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Bettina Kohlrausch & Thorben Albrecht Magazin Mitbestimmung

Mobile Arbeit : Homeoffice? Nur freiwillig

Ausgabe 04/2021

Wie es mit der mobilen Arbeit in Zukunft weitergeht und welche Fallen sie birgt, darüber sprachen Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, und Thorben Albrecht, Leiter der Grundsatzabteilung der IG Metall. Das Gespräch moderierte Fabienne Melzer

Haben Sie im vergangenen Jahr viel zu Hause gearbeitet?

Bettina Kohlrausch: Ich habe schon immer viel zu Hause gearbeitet. Es macht mich flexibler. Aber als zum Homeoffice noch Homeschooling kam, wurde es schon anstrengend.

Und bei Ihnen, Herr Albrecht?

Thorben Albrecht: Ich habe zwischen Büro und Arbeit von zu Hause gewechselt. Aber jenseits der Pandemie finde ich das Büro meistens sinnvoller.

Spiegeln Ihre Erfahrungen die vieler Menschen in der Pandemie wider?

Kohlrausch: Die Menschen haben im Home­office sehr ambivalente Erfahrungen gemacht, das zeigen unsere Befragungen. Viele schätzen die Flexibilität, und über 80 Prozent sagen, dass es die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben erleichtert. Andererseits klagen viele über Entgrenzung und Verdichtung von Arbeit. Sie arbeiten mehr, und die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen.

Albrecht: Wir müssen unterscheiden zwischen denen, die Homeoffice machen können, und denen, die es nicht können. In unseren Branchen sagten im vergangenen Jahr 39 Prozent der Beschäftigten, sie können aufgrund ihrer Tätigkeit nicht zu Hause arbeiten. Für sie war die Kinderbetreuung noch mal schwieriger. Aber auch die Kombination aus Homeoffice und Kinderbetreuung hat deutliche Grenzen.

Kohlrausch: Im zweiten Lockdown waren die Beschäftigten auch schon weniger zufrieden mit der Arbeit im Homeoffice. Es erleichtert die ­Vereinbarkeit eben nur unter bestimmten Bedingungen, und eine wichtige Bedingung ist, dass die Kinder nicht zu Hause sind. Homeoffice darf kein Ersatz für Kinderbetreuung sein.

Wie lässt sich Entgrenzung verhindern?

Kohlrausch: Mit klar verabredeten Arbeitszeiten, Pausen und einem Recht auf Nichterreichbarkeit. Es braucht auch Klarheit in Aufgaben und Verantwortung. Ebenso müssen die äußeren Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung stimmen. Außerdem sollten die Beschäftigten nicht komplett im Homeoffice verschwinden. Optimal ist eine tageweise Aufteilung zwischen Betrieb und mobiler Arbeit.

Albrecht: Gerade Wissensarbeit und kreative Arbeit brauchen auch in Zukunft gemeinsame Arbeitsorte, jenseits von Videokonferenzen. Wir brauchen diese Orte auch für die Solidarität unter den Beschäftigten. In der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie haben wir zwar Streiks im Homeoffice und Treffen in virtuellen Räumen organisiert, aber das ersetzt nicht den Streik vorm Werkstor.

Was wünschen sich Beschäftigte nach über einem Jahr mobiler Arbeit?

Albrecht: Von denen, die im Homeoffice waren, sagen 86 Prozent, sie wollen auch in Zukunft regelmäßig von zu Hause aus arbeiten können. Aber wir dürfen den Krisenmodus nicht einfach fortschreiben, sondern müssen zu geregelteren Formen kommen

Schätzen Beschäftigte nicht gerade den zurzeit unbürokratischen Umgang mit mobiler Arbeit?

Kohlrausch: Sie schätzen Flexibilität, aber nicht Regellosigkeit. Wo es Regeln gibt, wo Ausstattung bereitgestellt wird, Arbeitszeit geregelt ist, fühlen sich die Menschen weniger belastet. Insofern muss man darauf achten, dass die Flexibilität erhalten und die Mitbestimmung gestärkt wird.

Spaltet Homeoffice die Belegschaft?

Kohlrausch: Tatsächlich ist es immer noch eher ein Privileg der besser Qualifizierten und höher Verdienenden.

Albrecht: Es wurde zumindest teilweise so wahrgenommen, besonders in der Pandemie. Beschäftigte aus der Produktion konnten nicht zu Hause arbeiten. Sie fühlten sich nicht nur weniger selbstbestimmt, sondern auch weniger geschützt. Ich wäre aber vorsichtig, eine solche Spaltung herbeizureden. Gewerkschaften verlieren die Menschen, die in der Produktion arbeiten, nicht aus dem Blick, und wir arbeiten daran, auch ihre Autonomie zu verbessern.

Gibt es Ideen?

Albrecht: Unsere Tarifabschlüsse seit 2018 erhöhen die selbstbestimmte zeitliche Flexibilität nicht nur für Angestellte. Und eine Arbeitszeitverkürzung auf eine Viertagewoche kann nicht nur anstehende Umbrüche in den Betrieben abmildern, sie gibt auch den Menschen in der Produktion mehr Freiräume für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Privatleben.

Benachteiligt mobile Arbeit nur die, die nicht zu Hause arbeiten können?

Albrecht: Ich würde nicht unterschätzen, wie wichtig es nach wie vor für viele Vorgesetzte ist, im Betrieb sichtbar zu sein. Davon hängt leider zu häufig ab, ob man angesprochen wird für eine Weiterbildung oder eine Beförderung. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wer nach der Pandemie mehr zu Hause arbeiten wird: in erster Linie Frauen, die dann bei Weiterbildung und Aufstieg aus dem Blick der Führungskräfte geraten – jedenfalls solange sich Führungsverhalten nicht grundlegend ändert.

Steckt hinter dem Wunsch nach mehr Home­office vielleicht eigentlich der Wunsch, dass mehr Zeit vom Tag für das Privatleben übrig bleibt?

Albrecht: Die Viertagewoche ist genau deshalb populär, weil man tatsächlich mehr Zeit hat, Privates entspannter zu erledigen. Man muss es nicht immer dazwischenschieben, sei es am späten Feierabend oder im Homeoffice zwischendurch.

Kohlrausch: Im Homeoffice schiebt man mal leicht was dazwischen, und das verdichtet im Grunde den Arbeitstag. Viele Beschäftigte gehen zu Hause von einer Videokonferenz in die nächste.­ Die kleinen Erholungspausen im Büro werden zu Hause gerne mit Erledigungen gefüllt. Viele fühlen sich im Homeoffice in der Tat erschöpfter.

Andererseits denken einige Arbeitgeber nun darüber nach, Büroflächen zu sparen.

Kohlrausch: Die Debatte ist widersprüchlich. Einerseits stellen sich Arbeitgeber gegen ein Recht auf Homeoffice, andererseits wollen sie ganze Büroflächen dichtmachen und die Menschen nach Hause schicken. Aber es ist wichtig, dass mobile Arbeit freiwillig bleibt.

Das Prinzip geteilter Schreibtische gab es schon vor der Pandemie.

Albrecht: Es gibt Betriebe, die auf eine humane Gestaltung achten, und es gibt Großraumbüros, die auch vor der Pandemie schon nicht gut waren.

Wie kann mobile Arbeit human gestaltet werden?

Albrecht: Das gelingt nur mit echter Mitbestimmung. Man muss mit den Beschäftigten die Modelle diskutieren.

Kohlrausch: Das ist auf der betrieblichen Ebene gut aufgehoben. Detailfragen sind bundeseinheitlich schwer zu regeln. Zeiten der Nichterreichbarkeit etwa sehen in einem Unternehmen, das eng mit den USA zusammenarbeitet und auf die Zeitverschiebung reagieren muss, anders aus als in einem Betrieb, der eher im inländischen Markt tätig ist. Mitbestimmung sichert hier Flexibilität, weil sie Lösungen für den jeweiligen Betrieb findet. Wichtig ist aber dabei, dass es festgelegte Ruhezeiten gibt und dass diese nicht aufgeweicht werden.

Was muss der Gesetzgeber regeln?

Kohlrausch: Das generelle Recht auf Homeoffice. Standards für Arbeitszeiten, tägliche Ruhezeiten, Arbeitsschutz und Datenschutz müssen auch für mobile Arbeit gelten.

Albrecht: Auch die Reichweite der Mitbestimmung muss gesetzlich definiert werden. Die Frage, welche Rechte Betriebsräte in solchen Prozessen haben, ist entscheidend, ob gute betriebliche Lösungen verhandelt werden können.

Konkurrieren Beschäftigte nicht weltweit um Jobs, wenn ihre Arbeit nicht mehr an einen festen Ort gebunden ist?

Albrecht: Das ist in der Tat der blinde Fleck der Debatte. Wenn ich nicht mehr nach Berlin ins Büro muss und in Beelitz arbeiten kann, dann kann meine Arbeit auch von Menschen in Belem in Portugal oder in Bangalore in Indien erledigt werden. Was hindert Arbeitgeber, im nächsten Schritt Personal über Arbeitsvermittlungsplattformen zeitweise zu beschäftigen? In den USA wächst dieser Bereich vor allem bei Hochqualifizierten. Der dritte Schritt ist dann der Ersatz von Arbeitskraft durch künstliche Intelligenz. Im negativen Fall kann Homeoffice also die Vorstufe­ von Offshoring, Outsourcing und Automatisierung sein. Ich kenne Betriebsräte, die das Umstellen auf Homeoffice nach der Pandemie als das große Versuchsfeld des Managements für diese Fragen sehen. Da müssen wir kritisch draufschauen.

Kohlrausch: Die genannten Gefahren sehe ich auch, und ich bin sehr dafür, den Betrieb als zentrale Ebene von Arbeit zu erhalten. Gleichzeitig müssen die Menschen die Chancen der mobilen Arbeit für sich nutzen können. Wenn zum Beispiel Paare in die Berufsplanung einsteigen, orientiert sich noch immer häufig die Frau an der Lebensplanung des Mannes und macht Abstriche. In dem Moment, in dem Arbeitsort und Lebensmittelpunkt nicht mehr so eng zusammenhängen, wird es leichter, zwei Karriereplanungen zu vereinbaren.

Warum wird der Betrieb der zentrale Arbeitsort bleiben?

Albrecht: Weil der Mensch zufriedener und produktiver ist, wenn er die Möglichkeit hat, mit anderen an einem Ort zusammenzuarbeiten. Gerade für die Teile der Arbeit, die nicht automatisierbar sind, wo der Mensch als soziales Wesen, gefragt ist, gerade im Bereich der Pflege, Erziehung und Bildungsarbeit, in Forschung und Entwicklung sind persönliche Kontakte wichtig und können nicht durch Videokonferenzen ersetzt werden.

Kohlrausch: Weil Lernen oder Qualifizierung oft informell stattfindet, weil man voneinan­der lernt und sich mal was zeigen lässt. Zudem ist der Betrieb immer noch der Ort, an dem viele Mechanismen, die die Beschäftigten vor den Kräften des Marktes schützen, angedockt sind und umgesetzt werden. Hierzu gehört zum Beispiel Qualifizierung, aber eben auch Mitbestimmung.


 

Fotoprojekt: Homeoffice – neue Arbeitswelt

Die Pandemie hat die Arbeitswelt vor allem in einem Punkt verändert: Mehr Menschen arbeiten von zu Hause und wollen es auch in Zukunft weiter tun. Der Fotograf und Altstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung, Werner Bachmeier, hat in den vergangenen Monaten festgehalten, wie Menschen zu Hause ­arbeiten. Mit seinem Fotoprojekt „Homeoffice – neue Arbeitswelt in Zeiten von und nach Corona“, das die Stiftung Kultur­werk der VG Bild-Kunst mit einem der Förderpreise 2020 unterstützt, will er Homeoffice dokumentieren, wie Menschen es heute erleben und wie es sich zukünftig verändert. Die Bilder auf diesen Seiten zeigen eine Auswahl aus seinem Projekt.

  • Redakteurin
    Redakteurin schneidet einen Fernsehbeitrag
  • Technikerin
    Eine Technikerin in der Materialprüfung wertet ihre Messergebnisse am Küchentisch aus.
  • Verwaltungsangestellte
    Auf dem Boden ist auch ein Arbeitsplatz – Verwaltungsangestellte aus München.
  • Ingenieur
    Ein Ingenieur arbeitet im Gästezimmer und betreut nachmittags nach dem Kindergarten seinen Sohn.
  • Medienpädagogin
    Eine Medienpädagogin hat ihre Kommode zum Schreibtisch gemacht und einfach die Schublade herausgezogen.

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