zurück
Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Wir controllen, statt zu forschen'

Ausgabe 11/2009

Fritz Beckmann und Gottfried Schapeler, Betriebsräte in der Unternehmensforschung bei Philips und Alcatel-Lucent, beklagen den Verlust eines kreativen Arbeits- und Forschungsumfeldes.

Mit Fritz Beckmann und Gottfried Schapeler, beide Mitglieder im F&E-Arbeitskreis der IG Metall, sprachen in Frankfurt die Journalisten Jörn Breiholz und Cornelia Girndt/Foto: Alexander Paul Englert

Fritz Beckmann, Sie sind Konzernbetriebsratsvorsitzender der Philips Technologie GmbH - aber Sie sind nicht freigestellt. Warum?
Theoretisch hätte die Möglichkeit bestanden, in einem großen Labor wie dem unseren mit 400 Beschäftigten eine Freistellung zu beanspruchen. Das wollte damals aber schon keiner. Wer drei oder vier Jahre aus seinem Forschungsbereich aussteigt, schafft den technologischen Anschluss kaum noch. Der müsste eigentlich noch mal ein Studium absolvieren.

Gottfried Schapeler, ist das der Grund, warum Sie sich erst jetzt mit 55 Jahren haben freistellen lassen?
Ja, das ist bei uns nicht anders. Man sollte sich vor einer Freistellung die Konsequenzen für die eigene Forschungskarriere sehr genau überlegen. Betriebsräte und noch mehr freigestellte Betriebsräte sind Exoten in Forschungsbetrieben. Wer sich engagieren will, muss die Doppelbelastung von intensiver Forschungsprojektarbeit und Betriebsratstätigkeit in Kauf nehmen.

Kann man überhaupt intensive Forschungsarbeit und Betriebsratstätigkeit miteinander vereinbaren?
Beckmann: Es funktioniert, wenn man den Rückhalt der Kollegen hat. Deswegen habe ich - obwohl ich kaum noch zu Projektarbeit komme - mein Büro auch weiterhin im Forschungslabor und nicht im weit entfernten Betriebsratsbüro.

Wie geht es der Forschung beim Elektronikkonzern Philips und dem Telekomausrüster Alcatel-Lucent - zumal in der Krise?
Schapeler: Alcatel-Lucent ging es schon vor der Krise nicht gut. Bereits vor der jüngsten Fusion von Alcatel und Lucent 2006 war uns klar, dass wir im F&E-Bereich zu viel Potenzial haben werden und daher in großem Umfang Arbeitsplätze gefährdet sind. Jetzt werden sogar Entwicklungsbereiche outgesourct, in einigen haben wir seit September Kurzarbeit.

Beckmann: Bei Philips ist die Welt in der Krise noch weitgehend die gleiche. Unser Problem ist die starke Entwicklungs- und Produktfixierung von Forschung. Gleichzeitig tritt die Grundlagenforschung immer mehr in den Hintergrund. Die betreiben bei uns - wie in vielen anderen Unternehmen - jetzt Studenten und Doktoranden.

Hat Grundlagenforschung, wie Sie in dem Thesenpapier des F&E-Arbeitskreises der IG Metall befürchten, in Konzernen bald keine Heimat mehr?
Beckmann: Sie sichert eigentlich den Forschungsstandort Deutschland, bringt aber kurzfristig keine Rendite. Das war früher kein Problem, weil man längerfristig dachte. Jetzt fällt es Forschern in den Unternehmen immer schwerer, neue Forschungsanträge gegenüber der Unternehmensleitung zu begründen und durchzusetzen, weil immer sofort nach der Rendite gefragt wird.

Immerhin hat Philips 2007 weltweit einen Gewinn von vier Milliarden Euro erzielen können.
Beckmann: Wir sind in meinem Bereich, der Medizintechnik, hoch spezialisiert und verdienen damit gut Geld, werden unseren Vorsprung aber nur durch Innovation halten können. Ein anderer Kernbereich von Innovation ist im Konzern verloren gegangen, weil Philips den forschungsintensiven Halbleiter-Bereich verkauft hat. Das müssen wir jetzt teuer bezahlen, und die Schlüsseltechnologie ist weg.

Was wird aus diesen verloren gegangenen innovativen Kernbereichen?
Schapeler: Die Software-Entwicklung hat vorgemacht, dass man in Indien Innovationen entwickeln kann. Das Gleiche geschieht jetzt bei uns in der Telekommunikation. Indische oder chinesische Ingenieure sind billiger. Das heißt aber nicht, dass sie schlechter ausgebildet sein müssen oder schlechter arbeiten.

Muss man sich ernsthaft Sorgen um das Herz der deutschen Industrie, die F&E-Bereiche, machen?
Beckmann: Das ist eine ernste Gefahr für den Industriestandort Deutschland. Zwar bleibt es weiterhin schwierig, gewachsenes Spezial-Know-how zu verlagern. Aber neue Projekte als Gesamtpakete outzusourcen oder anderswo neu aufzulegen, ist und wird noch einfacher werden. Diese neuen Projekte sind aber die Themen der Zukunft.
Schapeler: Ein Offshoring nach Asien ist dort noch schwierig, wo mehrere Technologien miteinander verschränkt sind, Optik und Elektronik beispielsweise. Wo die Entwicklung aber weniger komplex ist, wird es für uns Ingenieure in Deutschland immer schwerer, sich im Konzern unentbehrlich zu machen.

Wissen Sie überhaupt, wie Ihre Forschungsabteilungen im internationalen Vergleich aufgestellt und wie sicher die Arbeitsplätze sind?
Schapeler: Unsere Qualifikation und unsere Forschungsergebnisse werden im Konzern anerkannt und geschätzt. Das gilt auch für unsere Kooperation mit Hochschulen in deutschen und internationalen Forschungsprojekten. Sorgen bereitet uns, wie lange unsere Forschungsthemen von der Konzernspitze noch als strategisch wichtig eingeschätzt werden. Denn ob und in welchem Umfang wir an strategischen Neuausrichtungen im Konzern beteiligt werden, ist für unsere Zukunft essenziell wichtig.
Beckmann: Wichtig ist, dass schon die vorbereitenden Arbeiten in Deutschland erfolgen. Nur dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Forschung auch hier bleibt. Deswegen sorgen wir uns so um die Grundlagenforschung. Auch die Universitäten werden immer mehr gedrängt, nur noch anwendungsnah zu forschen.

Gibt es im Konzern einen Resonanzraum für Ihre Sorgen hinsichtlich suboptimaler Arbeits- und Forschungsbedingungen?
Beckmann: Wir beide arbeiten in fremdgesteuerten Konzernen, wir dringen zu den entscheidenden Managern gar nicht durch. Vielleicht ist das bei Siemens anders. Wir dagegen leben mit Betriebsleitungen und Geschäftsführern, die kaum noch Entscheidungsspielraum haben. Der Zentralismus ist gewaltig.

Aber es gibt doch auch Mitbestimmung. Können Sie als Aufsichtsräte gewisse Entwicklung mit beeinflussen?
Schapeler: Schwierig. Wir haben keine Möglichkeit, Druck auszuüben. Wir bekommen keine 20000 Kollegen auf die Straße wie bei Opel. Und die internationalen Entscheidungen lassen sich von uns, von Stuttgart aus, nicht beeinflussen.
Beckmann: In vielen Unternehmen sind Produktion, Forschung, Vertrieb und Geschäftsführung keine Einheit mehr. Es gibt eine Art von Modularisierung der Wertschöpfung. Zusammengeführt wird es an zentraler Stelle, zu der wir keinen Zugang haben. Stattdessen tritt die Konzernspitze immer mächtiger gegenüber den Standorten in den Ländern auf und trifft am Konferenztisch in Amsterdam zentrale Beschlüsse. Die rechtliche Struktur hat nichts mehr zu bedeuten. Die wird nach steuerlichen oder anderen Gesichtspunkten optimiert.

Das nennt man Globalisierung.
Beckmann: Die Unternehmen stellen sich auf, als ob es keine Ländergrenzen mehr gäbe. Da findet keine deutsche Mitbestimmung statt. Da wird zentral kontrolliert. Dem fallen auch die Nischen, die es in Forschungsabteilungen gegeben hat und die Innovation entwickelt haben, zum Opfer. Kreativität lässt sich aber nicht an- und abschalten.

Was wird denn von den Ingenieuren und Entwicklern erwartet?
Schapeler: Die Philosophie ist heute - auch in den forschungsintensiven Unternehmen -, möglichst alles in betriebswirtschaftliche Kennziffern hineinzupressen. Auch in der Forschung wird inzwischen versucht, die Abläufe zu standardisieren, um eine internationale Vergleichbarkeit zu erzielen. Forscher sollen heute vor allem zwei Fragen beantworten: Wann ist das Produkt da, und was bringt es an Gewinn?
Beckmann: Die Projektgelder werden oft nur noch für ein Jahr bewilligt und einer dauernden Controlling-Routine unterworfen. Forscher müssen sich permanent rechtfertigen und Ergebnisse präsentieren, wir nennen das mit einigem Sarkasmus "Research by Powerpoint". Außerdem sind im Mittelbau viele Stellen abgebaut worden, sodass Arbeiten, die vorher Techniker oder Laboranten besser erledigt haben, nun von teureren Ingenieuren noch mit erledigt werden müssen. Der betriebswirtschaftliche Sinn erschließt sich mir nicht. Der Berufsalltag der Kollegen hat sich teilweise drastisch verändert. Inklusive Phänomenen wie "Arbeiten ohne Ende".

Forschen die Kollegen eigentlich noch, oder sind Sie zu Controllern mutiert?
Schapeler: Wir controllen immer mehr. Dieser Trend ist durchgängig in allen Unternehmen. Unser Anliegen als Betriebsräte ist es, für die Kollegen wieder ein vernünftiges Arbeitsumfeld zu schaffen. Sie können nicht ständig mit dem Vertrieb, wirtschaftlichen Kennzahlen oder dem Folienwesen beschäftigt sein. Für die Forschung ist fatal, dass bestimmte Produktsparten von oben zugewiesen werden - wie Mobilfunk oder optische Übertragungstechnik. Da heißt es dann nur noch: Hallo Forscher, hier ist der Korridor, in dem du deine Gedanken schweifen lassen kannst.

Mit welchen Problemen kommen Ihre Kollegen zum Betriebsrat?
Schapeler: Es sind Fragen zu Tarifverträgen, zum Datenschutz bei der Firmenkreditkarte, zu Möglichkeiten von alternierender Telearbeit. Da unterscheiden sich die Probleme der Forscher nicht von den Problemen anderer Beschäftigter. Auch die Sorgen um die Zukunft der Firma und die Sicherheit der Arbeitsplätze werden an uns herangetragen. Aber die typischen Probleme der Forscher, die wir auch in unseren Thesen angesprochen haben, bekommt man nur als Forscherkollege, nicht aber in der Funktion des Betriebsrats zu hören.

Angesichts des Ingenieursmangels sollte es doch für Akademiker ein Leichtes sein, gute Arbeitsbedingungen und hohe Gehälter einzufordern.
Beckmann: Das ist ein falscher Eindruck. Mangel gibt es deshalb, weil die Unternehmen nur noch projektbezogen Personal planen und Ingenieure wollen, die passgenau in ihre Spezialprojekte passen, statt Arbeitskräfte zu schulen und aufzubauen. Es gäbe genügend Bewerber, um alle Stellen zu besetzen. Viele Junge kommen mit viel Enthusiasmus von der Uni und müssen dann feststellen, dass der Alltag eines Ingenieurs viel mit berufsfremden Tätigkeiten zu tun hat.

Tarifgebundene Unternehmen zahlen den Ingenieuren nach einer IG-Metall-Untersuchung im Schnitt 20 Prozent mehr. Grund genug, Gewerkschaftsmitglied zu werden?
Schapeler: Tatsächlich ist das Interesse an der IG Metall groß. Es bleibt aber ein Problem, die Kollegen zu überzeugen, persönlich Mitglied zu werden. Mir scheint wichtig, dass wir unsere Kollegen vor Ort stärker in die Diskussionen einbeziehen. Vielleicht schaffen wir dann irgendwann eine Situation, wo es als Ingenieur normal ist, in einer Gewerkschaft zu sein - und nicht exotisch. Heute gibt es ja immer noch das Verständnis unter den Hochqualifizierten, dass sich Gewerkschaft mit ihrem Status im Betrieb nicht verträgt.

Gut verdienende Ingenieure zahlen Höchstbeträge. Sollte die IG Metall über eine Kappungsgrenze von Mitgliedsbeiträgen nachdenken?
Beckmann: Da halte ich nicht viel von. Unser Problem ist eher, dass es bei den hoch Qualifizierten keine Selbstverständlichkeit ist und es auch keine Tradition gibt, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Aber es verändert sich etwas: Immer mehr Ingenieure kommen zu mir, um Beratung einzuholen. Früher hieß es ja auch, wir bräuchten keinen Betriebsrat. Das ist lange vorbei. Heute wird nicht bestritten, dass man eine Gewerkschaft braucht. Man freut sich über Tarifverträge, die Mindestbedingungen festlegen. Nur meinen viele, die gebe es ohnehin.
 
Wofür müssten sich Gewerkschaften in erster Linie einsetzen, um die Arbeitsbedingungen in den F&E-Bereichen zu verbessern?
Beckmann: Leiharbeit und Werkverträge sind nicht im Arbeitnehmerinteresse. Für Berufsanfänger sind projektbezogene Zeitverträge die Regel. Das führt zu gebrochenen Lebensläufen. Reguläre Arbeitsverträge würden einen erheblichen Teil des Druckes in den Unternehmen herausnehmen. Dann könnten Forscher und Entwickler ihre Tätigkeit eines Tages vielleicht auch wieder als Lebensberuf verstehen.
Schapeler: Die Kurzfristigkeit und der damit verbundene permanente Druck, der überall in die F&E-Bereiche eingezogen ist, tragen am stärksten zur Unzufriedenheit bei. Die Kollegen wollen eine Perspektive zu haben, um die Projekte zu ihrer Zufriedenheit in einer angemessenen Zeit abarbeiten zu können. Das ist ein Kernwunsch, der in unserem Unternehmen auch die Sicherheit des Arbeitsplatzes einschließt.


Mehr Informationen

Mehr Freiraum für Innovationen. 10 Thesen zur Situation der Arbeitnehmer/-innen in Deutschlands Forschung und Entwicklung kann als PDF-Dokument auf der Engineering-Seite der IG Metall (http://www.engineering-igmetall.de/) heruntergeladen werden.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen