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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Besser kein Gesetz als diesen faulen Kompromiss'

Ausgabe 03/2006

Auch nach 30 Jahren hält Friedhelm Farthmann die Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes für einen politischen Fehler. Als "Vetters rechte Hand" stritt ervergeblich für die Erweiterung der Montanmitbestimmung.



Mit Prof. Dr. Friedhelm Farthmann sprachen Cornelia Girndt und Margarete Hasel.


Mitbestimmung war die zentrale gesellschaftspolitische Forderung der Gewerkschaften in den 60er Jahren - prominent betont auch im neuen DGB-Grundsatzprogramm von 1963. War das der Abschied vom Sozialismus?
Ob diese Forderung Ersatz war für die Überführung der Großunternehmen in Gemeineigentum oder neben ihr stehen sollte, wurde nie ausdiskutiert. "Wenn wir die Mitbestimmung fordern, erkennen wir die Kapitalseite als legitime Partner an, dann kann man nicht gleichzeitig Sozialisierung fordern." Das war die Argumentation der einen Seite - auch meine.

Während für andere, insbesondere in der IG Metall, die Systemfrage keineswegs erledigt war. Zwar hielten auch sie die Sozialisierung aktuell für nicht durchsetzbar. Mitbestimmung war für sie vor allem ein Instrument, Arbeitnehmerinteressen besser zur Geltung zu bringen, solange es Kapitalismus gibt.

Auch Heinz-Oskar Vetter hat mitunter die systemüberwindende Dimension der Mitbestimmung betont.
Damit haben wir immer ein bisschen gemogelt. Stabilisiert sie das System, überwindet sie das System? Wer lieber etwas von der Systemüberwindung hören wollte, dem haben wir erzählt, das sei ein Stück realer Überwindung der bestehenden Machtverhältnisse. Was es übrigens auch ist oder zumindest sein kann. Bei den anderen beschworen wir den stabilisierenden Charakter der Mitbestimmung.

Als Leiter der Abteilung Mitbestimmung beim DGB-Vorstand spielten Sie ab Mitte der 60er Jahre eine wichtige Rolle in diesen Auseinandersetzungen.
Das war die attraktivste Position, die der DGB damals zu vergeben hatte. Ich war nicht nur zuständig für die Erweiterung der Mitbestimmung, sondern auch für die aktuelle Mitbestimmungspraxis, für die Ernennung der Aufsichtsratsmitglieder und der Arbeitsdirektoren. Formal zuständig war natürlich eine Kommission Mitbestimmung, in der die Vorsitzenden von DGB, IG Metall und IG Bergbau vertreten waren. Aber die segneten in der Regel ab, was ich ihnen vorschlug. Insofern hatte ich eine starke Stellung und wurde öffentlich als der Mitbestimmungsexperte des DGB gehandelt.

Wie hat der DGB damals dieses Thema auf die politische Agenda gebracht?
Wir haben die Kampagne gezielt geplant. Eine Arbeitsgruppe bereitete die öffentliche Präsentation vor, entwickelte Broschüren, Anzeigen und Veranstaltungen. Eine andere hat den offiziellen Entwurf des DGB zur Erweiterung der Montanmitbestimmung, also zum neuen Mitbestimmungsgesetz formuliert. Auf diesen Entwurf bin ich heute noch stolz. Auch den Slogan "Mitbestimmung - eine Forderung unserer Zeit" haben wir erarbeitet. Mit diesem Titel erschien auch eine Broschüre mit einer umfangreichen gesellschaftspolitischen Begründung der Mitbestimmung.

Dieser selbstbewusste Slogan schien wunderbar zum Zeitgeist von 68 zu passen. Sprang der Funke über?
Die erste große Veranstaltung war im März in der Köln-Deutzer Radsporthalle. Der DGB-Vorsitzende Ludwig Rosenberg hatte schon zu reden begonnen, als hinten in der Halle die Türen aufgingen und mit Tschingderassa, Pauken und Trompeten Kollegen einmarschierten - ein Zug, der sich verspätet hatte. Rosenberg - ein begnadeter Redner, wie ihn der DGB selten hatte - erfasste die Situation sofort und sagte: "Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich noch nie so gern unterbrechen lassen bei einer Rede wie durch euren Auftritt." Es gab einen unbeschreiblichen Jubel.

Diese DGB-Veranstaltung fand unmittelbar vor dem Nürnberger SPD-Parteitag statt, wo Mitbestimmung ein Thema war. Waren die Delegierten beeindruckt?
Politisch ging es richtig zur Sache, die Positionen prallten unversöhnlich aufeinander. Vertreter der Linken haben uns als Arbeiterverräter denunziert und behauptet, wir wollten damit die richtige Änderung der politischen Machtverhältnisse verhindern oder uns abkaufen lassen. Herbert Wehner hat dafür regelrecht Prügel bezogen. Als er zur Halle ging, durchbrachen Demonstranten die Absperrungen und schlugen massiv auf ihn ein. Willi Michels, damals Vorstandsmitglied der IG Metall, hat sich noch dazwischen geworfen.

Hätte diese Kluft zur rebellischen Studentengeneration, die ja ihrerseits gerade die Arbeiterbewegung entdeckte, vermieden werden können?
Als unsere Mitbestimmungskampagne gerade richtig ins Rollen kam, brach die 68er Bewegung aus. Als ich kurz vor Ostern 1968 nach einem Gespräch mit Hoesch-Betriebsräten auf der Rückfahrt nach Düsseldorf im Radio von den Blockaden gegen Springer in Berlin und Hamburg hörte, dachte ich: Das ergänzt sich und das läuft. Doch schon nach wenigen Tagen spürte ich, wie das aus dem Ruder lief und uns nur schadete.

War das eine schmerzliche Erkenntnis?
Unsere zweite Mitbestimmungsveranstaltung fand wenig später in Hannover statt. Hauptredner war Wilhelm Gefeller, damals Vorsitzender der IG Chemie und ein großer Anhänger der Mitbestimmung. Der kriegte kaum einen Satz zu Ende, ständig wurde er niedergeschrien. Selbst Otto Brenner musste das in Hamburg auf der Maiveranstaltung erleben. Das war für uns ein richtiger Schock. In unserem Selbstverständnis stemmten wir uns gegen die Mächtigen dieser Welt und kämpften den Kampf unseres Lebens. Und da fallen die uns in den Rücken, verhöhnen uns und greifen uns an.

Und statt am 1. Mai 1969 für das Motto "Die Zukunft gewinnen - mitbestimmen" zu demonstrieren, stellten die Studenten in Berlin eine große Demonstration gegen den DGB auf die Beine.
Das war deprimierend. In den 50er Jahre waren die Mai-Kundgebungen in Berlin die machtvollsten. Hunderttausende kamen, um Ernst Reuter, später Willy Brandt zu hören. Und plötzlich konnten wir in Berlin keine DGB-Veranstaltung mehr machen, weil unsere Redner niedergebrüllt wurden.

So hatte sich der DGB gesellschaftliche Emanzipation nicht vorgestellt. War Mitbestimmung keine publikumswirksame Forderung?
Mitbestimmung war damals eine ungemein populäre Forderung, auch für die Leute auf der Straße. Ich erinnere mich an eine Reklame von BMW: "Wir wollen Mitbestimmung auf der Straße" - Mitbestimmung in dicken Lettern - und deswegen einen BMW mit starkem Motor. Als ich diese Anzeige sah, war mir klar: Jetzt haben wir es geschafft! Wenn die kommerzielle Werbung den Begriff Mitbestimmung benutzt, dann zeigt das die Dynamik unserer Forderung.

Mit der SPD immerhin zeichnete sich ein Schulterschluss in der Mitbestimmungsfrage ab. Im Januar 1969, noch zu Zeiten der großen Koalition, brachte die SPD einen Gesetzentwurf ein. War der nach dem Geschmack des DGB?
Eine Kommission unter Vorsitz des damaligen Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt, der auch ich angehörte, hatte diesen Gesetzentwurf erarbeitet. Ausgangspunkt war zwar der DGB-Entwurf, der aber in einigen Punkten abgewandelt wurde. Gleich zu Beginn der Beratungen hatte Schmidt klargestellt: "Kollegen, ein Mitbestimmungsgesetz, in dem der DGB entsendet, ist mit mir nicht zu machen. Das geht nur über Wahlen." Willi Michels vom Vorstand der IG Metall hat darauf unter Protest die Kommission verlassen. Ich bin geblieben.

Im Jahr davor hatte auch die Biedenkopf-Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Wie wurde das eingeschätzt?
Das sahen wir als großen Durchbruch. Dass die Kommission gegründet wurde, zeigte, dass man sich mit dem Thema beschäftigte. Und im Ergebnis würde keiner vorbeikommen. Zumal bekannt war, dass Biedenkopf der Mitbestimmung nicht ablehnend gegenübersteht. Außerdem konnte der DGB zwei beratende Vertreter entsenden.

Die Biedenkopf-Kommission zollte dem deutschen Gesamtsystem Respekt und hatte die Tarifautonomie und die Verantwortung für das Allgemeinwohl durchaus im Blick. Konnte das die Enttäuschung wettmachen, dass die Empfehlungen eher auf Unterparität zielten?
Jedenfalls waren damit primitive Ablehnungsversuche überzeugend widerlegt. Alles Weitere musste politisch entschieden werden. Dass eine wirkliche Parität mit der FDP nicht zu machen war, deutete sich an. Das brachte den DGB in arge Bedrängnis. Wir standen vor der Frage, ob wir weniger akzeptieren sollten als die Parität.

War das für den DGB-Experten Farthmann, der ab 1971 auch im Bundestag saß, tatsächlich eine offene Frage?
Ich habe wie ein Löwe für die Alles-oder-Nichts-Lösung gekämpft. Ich habe den Gesetzentwurf in der Fraktion abgelehnt - als Einziger. Und auf der großen Bremer AfA-Konferenz 1975 habe ich die Ablehnung dieses faulen Kompromisses gefordert. Schließlich hätte es in der nächsten Legislaturperiode schon ganz anders aussehen können. Danach wurde ich in der Fraktion ziemlich isoliert. Da war Wehner eisenhart.

Auch auf dem SPD-Parteitag im November 75 in Mannheim ging es hoch her.
Viele waren auf meiner Seite, ich fühlte mich nirgendwo angefeindet. Das war nicht zu vergleichen mit dieser elenden Abstimmung innerhalb der Fraktion, die ich in ganz schlechter Erinnerung habe. In der Fraktion wollten eben alle was werden, das ist beim Parteitag nicht der Fall. Ich entsinne mich auch noch genau, wie Willy Brandt auftrat, und an meine Hemmungen, ihm zu widersprechen.

Warum haben Sie die Fast-Parität so kompromisslos abgelehnt? 
Diese Mitbestimmung hat, um es ganz vorsichtig auszudrücken, dazu geführt, dass die Betriebsräte den Gewerkschaften ein Stück weit entgleiten, ohne dass wirklich eine Machtveränderung herbeigeführt wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Aufsichtsräte durchaus das eine oder andere bewegen können. Das kann hilfreich sein, ändert aber nichts an den Machtverhältnissen.

Wo war Ihre parlamentarische Mehrheit für eine Veränderung der Machtverhältnisse?
Es hätte mir großen Spaß gemacht, ein richtig paritätisches Gesetz zur Abstimmung zu bringen. Wie Norbert Blüm da wohl gestimmt hätte? Wir haben mit den Sozialausschüssen der CDU pausenlos verhandelt, aber die haben keine verbindlichen Zusagen gegeben. Es war dennoch ein Fehler, dass wir es nicht versucht haben. Wer gesellschaftlich etwas ändern will, der muss auch mal was riskieren. Die CDU hatte damals eine unglaubliche Angst davor, dass wir die volle Parität zur Abstimmung stellen. Und wir haben das nie riskiert! Welch eine vertane Chance!

Vor allem hätte es die sozial-liberale Koalition gesprengt. Das hätten Sie in Kauf genommen?
Damals ja. Ob es auch klug gewesen wäre, weiß ich nicht. Da hatte ich durchaus meine Zweifel. Deswegen hatte ich sowohl Willy Brandt als auch Herbert Wehner geraten, das Gesetz zurückzuziehen.

Ihre Kollegen Gewerkschafter im Bundestag waren nicht dieser Ansicht. Alle haben dem Kompromiss zugestimmt.
Und alle haben sich mit dem Hinweis auf die Koalition gerechtfertigt. Ich habe nie verstanden, warum wir das Gesetz nicht vertagt haben, es drängte doch keiner. Vielleicht hätten die Wähler ja sogar die FDP abgestraft, wenn wir deutlich gemacht hätten, dass die Parität an ihr gescheitert ist.

tte sich nicht vor allem das Arbeitgeberlager über diesen Aufschub freuen können?
Das kann man so sehen. Eine wirkliche Chance, die absolute Mehrheit zu kriegen, hat es seither für die SPD nicht gegeben. Insofern war das, was ich gemacht habe, ein riskantes Spiel. Riskant allerdings nur, wenn man das Erreichte wirklich als Fortschritt ansieht. Ich bin aber auch heute der Meinung, dass das 76er Gesetz keinen wirklichen Fortschritt gebracht hat. Ich glaube allerdings auch, dass die Montanmitbestimmung ihre Bewährungsprobe nicht bestanden hat.

Warum?
Der erste Grund ist die Auseinandersetzung um die Stilllegung der Krupp-Hütte Rheinhausen 1989. Mitbestimmung bedeutet immer auch ein Stück Verbindlichkeit für die Arbeitnehmer. Die ist in Rheinhausen zerstört worden. Da haben die Leute ihren eigenen Arbeitsdirektor mit Eiern beworfen und ihren Erfolg auf der Straße gesucht.

Das ist mit Mitbestimmung nicht vereinbar. Selbst wenn es so gewesen wäre, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat dagegen gestimmt haben und der neutrale Mann den Ausschlag gegeben hat, hätte man sich an die Spielregeln halten und die Entscheidung akzeptieren müssen. Wer das nicht will, darf keine Mitbestimmung fordern. Noch schlimmer ist der zweite Punkt: Wenn die Mitbestimmer noch nicht einmal den Versuch machen, Abzockereien wie bei Mannesmann zu verhindern, sollten wir die Finger davon lassen.





Zur Person
Friedhelm Farthmann, Jahrgang 1930, startete seine gewerkschaftlich-politische Karriere 1961 als Referent für Arbeits- und Wirtschaftsrecht im damaligen Wirtschaftswissenschaftlichen Institut (WWI) des DGB, dessen Geschäftsführer er nach der Umbenennung in Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) von 1971 bis 1975 war.

Von 1966 bis 1971 war er als Leiter der Abteilung Mitbestimmung, 1969 umbenannt in Abteilung Gesellschaftspolitik, beim DGB-Bundesvorstand die einflussreiche Drehscheibe der DGB-Kampagne für die Ausweitung der Montanmitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft.

Auch als SPD-Bundestagsabgeordneter (1971-1975) war er einer der engagiertesten Verfechter der paritätischen Mitbestimmung. 1975 wechselte er als Arbeitsminister in die nordrhein-westfälische Landesregierung - ein Amt, das er zehn Jahre innehatte. Von 1985 bis 1995 war er Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Düsseldorfer Landtag.

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