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Magazin Mitbestimmung

: Krieg der Zahlen

Ausgabe 07/2007

PRAXIS Der Etikettenhersteller Paxar in Sprockvövel hat die Hälfte der Produktion ins Ausland verlagert. Der Betriebsrat wehrte sich, engagierte Unternehmensberater - und verlor. Doch nun weiß der Vorstand, mit wem er sich anlegen muss.

 

Von HENDRIK ANKENBRAND. Der Autor arbeitet als freier Journalist in Köln.


Drei Paletten, sonst ist die Halle leer. Ausgeräumt und ausgefegt. Allein die Schleifspuren am Boden liefern den Beweis, dass hier einst Reihe um Reihe gewaltige Webstühle ihr ratterndes Werk verrichteten. Nebenan dröhnt Maschinenlärm, doch vertreiben kann er die Öde nicht, die dieser funktionslos gewordene Platz ausstrahlt. In Sprockhövel stirbt ein Stück Webereitradition, und eine von zwei Maschinenhallen ist bereits tot.

Wer am Südrand des Ruhrgebiets im bergisch-märkischen Hügelland nach Beispielen für den Sog der Globalisierung fahndet, wird am deutschen Standort der US-Firma Paxar schnell fündig. 65 Webstühle standen beim Etikettenhersteller für die Bekleidungsindustrie noch vor einem Jahr im 26000-Einwohner-Städtchen Sprockhövel. Verblieben sind davon 30. Ihre besten Jahre haben sie hinter sich, wie der abgeblätterte grüne Lack unverkennbar verrät.

Was neu und modern war im Sprockhöveler Werk, das hämmert nun seit April vergangenen Jahres bei Collitex im Takt, einer Paxar-Tochter mit Sitz im süditalienischen Dorf Ancarano. 35 Webstühle hat das Unternehmen dorthin verlagert, von denen allein ein Dutzend die Sicherheitsetiketten des Sportartikelherstellers Puma nähten. 52 Mitarbeiter mussten in Sprockhövel gehen. In Deutschland seien die Kosten zu hoch gewesen, so rechtfertigt das Management die Aktion. Die Rendite müsse steigen.

MANAGERIN DER GLOBALISIERUNG_ "Ganz anders" werde ihr angesichts der leeren Halle, sagt Sadiye Mesci. Es ist das erste Mal an diesem Vormittag, dass die Betriebsratsvorsitzende von Paxar verstummt. Sie wirkt nicht wie ein Mensch, der sich oft Melancholie gestattet. Die geschliffenen Formulierungen und beißenden Spitzen, die sie in ihre Analyse vom Kampf um den Erhalt der einst 402 Arbeitsplätze in Sprockhövel knallt, würden jeder Vorstandssitzung eines Dax-Konzerns Ehre erweisen. "Management auf anderer Ebene" sei denn auch ihre Aufgabe, stellt die 37-Jährige im hellbraunen Nadelstreifenkostüm klar.

Tatsächlich ist die Ökonomin nach ihrem Studium in Bremen im Jahre 2002 als Qualitäts- und Umweltmanagerin zu Paxar gestoßen. Sie besetzte eine Stabsstelle, in der sie direkt an die Geschäftsleitung berichtete. Nun managt sie für die Arbeitnehmer den Kampf gegen die Globalisierung. Und setzt dabei neben aller Passion, die aus den gestikulierenden Handkantenschlägen des IG-Metall-Mitglieds spricht, vor allem auf Professionalität - und nervt damit die ehemaligen Vorgesetzten gewaltig.

Als Mesci Ende November 2005 vom Paxar-Vorstand den Plan aufgetischt bekam, die Hälfte der Webstühle in Sprockhövel abzumontieren und gen Italien zu verladen, um so eine Million Euro zu sparen, hielt sie sich mit Lamentos nicht lange auf. Sie engagierte den Unternehmensberater Klaus Kost - ein Tipp der örtlichen IG-Metall-Verwaltungsstelle. Der Professor an der Uni Bochum berät mit seiner PCG Project Consult GmbH Betriebsräte, die sich gegen das Streichen von Arbeitsplätzen oder gar eine drohende Schließung ihres Betriebs wehren.

Kost, ein bulliger Mann mit Halbglatze, ist ein knallharter Rechner, der zwar der Arbeitnehmerseite nahe steht, doch über sich und sein Team sagt: "Wir sind keine Ideologen." Es habe durchaus Fälle gegeben, wo er nach eingehender Prüfung zum Schluss gekommen sei, dass eine Verlagerung für das Unternehmen tatsächlich Sinn mache, bekennt Kost freimütig. Nicht so jedoch bei Paxar, da ist er sich ganz sicher. "Hier hat die Geschäftsführung einen Schnellschuss gelandet."

KAMPF GEGEN DIE DEMONTAGE_ Der US-Konzern, der Mitte Juni selbst vom amerikanischen Konkurrenten Avery Dennison geschluckt worden ist, hat sich die Sprockhöveler Weberei erst vor sechs Jahren einverleibt. Zuvor trug das Unternehmen den Namen Bornemann und befand sich in Familienbesitz, bis der Eigentümer verkaufte. Seitdem ist es ungemütlich geworden beim größten Arbeitgeber im beschaulichen Sprockhövel. Vor Ort gab es jahrelang nur einen kommissarischen Geschäftsführer, der in Erzählungen eher als wenig kompetenter Grüßaugust erscheint. Die wahren Fäden im Hintergrund zogen die Manager in der Paxar-Europazentrale im fernen englischen Watford, gelegen in der Grafschaft Hertfordshire, keine zwanzig Bahnminuten vom Londoner Finanzzentrum entfernt.
Zu Watfords berüchtigten Söhnen zählt der Derivatehändler Nick Leeson.

Einst riss der Brite mit seiner Spekulationsgier in Asien die Barings Bank in den Abgrund, bis dato älteste Investmentgesellschaft Großbritanniens. Es gibt kaum eine passendere Symbolik für eine Entwicklung, als die, die viele deutsche Betriebsräte dieser Tage erleben: Während im 21. Jahrhundert Finanzmärkte nur noch einen Mausklick entfernt sind und die Weltwirtschaft immer näher zusammenrückt, ist das Management im Zeitalter von ausländischen Übernahmen und Fusionen für die Arbeitnehmer immer weniger greifbar.

Warum soll Sadiye Mesci überhaupt in Sprockhövel über Kostensenkungsprogramme verhandeln, wenn die verantwortliche Geschäftsführerin in England ohne Ehrfurcht vor dem deutschen Mitbestimmungsmodell von Beginn an die Parole ausgibt "Wir ziehen das durch"? Mesci sitzt im schmucklosen Betriebsratsbüro, an der Wand zeigen Uhren die Zeit aus aller Welt: Hongkong, Bangalore, Tokio, New York. Auf die Frage hat sie eine simple Antwort: "Respekt verschaffen." Selbst zu agieren statt nur zu reagieren sei wichtig. "Zeigen, dass man noch lebt."

Als die Berater der PCG im November 2005 in Sprockhövel zum ersten Workshop luden, war das Ziel klar: Für die eine Million Euro an Einsparungen sollte ein Alternativkonzept her. Was die Geschäftsführung durch die Verlagerung nach Italien erreichen wollte, mussten Klaus Kost und sein Team im Betrieb selbst aufspüren: Einsparpotenziale im Einkauf suchen, Schwachstellen in den Arbeitsabläufen ans Tageslicht zerren. Kost witterte Ineffizienzen allerorten, das ist sein Job. "Er hat ihn gut gemacht", sagt Mesci.

Wenn junge Betriebswirte, frisch rekrutiert von den großen Unternehmensberatungen wie McKinsey oder Roland Berger, das nächste Kostensenkungsprojekt ins Visier nehmen, steht im Kopf oft schon die Strategie, bevor sie zum ersten Mal das Werkstor passiert haben: Interviews mit der Geschäftsführung, Interviews mit Abteilungsleitern, das Controlling checken. So stehts im Lehrbuch. "Top-down" nennt Mesci das. Sie weiß wovon sie spricht, sie war vor Paxar selbst bei einer Bochumer Beratungsfirma.

ANALYSE VON UNTEN NACH OBEN_ Klaus Kost und das PCG-Team gingen den umgekehrten Weg. Down-top, von unten nach oben. Erster Schritt: Sie bildeten für jede Abteilung Arbeitsgruppen. Weberei, Druckerei, Verkauf, Personal, Versand. Vier Mitglieder zählten die Gruppen im Schnitt, jeweils ein Verantwortlicher hatte die Leitung. Alles Paxar-Beschäftigte, die sich auskannten im Arbeits-alltag. Mit an den Tischen: die Berater der PCG. Die Beschäftigten stellten zunächst die gegenwärtige Situation in ihren Bereichen dar, analysierten die Lage. Sie überlegten, welche Zukunft die Abteilungen hatten. Konnten sie wettbewerbsfähig bleiben? Die Arbeitsgruppen stellten Ziele auf, berieten über potenzielle Probleme, die auftauchen könnten, erarbeiteten Lösungsansätze.
Dann wurde aufgelistet, was für das Alternativkonzept nötig wäre: Einsparungen, zusätzliche Investitionen - und auch die Frage, wann und wie schnell alles umgesetzt werden könnte.

Schnell wurde klar, dass allein im Versand die Kosten um 400.000 Euro gesenkt werden konnten, etwa durch den Wechsel des Transporteurs von UPS zu DHL. Statt einzelnen Kunden jeden Tag 1000 Etiketten zu schicken, sollten künftig nur noch Sammelbestellungen das Werk verlassen - und für den Kunden dafür günstiger sein. Auch die merkwürdige Praxis, dass der deutsche Paxar-Standort jahrelang Kosten und Abschreibungen anderer weltweiter Standorte tragen musste, wollten die Sprockhöveler Beschäftigten nicht länger akzeptieren.

Kost wurde klar, dass es bei Paxar an Effizienz gewaltig haperte. Ehemalige Premiumkunden, die früher für 100.000 Euro bestellt hatten und mittlerweile auf ein Hundertstel dieses Betrags zu kleinen Fischen herabgesunken waren, erhielten nach wie vor dieselben Großkundenpreise. Es klemmte heftig in der Kalkulation. Jahrelang wurde auf Lager produziert, ohne dass die Paxar-Geschäftsleitung begriff, dass dies mit Kosten verbunden war. Kollegen erzählten, was sie täglich alles so verschrotten mussten. Ebenso täglich erstellte die Verwaltung Zollpapiere - ein immenser Zeitverlust. Künftig sollte die langwierige Prozedur nur noch ein Mal in der Woche stattfinden.

Während die Arbeitsgruppen die Betriebsprozesse durchleuch-teten, nahmen sich Klaus Kost und sein Kollege Kay Kürschner die Bilanzen vor. Bei der Geschäftsleitung forderten sie die notwendigen Unterlagen an. Nach und nach trudelten die Papiere ein, das mittlerweile ausgetauschte, verjüngte Management hatte es offenbar nicht eilig. Es sei schon ungewöhnlich gewesen, wie lange sie auf die Zahlen hätten warten müssen, erinnert sich Kost. "Viele kannten die selbst nicht." So sei auch bei Paxar ähnlich wie bei vielen seiner anderen Fälle stets die Frage geblieben: Wie vollständig sind die Daten?

EIN ALTERNATIVKONZEPT_ Kost prüfte den Verlagerungsplan der vorigen Geschäftsführung auf Plausibilität und nahm ihn anschließend auseinander. Den Namen "Konzept" habe das Papier nicht verdient gehabt, urteilt er. Es habe keine Marktanalyse enthalten, kaum betriebswirtschaftliche Kenndaten, keine kurzfristige oder mittelfristige Planung. Das Problem etwa, dass viele Kunden wie etwa der schwäbische Anzughersteller Boss eine Verlagerung des Etikettendrucks ins Ausland aus Angst vor Produktpiraterie nicht akzeptieren würden, wurde mit nicht einer Silbe erwähnt. Kost: "Den Wisch hätte ich jedem meiner Studenten um die Ohren gehauen."

Nach gut eineinhalb Monaten schlossen sich die Berater mit den Arbeitsgruppen dann zwei Tage lang im IG-Metall-Bildungszentrum Sprockhövel ein. Alles kam auf den Tisch: Die Analysen, die Verbesserungsvorschläge, die wirtschaftliche Lage von Paxar, Renditevergleiche des deutschen mit dem italienischen Standort. Dann erstellte die PCG ein 73 Seiten starkes Gutachten, in dem Kost und Kollegen im ersten Teil den Plan der Geschäftsführung darstellten und anschließend zerpflückten. Dann folgten die Verbesserungsvorschläge, detailliert nach Abteilungen aufgelistet und in ihren Einsparpotenzialen beziffert.

Das Ergebnis: Die Paxar-Beschäftigten hatten in der Summe ein Einsparpotenzial von 1,5 Millionen Euro aufgetan - ohne auch nur einen Webstuhl zu verlagern und einen Beschäftigten zu entlassen. Die Belegschaft hatte den Krieg der Zahlen angenommen - und gewonnen.
Umso ernüchternder war die Reaktion der Geschäftsleitung. Kost hatte das Gegenkonzept ins Englische übersetzen lassen und nach Watford geschickt. Von dort wie auch von der Geschäftsleitung in Sprockhövel kam so gut wie nichts. Die Verbesserungsvorschläge im Versandbereich seien gut und würden auch umgesetzt, hieß es. Der Rest: "Alles Kleinkram." An der Verlagerung der Webstühle werde das PCG-Konzept nichts ändern.

Im April 2006 gingen die Webstühle auf die Reise nach Italien. Trotzdem sagt Sadiye Mesci: "Wir haben ein Zeichen gesetzt." Angesichts der laufenden Fusion von Paxar mit dem Konkurrenten Avery Dennison ständen weitere Standortkämpfe bevor. Es sei wahrscheinlich, dass sie mit einer anderen Sprockhöveler Weberei zusammengelegt würden, weitere Arbeitsplätze drohten verloren zu gehen. "Doch jetzt haben die gemerkt, dass man mit uns nicht so leicht umspringen kann." Das Problem, sich mit Managern in fernen Konzernzentralen auseinandersetzen zu müssen, bleibt jedoch nach wie vor bestehen. Hier könne vor allem die Gründung eines Euro-Betriebsrats helfen, sagt Mesci. Kürzlich war sie in Brüssel - um sich mit ausländischen Paxar-Betriebsräten zu treffen.


 

 

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