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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Der DGB hat mich im Stich gelassen'

Ausgabe 03/2006

Norbert Blüm kämpfte vom linken Flügel der CDU aus unbeirrbar für die paritätische Mitbestimmung. Dem DGB nahm er übel, dass er nicht stärker dafür mobilisierte - die Mitbestimmung sei schließlich wichtiger als die Koalition.


Mit Norbert Blüm sprachen in Königswinter Cornelia Girndt, Redakteurin des Magazins,
und der Historiker Karl Lauschke.

Sie haben Werkzeugmacher gelernt. Gibt es Mitbestimmungsepisoden des jugendlichen Norbert Blüm?
Aber ja! Als Jugendvertreter bei Opel habe ich in den 50er Jahren zusammen mit dem IG-Metall-Sekretär Hans Matthöfer die Mitbestimmungsdiskussion der IG Metall belebt: Wir forderten, Mitbestimmung müsse am Arbeitsplatz beginnen und dürfe sich nicht nur auf den Aufsichtsrat und den Betriebsrat beschränken.

Mit welchem Erfolg?
Die damalige IG-Metall-Führung hat das als Verrat an ihrer Mitbestimmungskampagne gesehen, Syndikalismus war der schwere Vorwurf an mich und Matthöfer, was zu einem Ausschlussverfahren gegen mich führte, übrigens das erste von insgesamt dreien.
 
Kräftig opponiert haben Sie auch rund 20 Jahre später im Bundestag gegen das unterparitätische Mitbestimmungsgesetz. Sie konnten ja aus der Oppositionsrolle genüsslich den Eiertanz der sozial-liberalen Koalitionäre kommentieren.
Was heißt genüsslich? Soll ich etwa nichts machen, wenn ich Opposition bin und keine Mehrheit habe? Unter einer CDU-Regierung war immerhin das Montanmitbestimmungssicherungsgesetz durchgesetzt worden.

Sie waren auf jeden Fall überzeugt von der Montanmitbestimmung …
Wissen Sie, ich habe in meinem parlamentarischen Leben ungern nicht mit meiner Fraktion gestimmt. Ausgeschert bin ich nur ganz selten, wenn es um elementare Dinge ging - bei den Ostverträgen, beim Paragraphen 218, beim Deutschlandvertrag - und bei der Mitbestimmung.

Am 18. März 1976 stimmte bei der CDU ja jeder, wie er wollte: die meisten für das Mitbestimmungsgesetz, die MdBs aus dem CDU-Wirtschaftsrat dagegen, und es gab eine Enthaltung - das war der zur CDU übergetretene Erich Mende. Diese Zerrissenheit hat ihrerseits die SPD genüsslich kommentiert.
Zerrissenheit hin und her, was nützt es, wenn die SPD kneift, wenn es ums Eingemachte geht? Die hätten ja auch mit uns, den CDU-Abgeordneten aus den Sozialausschüssen für ein Mitbestimmungsmodell stimmen können, das sich am Montanmodell orientiert. Dann hätten wir eine Mehrheit gehabt …

Aber das hätte die sozial-liberale Koalition gesprengt. 
Was ist wichtiger? Die SPD und die Koalition oder die Mitbestimmung? Solche Fragen muss man an den entscheidenden Punkten stellen. Und die Mitbestimmung ist kein Randthema, heute noch weniger, wo Unternehmen zu Filialen der Börse degenerieren.

Sie haben es dem DGB regelrecht übel genommen, dass er sich 1976 auf diesen Kompromiss einließ, der nur eine "optische Parität" vorsah, wie Sie es nannten.
Mein Antrag im Bundestagsausschuss für Arbeit - ein Antrag für die echte Parität der Montanmitbestimmung - musste von mir sozusagen in Heimarbeit hergestellt werden. Dafür hatte ich meine Gewerkschaft, die IG Metall, um Formulierungshilfe gebeten, da ich kein Jurist bin. Das wurde abgelehnt - aus Sorge um die SPD und die Koalition.

Was kann die echte Parität bewirken?
Parität erhöht den Zwang zur Kooperation. Und zum Kompromiss. Ich halte den Kompromiss für die größte zivilisatorische Erfindung in der Geschichte der Menschheit - nach dem Rad. Im Neandertal haben die das noch mit der Keule geregelt. Erst der Kompromiss erzieht, mit dem Kopf des anderen zu denken; der Kompromiss erzwingt, Ergebnisse nach beiden Seiten zu vertreten, es geht eine ungeheure Integrationskraft von ihm aus.

Aber beim Mitbestimmungsgesetz waren Sie kompromisslos?
Ich habe das aus strategischen Gründen übel genommen, dass der DGB in der Kernfrage der Parität so rumgeeiert hat. Danach konnten die Gewerkschaften in dieser Frage nie mehr an eine künftige CDU-Regierung - für die ich kämpfte - harte Forderungen stellen. Der DGB musste so einem Modell nicht seinen Segen geben, nur weil er der SPD einen Gefallen tun wollte. Unabhängigkeit ist die einzige Macht, die man hat.

Die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden ist für Sie eine misslungene Konstruktion?
Das ist für mich eine Disparität - egal ob das Übergewicht nun aus einer Stimme oder einem Drittel resultiert. Im entscheidenden Fall kann sich eine Seite aus dem Kompromiss herauswinden, und dann ist kein Zwang zur Kooperation mehr vorhanden.

Aber man braucht eine Pattauflösung.
Natürlich. Da braucht man einen elften, neutralen Mann, der von beiden Seiten unabhängig sein muss. Während die jetzige Pattauflösung nur einer Seite verpflichtet ist.

Wie kam es, dass so viele Bundestagsabgeordnete der CDU-Opposition diesem Mitbestimmungskompromiss zustimmten?
Da war der Hamburger CDU-Parteitag im November 1973 entscheidend. Wir, die Vertreter der CDU-Sozialausschüsse, haben ja nicht ernsthaft geglaubt, wir würden unser Montanmitbestimmungsmodell in der Partei durchsetzen können.

Und trotzdem haben Sie sich der Abstimmung gestellt?
Aber ja, das muss man den heutigen Sozialausschüssen auch mal ins Stammbuch schreiben. Wir haben verloren, haben aber dadurch in der Partei einen Beschluss herbeigeführt, der dem SPD/FDP-Kompromiss nahe kam.

Was hat das gebracht?
Der Hamburger Beschluss der CDU machte der FDP klar: Auch in einer Regierungskoalition mit der CDU würden sie kein sehr anderes Mitbestimmungsgesetz bekommen. So hatte es zumindest die Funktion, die FDP in einen Kompromiss mit der SPD zu zwingen.

Warum haben Sie eigentlich, nachdem Sie im Bundestag so eine fulminante Gegenrede gehalten hatten, doch für das 76er Mitbestimmungsgesetz gestimmt?
Hab ich? Also wie war das? Ich habe im Ausschuss meinen paritätischen Antrag, den ich mir selbst zusammenzimmern musste, eingebracht, habe dafür bis zur letzten Patrone gekämpft habe - und bin dann weggewischt worden. Damit war der nicht mehr in der parlamentarischen Beratung drin. Nun hätte ich nur noch gegen das Gesetz stimmen können - und das wollte ich auch nicht.

Wie ist denn Ihr Verhältnis zum Wirtschaftsrat der CDU gewesen?
Die haben mich für einen Sozialisten gehalten, dafür haben mich die Gewerkschafter für einen Kapitalisten gehalten. Da beides nicht gleichzeitig stimmen kann, konnte ich mit den Vorwürfen der beiden Seiten leben.

War diese ständige Situation als Grenzgänger für Sie nicht auch persönlich eine schwierige Situation?
Da braucht man ein stabiles Innenleben. Ich wurde von den Stahlarbeitern auf einer Konferenz in Essen mit faulen Eiern beschmissen und saß dann zwei Stunden später im Kabinett, um für Zuschüsse an die Stahlarbeiter zu kämpfen. Da hab ich schon gedacht: Hoffentlich hat sich das noch nicht bis zur FDP und bis zu Bangemann herumgesprochen, sonst erklären die mich für verrückt.

Gab es auch Gespräche mit Ihrem CDU-Parteikollegen Kurt Biedenkopf? Er hatte ja verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Parität.
Der Biedenkopf hat immer die rechtliche Position vorgetragen, stark von seinem Eigentumsbegriff getragen, den ich nicht teile. Wobei er - auch 1973 auf dem Hamburger Parteitag - dann letztlich eine "optische Parität" akzeptiert hat. Immerhin hat er die Notwendigkeit gesehen, dass wenigstens der Eindruck entsteht, die Arbeitnehmer seien gleichberechtigt.

War in den 70er Jahren das Verhältnis der CDU-Sozialausschüsse zum DGB ein engeres?
Der DGB war damals stärker, als er heute leider ist, deshalb war er für die Parteien wichtiger. Zweitens gab es im DGB auch stärkere christdemokratische Repräsentanten, Leute wie Bernhard Tacke, Maria Weber, Gustav Fehrenbach. Die sind in der CDU gehört worden, wenn auch nicht immer gern.

Kommt Mitbestimmung viel eher aus der christlichen Soziallehre, als dass ihr der Stallgeruch von Klassenkampf anhaftet?
Für uns gehört die Zukunft der Mitbestimmung und dem Miteigentum. Nur mit einer solchen Unternehmensreform kann ein vagabundierender Finanzkapitalismus wieder eingefangen werden. Wenn wir das Eigentum wieder an die Arbeit binden wollen, dann geht das nur, indem die Arbeitnehmer am Eigentum beteiligt werden. Damit wieder deutlich wird: Das Unternehmen ist ein Verbund von Menschen, und Kapital ohne Arbeit ist nichts wert.

In den 70er Jahren favorisierten die Sozialausschüsse ein eigenes Mitbestimmungsmodell: Anteilseigner, Manager und Arbeitnehmervertreter sollten in eine Art Board integriert werden - über eine Änderung des Unternehmensrechts. Immer noch oder wieder aktuell?
Der Aufsichtsrat hat ja keinerlei Initiativrecht, der kann nur ablehnen oder absegnen - und es besteht die Gefahr, dass Komplexität nicht mehr überblickt wird. Ein Board nach dem angelsächsischen Modell würde stärker wechselnde Mehrheiten ermöglichen und Blockaden verhindern. Ein Manager muss sich mit beiden Seiten vertragen. Ich halte ein Drei-Pole-Modell mit einem Verwaltungsrat, der nicht einfach nur Absegnungsmaschine ist, nach wie vor für intelligent.

Die Arbeitgeberverbände würden die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat am liebsten auf eine Drittelbeteiligung zurückdrängen, die FDP will die externen Gewerkschafter rauswerfen.
Das sind die Künstler, die den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Was bilden die sich denn eigentlich ein? Soll der Betriebsrat nur noch der Überbringer schwieriger Entscheidungen des Managements sein, ohne wirklich an den Entscheidungen beteiligt zu sein? Viele, die vom hohen Ross herab die Mitbestimmung beurteilen, haben noch nie an einer Betriebsrats- oder Aufsichtsratssitzung teilgenommen, in der die Arbeitnehmer schwierige Entscheidungen mit zu verantworten hatten.

Norbert Blüm - eine letzte Frage zu den letzten Fragen. Sie haben bei Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt, Vorlesungen gehört, stimmt das?
Nicht nur das. Ich habe bei ihm Prüfung gemacht in Theologie. Ich schätze ihn sehr.

Und Sie hatten auch nach dem Studium zu ihm Kontakt?
Ja, als ich Redakteur der CDA-Zeitschrift "Soziale Ordnung" war, bin ich mit meinem Co-Redakteur 1968 nach Tübingen gefahren. Wir wollten uns bei Joseph Ratzinger Rat holen zu Fragen der Mitbestimmung und Problemen der Sozialversicherung.

Und was hält Joseph Ratzinger von Mitbestimmung?
Er wollte sich nicht zu einem konkreten Mitbestimmungsmodell äußern. Er sagte zu uns: Theologen dürfen sich nicht anmaßen, in der Ordnung innerweltlicher Fragen mit der letzten Autorität zu sprechen. Sie sind verantwortlich für die Grundsätze.
 
Und was würde Papst Benedikt XVI. grundsätzlich sagen?
Er würde dasselbe sagen, was Papst Johannes II., Papst Paul VI. sowie Papst Johannes XXIII. gesagt haben und was alle ihre Nachfolger auch sagen werden: Arbeit hat Vorrang vor Kapital.


 

Zur Person
Norbert Blüm, 70, Werkzeugmacher und IG-Metall-Jugendvertreter, trat mit 15 Jahren in die CDU ein, studierte mit einem Stipendium der "Stiftung Mitbestimmung" Germanistik, Philosophie und Theologie und promovierte 1967. Erst Hauptgeschäftsführer und ab 1977 Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse. Seit 1972 war Blüm Abgeordneter des Deutschen Bundestags und Arbeitsminister während der Kohl-Kanzlerschaft von 1982 bis 1998. Sein Bundestagsmandat gab er 2002 auf und ging mit 67 Jahren in den Un-Ruhestand.

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