung und die Veränderungen in der Arbeitswelt an, haben wir da noch immer ganz viel Luft nach oben.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, das Initiativrecht der Betriebsräte zu stärken. Kann man so den Druck der Mitbestimmung auf die Unternehmen, für mehr betriebliche Weiterbildungsmöglichkeiten zu sorgen, ausreichend erhöhen? 

Ja, zur Stärkung von Weiterbildung im Betrieb ist Mitbestimmung zentral. Uns fehlt aber ein – gesetzlich verbindliches – generelles Initiativ- und Mitbestimmungsrecht. Dieses Beteiligungsrecht ist bislang bei der Einführung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen lediglich auf den Ausgleich von Qualifikationsverlusten infolge arbeitgeberseitiger Tätigkeitsänderungen beschränkt. Hier reicht das Versprechen im Koalitionsvertrag mit einer Moderation nicht aus. Der Betriebsrat muss die Einigungsstelle anrufen können, wenn es keine Verständigung mit dem Arbeitgeber gibt, die diese Einigung rechtsverbindlich ersetzt. Nur so kann das versprochene Initiativrecht auch durchgesetzt werden, andernfalls bleibt es ein stumpfes Schwert.

Der DGB fordert, Kurzarbeit mit Weiterbildung zu verknüpfen. Wer sich weiterqualifiziert, soll sein Beschäftigungsverhältnis behalten. Reicht das als Anreiz aus, um diesen Weg zu beschreiten?

Kurzarbeit ist ein bewährtes Mittel, um Umbrüche zu bewältigen. Man baut den Beschäftigten durch die Verknüpfung mit Weiterbildung Brücken, im Betrieb bei sich ändernden Tätigkeitsanforderungen mitgenommen zu werden. Gleichzeitig minimieren sich die Entgeltverluste in dieser Zeit. Die Alternative wäre der Weg über den Arbeitsmarkt, das wollen wir unbedingt vermeiden.

Wie steht es um die Akzeptanz von Weiterbildung bei den Beschäftigten selbst?

Die DGB-Gewerkschaften haben schon viele Vereinbarungen in Sachen Weiterbildung abgeschlossen. Doch sie sind nur erfolgreich, wenn sie bei den Menschen auf Zustimmung stoßen. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, dass bildungsaffine Arbeitnehmerschichten viel offener für Weiterbildungsangebote sind als bildungsferne. Das hat mit den Sozialisations- und Bildungserfahrungen der Menschen zu tun. Bildung muss am Ende des Tages auch Spaß machen, sie muss Neugierde hervorrufen. Dafür braucht man ein kulturelles Umfeld, das motiviert. Deshalb muss man die ganze Weiterbildungsdebatte in eine offensive Bildungsstrategie einbetten und Bildung in der Republik bereits für junge Menschen deutlich attraktiver machen. 

Was läuft da bisher noch schief?

Die frühe Selektion in unserem Bildungssystem ist völlig falsch, sie zementiert soziale Segmentierung und produziert negative Bildungserfahrungen. Neugierde an Bildung bedarf eines kulturellen Wandels. Dann kann da was draus werden. Gerade junge Menschen werden bei einer Erwerbsbiografie von 35 bis 40 Jahren – und das ist heute anders als bei vielen aus der älteren Generation – nicht mit einer berufsqualifizierenden Maßnahme durch das komplette Erwerbsleben gehen können, ohne sich kontinuierlich weiterzubilden. Aber dafür brauche ich auch ein kulturelles Umfeld, in dem Lernen nicht als Last, sondern als Gewinn gesehen wird. Gleichzeitig brauchen wir dringend bessere, auch finanzielle, Unterstützungsstrukturen, insbesondere auch für Geringqualifizierte und Menschen mit kleinem Einkommen. 

Was könnten in diesem Zusammenhang Weiterbildungsmentoren bewirken? 

Durch die persönliche Ansprache der Mentoren kann den Menschen vor allem viel von der Unsicherheit genommen werden, die mit Veränderungen einhergehen kann. Es gibt Menschen, die versuchen, sich mit ihren einmal erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen möglichst bis zur Rente durchzuschlagen. Die Scheu vor einer beruflichen Neuorientierung oder Weiterentwicklung muss man ihnen nehmen. Das bedarf einer individuellen Begleitung, die Weiterbildungsmentoren gut übernehmen können. 

Weiterbildung kostet allerdings auch Geld. Was sollte passieren, damit die Finanzierung nicht immer wieder zum Stolperstein wird?

Wir brauchen einen ausgewogenen Finanzierungsmix. Einerseits brauchen wir einen schnellen Ausbau präventiver Arbeitsmarktinstrumente. Es ist günstiger, jetzt die Transformationsprozesse arbeitsmarktpolitisch zu flankieren als später Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

Andererseits muss dabei klar sein, dass die Unternehmen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden dürfen. Und dabei geht es nicht nur um die großen, denn zwei Drittel der Menschen in Deutschland arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen. Kammern vor Ort könnten sie systematisch unterstützen und etwa über Fonds- und Branchenlösungen entsprechende finanzielle Ressourcen der einzelnen Unternehmen für Weiterbildung bündeln. 

Welchen Stellenwert hat die Weiterbildungsinitiative im großen Chor der Themen für den DGB? 

Vor dem Hintergrund des rasanten Wandels in der Arbeitswelt hat sie eine hohe Priorität. Wir erleben, dass sich die Arbeitswelt rasant verändert. Die Halbwertszeit der technologischen Innovationen wird immer kürzer – und damit auch die Halbwertszeit von Qualifikationen und Kompetenzen der Beschäftigten. Da muss man jetzt wirklich nachlegen, damit man den Zug der Zeit nicht verpasst.

  • DGB-Chef Reiner Hoffmann (Foto: Christoph Michaelis)

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