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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW "Die Kollision zweier Logiken"

Ausgabe 04/2012

Aufsichtsratsforscher Till Jansen erklärt, warum es vielen Managern schwerfällt, sich mit der Mitbestimmung zu arrangieren, und warum es in der Praxis meistens trotzdem ganz gut läuft.

Das Gespräch führten KAY MEINERS und MARGARETE HASEL/Foto: Ulrich Baatz

Herr Jansen, in Ihrer Dissertation haben Sie untersucht, wie Entscheidungen in einem mitbestimmten Aufsichtsrat zustande kommen – am Beispiel eines Unternehmens. Wie haben Sie es ausgesucht? Ganz pragmatisch. Man braucht Empfehlungen, muss sich weiterreichen lassen. Auf Verdacht Briefe zu schreiben, hat keinen Zweck. Am Ende war es ein mittelständisch geprägtes Unternehmen des produzierenden Gewerbes, das mir vertraute und mir Einblicke in eine Welt gewährte, die sonst verschlossen ist.

Als Beobachter durften Sie auch an einer Plenumssitzung des Aufsichtsrats teilnehmen. Wie war Ihr Eindruck?
Ich hatte enorm hohe Erwartungen und dachte, dass dort spannende, kontroverse Diskussionen stattfinden. Die Realität war banaler: Alle Entscheidungen waren vorher abgestimmt. Im Plenum wurde nur vorgetragen. Auch sitzen sich die Vertreter der Arbeitnehmer und der Kapitaleigener nicht gegenüber. Die Sitzordnung war alphabetisch.

Konnten Sie die Personen optisch der richtigen Seite zuordnen? Ja, leicht. Die Kapitaleigner tragen diese teuren dunklen Anzüge – die andere Seite ist demonstrativ anders angezogen. Auch am Rollenverhalten merkte man deutlich, dass es zwei Lager gibt und dass diese Trennung aufrechterhalten wird. Die Vertreter der Arbeitnehmer waren mittelständisch geprägt und sehr betriebsnah, wogegen mehrere Kapitaleigner neu im Aufsichtsrat waren und Erfahrungen aus Großkonzernen mitbrachten.

Sie haben mit allen Mitgliedern des Aufsichtsrates Interviews geführt. Was können Sie über die Selbstbilder der beiden Lager sagen?
Die Kapitaleigner sehen sich als hoch kompetente Kontrolleure – als Inbegriff ökonomischer Rationalität und Effizienz. Sie fragen, ob Mitbestimmung wirtschaftlich effizient ist. Die andere Seite reklamiert für sich, das Arbeitnehmerinteresse politisch zu vertreten. Sie fragt, ob Mitbestimmung interessenpolitisch erfolgreich ist. Das Interessante an der Mitbestimmung ist, dass sie selbst eine Kollision dieser beiden Logiken oder Weltdeutungen ist. Das ist der Grund, weswegen über sie immer gestritten wird.

Und jede Seite hält ihre Weltdeutung für die überlegene. Wie verhalten Sie sich als Forscher dazu? Das Konzept der wirtschaftlichen Zweckrationalität ist genauso ideologiehaft wie die politische Interpretation. Die Kapitaleigner haben vermutlich die in der Anlage gefährlichere Ideologie, weil sie an Rationalität glauben und das Gegenargument immer als irrational erscheinen muss. Die Arbeitnehmervertreter glauben heutzutage an politische Interessen, von denen es immer viele legitime gibt. Letztlich kommt es aber auf die gelebte Praxis an, die auf beiden Seiten fast immer ziemlich pragmatisch ist.

In dem Unternehmen, das Sie untersuchten, fanden Sie es schwierig, auf der Arbeitnehmerseite ein gemeinsames Verständnis von Arbeitnehmervertretung auszumachen. Warum?Die betrieblichen Vertreter der Arbeitnehmer stammten aus zwei völlig verschiedenen Unternehmenskulturen: die eine dynamisch, auf Wachstum ausgerichtet, die andere traditioneller, statischer. Die Betriebsräte der ersten Sparte dachten sehr wirtschaftlich, die anderen wollten da nicht mitgehen. Den externen Gewerkschaftern im Aufsichtsrat kam die wichtige Rolle zu, den Konflikt zu moderieren und für eine gemeinsame Position zu sorgen.

Sie durften auch an einer Vorbesprechung der Arbeitnehmer teilnehmen. Was haben Sie dort erlebt?Da ging es hoch her – die Atmosphäre war politisch aufgeladen; hier wurde wie in einem Ritual die Einheit der Arbeitnehmer hergestellt, die es im Betrieb nicht gab. Man ging im ersten Teil der Vorbesprechung, wo man unter sich war, rhetorisch in die Opposition, um sich wieder zurückzunehmen, wenn im zweiten Teil der Vorstand den Raum betrat. Dann wurde sehr sachlich gesprochen.

Kommen dabei auch Themen auf den Tisch, die sich nicht für den Aufsichtsrat eignen? Ja. Der Vorstand plante, eine teure Beratungsfirma zu engagieren, obwohl die finanzielle Lage angespannt war. Die Arbeitnehmer hielten das für Geldverschwendung. So ein Auftrag ist kein zustimmungspflichtiges Geschäft, keine Strategiefrage. Doch für die Betriebsräte war es wichtig, das Thema anzusprechen. Es ging um die politische Legitimität der Entscheidung.

Kapitaleigner sind bei der Vorbesprechung nicht dabei. Wo entstehen die Kompromisse zwischen den Bänken?
Schwierige Themen werden in der Regel zwischen dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats und seinem Stellvertreter vordiskutiert. In meinem Fall hatte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, ein externer Gewerkschafter, ein sehr gutes Standing. Bei beiden Seiten. Er wurde als Moderator geschätzt und hatte vielleicht die wichtigste Position im Aufsichtsrat.

In Ihrer Arbeit behandeln Sie zwei Personalien, die Licht auf die Personalpolitik im Aufsichtsrat werfen.
Den „Fall Obermayer“ und den „Fall Braun“ – die Namen sind natürlich geändert.

Obermayer war der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, der auch im Aufsichtsrat saß. Die Betriebsräte wählten ihn ab, weil er als zu arbeitgebernah galt. Später schaffte er es, wieder einfaches Mitglied des Konzernbetriebsrats zu werden. Er steht symbolisch für die dynamischere, modernere Betriebskultur – und damit symbolhaft für den Konflikt auf der Arbeitnehmerseite, über den wir gesprochen haben. Er hat den Konflikt am stärksten vorangetrieben und fiel darüber, dass er nur einen Teil der Belegschaft vertrat.

Seine Gegner sagen, der Wiederaufstieg sei nur mithilfe von Intrigen möglich gewesen.
Ich kann das schwer prüfen. Wichtiger ist, dass sein Wiederaufstieg den Sieg der einen Sparte über die andere symbolisiert – deswegen wird er bis heute kontrovers diskutiert. Die Figur der Intrige, gleich ob berechtigt oder nicht, dient dazu, seinen Wiederaufstieg zu delegitimieren.

Die andere Personalie betrifft die Kapitaleigner. Diese beriefen einen renommierten Wissenschaftler in den Aufsichtsrat. Doch der wollte sich dem Fraktionszwang der Bänke nicht beugen. In Ihrer Arbeit heißt er „Herr Braun“.
Aus der Sicht der Anteilseigner war Braun ein echter Unfall. Ein Aufsichtsratsmitglied hat ihn deshalb mit einem fehlgeleiteten Cruise-Missile verglichen – mit einer Rakete, die aus der Bahn geraten ist und die man stoppen muss. Braun kam aus einer Universitätskultur und hatte die irrige Vorstellung, dass im Aufsichtsrat jeder nach dem individuellen Urteil abstimmt. Deshalb wurde er aus dem Gremium gedrängt, indem man einen Interessenkonflikt konstruierte – nach dem Motto: Deine eigene Firma erhält ab und zu Aufträge von uns. Du solltest das hier nicht weiter machen.

Die Arbeitnehmer müssen sich über einen so unabhängigen Geist gefreut haben.
Sie haben damit Politik gemacht, aber Braun hat auch bei ihnen nicht an Ansehen gewonnen. Er wurde eher als nützlicher Idiot gesehen. Denn beide Seiten im Aufsichtsrat kennen so etwas wie Fraktionsdisziplin. Abweichendes Verhalten wird höchstens dem Vertreter der leitenden Angestellten zugestanden.

In der Regel fallen die Beschlüsse einstimmig?
Ja, in dem Gremium, das ich untersucht habe, aber auch anderswo. In manchen Unternehmen kommen auch Einzelenthaltungen vor, die oft sogar abgesprochen werden. Aber wenn der Aufsichtsratsvorsitzende regelmäßig die Doppelstimme benötigt, dann läuft wirklich etwas falsch. Hier liegt die Verhandlungsmasse der Arbeitnehmervertreter. Ich kann nur etwas rausholen, wenn ich mitmache. Das ist die Stärke der Mitbestimmung.

Offensichtlich bietet die Mitbestimmung im Aufsichtsrat einen Rahmen für Kompromisse. Gleichwohl schreiben Sie, man könne die Mitbestimmung im Aufsichtsrat nicht als Interessenkonflikt beschreiben.
Die Realität unterschiedlicher Interessen ist immer da. Doch Wirtschaft ist zugleich immer auch ein Problem knapper Ressourcen, eine Frage von gutem Management und guter Unternehmensführung. Es geht darum, wie ich ein Unternehmen führen muss, damit es unternehmerisch und wirtschaftlich erfolgreich ist. Dieser Sachverhalt kann nicht einfach auf den Begriff des Kapitalinteresses reduziert werden, der einem Arbeitnehmerinteresse gegenübersteht.

Am Anfang haben Sie erklärt, strenge Äquidistanz zu den beiden Weltdeutungen im Aufsichtsrat zu wahren. Schlagen Sie sich nun nicht doch auf eine Seite?
Beide Gedankenwelten sind operative Fiktionen. Menschen brauchen das, um zu funktionieren. Lassen Sie es mich so sagen: Vielleicht kann das Management nicht lernen, was es von der Mitbestimmung hat, damit es ökonomisch weiter operieren kann. Ebenso brauchen die Arbeitnehmervertreter die Kapitalseite als politischen Gegner – andernfalls verschwindet die eigene Legitimität.

Sie schreiben in Ihrer Arbeit ebenfalls, die „gegenstandsadäquate Form der Betrachtung“ sei, den Aufsichtsrat als „unternehmerisches Gremium“ zu betrachten.
Das erste Ziel eines Unternehmens, die Primärreferenz ist, dass es überleben und Geld erwirtschaften soll. Wenn es keinen Erfolg mehr hat, ist irgendwann nichts mehr da, was man politisch interpretieren kann. Im Aufsichtsrat wird überwiegend ökonomisch diskutiert. Auch die Doppelstimme des Vorsitzenden, des Kapitaleigners, verweist auf die Primärreferenz. Hier gibt es eine Asymmetrie.

Diese Asymmetrie ist der politischer Kompromiss von 1976 – dem Jahr, in dem das Mitbestimmungsgesetz beschlossen wurde. Bei der älteren Montanmitbestimmung, wo es die Doppelstimme nicht gibt, kommen Sie mit Ihrer Erklärung in Schwierigkeiten.
Ja, das stimmt. Doch auch Unternehmen mit Montanmitbestimmung sollen Gewinne erzielen. Sie sind Wirtschaftsunternehmen, keine politischen Organisationen wie etwa eine Partei.

Gelingt es den Arbeitnehmervertretern mit ihrem spezifischen Wissen ab und zu, im Gremium strategisch die Richtung vorzugeben?
Ich glaube, tendenziell eher nicht. Sicher können sie Entscheidungen in ihrem Sinne positiv beeinflussen – aber ob ich einen guten Sozialplan durchdrücke, eine Werkschließung verhindere oder die Strategie vorgebe – das sind ganz unterschiedliche Dinge.

Spannend ist die Frage, ob mitbestimmte Unternehmen besser funktionieren als andere. Doch an dieser Stelle vermeiden Sie jede Festlegung.
Ich kann besser mit meinem Interviewmaterial umgehen, wenn ich mich nicht festlege. Um die Frage beurteilen zu können, müsste ich Modellannahmen treffen – und ich brauchte eine Vergleichsgruppe, um sagen zu können, wie es ohne Mitbestimmung laufen würde. Und genau die gibt es nicht, weil das Gesetz alle Unternehmen gleichermaßen erfasst. Ich vermute, dass es in jedem Einzelfall darauf ankommt, was die Leute daraus machen. Wer sich mit der Mitbestimmung arrangiert und es schafft, eine gemeinsame Dialog- und Deutungsebene zu finden, der muss nicht dagegenschießen.

Wie erklären Sie das Paradox, dass es durchaus Kapitalvertreter gibt, die über positive Mitbestimmungserfahrungen berichten, dass die Kapitalseite als Verband die Mitbestimmung aber ablehnt?
Das ist eine Frage der sozialen Erwartbarkeit. Es gibt bei Meinungsumfragen wie auch beim konkreten Verhalten eine gewisse Berechenbarkeit. In der Umfrage lehnt man Einschränkungen der Verfügungsgewalt ab. Freiwillig würden die Kapitaleigner die Mitbestimmung nicht einführen, auch wenn das keiner laut sagt. Aber mit realen Personen und mit dem geltenden Recht arrangiert man sich.

Zur Person

Till Jansen, geboren 1981 in Hannover, hat Soziologie und Philosophie studiert und 2010 an der Universität Witten-Herdecke am Beispiel eines Unternehmens über „Entscheidungsfindung in paritätisch mit­bestimmten Aufsichtsräten“ promoviert. Für die Arbeit erhielt er den Promotionspreis der Wittener Universitätsgesellschaft. Jansens Promotion ist Teil des Forschungsprojektes „High Performance Boards – Entscheidungen und Prozesse in deutschen Aufsichtsräten“, bei dem insgesamt rund 180 Experteninterviews in knapp 30 Unternehmen geführt wurden. Derzeit arbeitet er im Rahmen des DFG-Projekts „Entscheidungsfindung in mitbestimmten Aufsichtsräten“ an einer Typologie mitbestimmter Aufsichtsratsarbeit in Deutschland.

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