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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Einfache Arbeit am Hightech-Standort

Ausgabe 15/2009

Wenig beachtet, doch noch immer ein wichtiger Teil der deutschen Wirtschaft: Fast jeder vierte in der Industrie Beschäftigte leistet ausschließlich einfache Arbeit, die rasch erlernt werden kann.

Den ganzen Tag über die immer gleichen Handgriffe an einer Maschine oder am Fließband - solche Arbeitsplätze gelten in Deutschland als Auslaufmodell. Die wissenschaftliche und öffentliche Debatte gibt ihnen kaum noch eine Chance, stellt der Wirtschaftssoziologe Hartmut Hirsch-Kreinsen fest. Diesen Einschätzungen widerspricht jedoch, was der Professor der TU Dortmund jetzt gemeinsam mit einem Forschungsteam herausgefunden hat: Die Zahl der einfachen Industrie-Arbeitsplätze hat zwar abgenommen, rar geworden sind sie jedoch keineswegs in Deutschland. Vielmehr besteht fast jede vierte Stelle in Industriebetrieben aus relativ schlichten Routineaufgaben, für die keine Berufsausbildung nötig ist und die nach kurzer Einarbeitungszeit ausgeführt werden können. Arbeitsplätze, die bisher den Trend zur Verlagerung von Firmen und zur Konzentration auf Hightech unbeschadet überstanden haben.

Die Wissenschaftler sehen den wesentlichen Grund dafür in der Wirtschaftsstruktur des Landes: "Auch in Deutschland werden weiterhin zu einem hohen Prozentsatz vergleichsweise einfache Standardprodukte hergestellt." Das geschieht vor allem in der Kunststoff- und Gummiproduktion sowie in den Branchen Ernährung, Recycling, Papier- und Druck. In solchen Wirtschaftszweigen arbeitet rund die Hälfte der Industrie-Beschäftigten in Deutschland, und hier sind mehr als 30 Prozent der Belegschaften Einfacharbeiter. In Industrien wie dem Automobil- und Maschinenbau mit Produkten, die stärker in der Öffentlichkeit stehen, ist der Anteil der Stellen mit geringen Anforderungen deutlich kleiner.

Schrumpfung und Verlagerung stoßen an Grenzen. Es existiere ein empirisch nachweisbarer Sockel industrieller Einfacharbeit in Deutschland, so die Forscher um Hartmut Hirsch-Kreinsen. Der Anteil der Einfacharbeiter in der Industrie ist zwar noch in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre spürbar zurückgegangen, von 28,1 auf 23,5 Prozent. Das führen die Wissenschaftler vor allem auf die Schrumpfung traditioneller Industriezweige infolge des hohen internationalen Konkurrenzdrucks und die Verlagerung von Betriebsstätten ins billigere Ausland zurück. Auch die Integration einfacher Tätigkeiten in qualifizierte Stellenprofile könne eine Rolle gespielt haben. Doch seit Beginn des Jahrzehnts zeichnet sich eine neue Entwicklung ab, schreiben die Wissenschaftler: "Die in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre verbreiteten Unternehmensstrategien des Outsourcing, der Konzentration der Unternehmen auf ihre Kernkompetenz und der Verschlankung der Unternehmen scheint an ihre Grenzen gestoßen zu sein."

Einfache Industriearbeit bedeute nicht zwangsläufig voraussetzungslose Arbeit, das zeigt der für die Forscher überraschende Befund, dass jeder zweite Einfacharbeiter eine Berufsausbildung absolviert hat. Qualifizierte Kräfte werden dabei häufig fachfremd auf Einfacharbeitsplätzen eingesetzt. Auch vom Trend zu "wachsender Selbstorganisation und Handlungsautonomie" ist die einfache Industriearbeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Arbeitsbedingungen sind der Untersuchung zufolge keineswegs durchgängig prekär. So sind Normalarbeitszeiten und unbefristete Arbeitsverträge unter den Einfacharbeitern durchaus üblich.

Es sei keineswegs sicher, dass das Qualifikationsniveau aller Beschäftigten ständig steigen müsse, um Industrie-Arbeitsplätze im Land zu halten, folgert Hartmut Hirsch-Kreinsen. Die einfachen Arbeitsplätze verschwinden nicht vollständig, denn nicht alle Fabriken in Deutschland produzierten hochwertige Einzelgüter. Aus wirtschaftspolitischer Sicht sei es darum fraglich, "ob die Zukunftsperspektiven der deutschen Wirtschaft ausschließlich im Bereich hochwertiger Produkte und Spitzentechnologien mit entsprechend hoch qualifizierten Arbeitsplätzen zu sehen sind." Es gebe auch Entwicklungschancen im Bereich einfacher Arbeit. Schlichte Anforderungen an die Beschäftigten müssten weder einer erfolgreichen Industrieproduktion noch der Sicherung akzeptabler Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen widersprechen.  

  • Deutschland gilt als Hightech-Land, doch noch immer ist in der Industrie der Anteil der Einfacharbeit größer als in den Dienstleistungen. Zur Grafik
  • In Branchen wie der Kunststoffproduktion fallen sehr viel einfach Arbeiten an, im Maschinenbau dagegen nur wenige. Zur Grafik

Jörg Abel, Hartmut Hirsch-Kreinsen, Peter Ittermann: Einfacharbeit in der Industrie. Status quo und Entwicklungsperspektiven, Soziologisches Arbeitspapier Nr. 24, TU Dortmund 2009

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