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Amelie Sutterer-Kipping  Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: Keine unzulässige Einschränkung der unternehmerischen Freiheit

Ausgabe 04/2022

Amélie Sutterer-Kipping, Arbeitsrechtlerin am Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht der Hans-Böckler-Stiftung, über tarifliche Standort- und Beschäftigungssicherungen.

Wenn Standorte bedroht sind, stehen nicht nur, wie derzeit bei Ford im Saarland, oft mehrere Tausend Arbeitsplätze auf dem Spiel. Auch Zulieferer, das Handwerk sowie der Einzelhandel in der ganzen Region spüren die Folgen. Gewerkschaften und die betriebliche Mitbestimmung haben in der Vergangenheit tarif- und betriebspolitische Instrumente entwickelt, mit denen sie die Folgen der wirtschaftlichen Transformation abfedern. Sie reichen vom Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen über Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Tarifvertragsparteien bis hin zu zeitlich begrenzten Standortgarantien oder dem vorübergehenden Verzicht auf Outsourcing. Die Regelungsgegenstände unterscheiden sich damit von den klassischen Tarifinhalten wie Entgelt, Arbeitszeit und Urlaub. Sie liegen ersichtlich näher an der Unternehmensführung, weshalb Stimmen aus der Rechtswissenschaft immer wieder die Zulässigkeit der kollektiven Vereinbarung solcher Regelungen anzweifeln. 

In dem Gutachten „Standort- und Beschäftigungssicherung in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen“ kommen Monika Schlachter und Thomas Klein, beide vom Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Union in Trier, und Daniel Klocke von der European Business School in Wiesbaden zu dem Ergebnis, dass solche Vereinbarungen grundsätzlich zulässig sind. Neben der Frage nach der tariflichen Regelbarkeit haben die Forscher vor allem das Verhältnis zur unternehmerischen Freiheit geprüft. Dabei stellen sie fest, dass Standort- und Beschäftigungsvereinbarungen der Koalitionsfreiheit, Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG), unterliegen und somit jedenfalls im schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags vereinbart werden können. Eine einschränkende Auslegung des Artikel 9 Absatz 3 GG würde dem Charakter der Koalitionsfreiheit als Freiheitsrecht ansonsten widersprechen. 

Darüber hinaus kommt das Gutachten, das in der Schriftenreihe des Hugo Sinzheimer Instituts erschienen ist, zu dem Ergebnis, dass die Zusage, einen Standort zu erhalten, auf Auslagerungen zu verzichten oder in einen Betrieb zu investieren, als Betriebsnorm vereinbart werden kann. Aus der unternehmerischen Freiheit lassen sich keine absoluten Grenzen ableiten, was tarifvertraglich gestaltet werden kann. Allerdings ist damit keineswegs jede Beschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zulässig. Laut Gutachten spricht beispielsweise nichts gegen Beschäftigungsgarantien etwa durch einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. 

Dieses Forschungsergebnis überzeugt auch deshalb, weil Arbeitgebern stets die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung bleibt. Auch aus der Standortgarantie ergeben sich lediglich Bindungen für einen bestimmten Standort, was dem Arbeitgeber weiterhin hinreichende Gestaltungsspielräume lässt. Im Übrigen werden Standortvereinbarungen in der Regel nur vorübergehend geschlossen. Nicht zumutbar seien allerdings tarifvertragliche Regelungen, die dem Arbeitgeber die Möglichkeit nehmen, zwingend notwendige Anpassungen vorzunehmen.

Neben der tariflichen Standortsicherung können Interessenvertretungen sich auch auf das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) berufen. Aus Paragrafen 87, 92a, 97 und 111 BetrVG folgt eine weitreichende funktionale Zuständigkeit für zentrale Themen der Standortsicherung. Oder, wie es im Fazit des Gutachtens heißt: Der Ausgleich gleichberechtigter Freiheit „verlangt keinen unternehmerischen Gestaltungsspielraum ohne gewerkschaftlichen Einfluss, sondern nur einen Spielraum trotz gewerkschaftlichen Einflusses“.

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