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Magazin Mitbestimmung

: Garanten der Vielfalt

Ausgabe 07/2007

RUNDFUNK Rund 100 Gewerkschaftsvertreter sitzen in den -Rundfunkräten und Aufsichts-organen der Landesmedienanstalten. Die Öffentlichkeit beachtet ihre Arbeit kaum.

 

Von SABINE NEHLS. Die Autorin ist Medienwissenschaftlerin in Hamburg und war viele Jahre in der
gewerkschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit tätig.


Dieter Pienkny ist ein freundlicher großer Mann, der mit leicht berlinerischen Einschlag spricht. Er ist 53, Pressesprecher des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg und sitzt seit sechs Jahren in einem Rundfunkrat - zuerst beim Sender Freies Berlin und seit dessen Fusion mit dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg im seit vier Jahren bestehenden Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Als Landesrundfunkanstalt der ARD sendet der RBB sein Fernsehprogramm von der Hauptstadt bis zur Oder; dazu kommen noch -diverse Radioprogramme: Radio Berlin 88,8, Antenne Brandenburg, das Jugendradio Fritz - und sogar ein Programm für die Sorben, das gemeinsam mit dem Mitteldeutschen Rundfunk produziert wird.

Neben Dieter Pienkny hat im RBB-Rundfunkrat auch eine Kollegin der Gewerkschaft ver.di ein Mandat. Zudem gibt es noch einen Vertreter für den Deutschen Beamtenbund. Sein Ehrenamt hat nicht den besten Ruf - vielleicht auch deshalb, weil man so wenig darüber weiß. So hatte TV-Entertainer Günther Jauch nach seinem geplatzten Einstieg beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die "Gremien voller Gremlins", die Rundfunkräte, für das Scheitern verantwortlich gemacht. Nur zur Erinnerung: Gremlins sind kleine haarige Filmmonster, für deren Pflege der Rat lautet: Halte es von Wasser fern, setze es nicht dem Sonnenlicht aus und füttere es nie nach Mitternacht. Pienkny sieht nicht aus wie ein Gremlin, und dass er keine Ahnung hätte, kann man ihm auch nicht vorwerfen: Er ist gelernter Journalist, arbeitete unter anderem zehn Jahre beim Spandauer Volksblatt und ist seit 1991 beim DGB.

Das professionelle Know-how ist ihm wichtig: "Als Mitglied eines Rundfunkrates sollte man mehr als fernsehen und Radio hören können." Es sei sinnvoll, journalistische Standards zu kennen, wie die Trennung von Kommentar und Nachricht, sagt er. Rundfunkräte müssten sich auskennen in der aktuellen Mediendebatte, wissen, welche technischen Neuerungen auf dem Markt Einzug halten und wie sich Hörgewohnheiten verändern. Dazu liest Pienkny auch Fachzeitschriften wie die Media Perspektiven. "Man sollte sowohl an technischen wie an gesellschaftlichen Entwicklungen interessiert sein", so beschreibt er die idealen Voraussetzungen für sein Amt. Und ergänzt: "Betriebswirtschaftliches Verständnis gehört auch dazu, da man in die Finanzpläne hineinschauen muss."
 
DIE JOURNALISTISCHE FREIHEIT IST TABU_ Nicht nur die Gewerkschaften, auch Parteien, Arbeitgeber, Wohlfahrtsorganisationen und andere Verbände können im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Vertreter in die Rundfunkräte entsenden - ein Stück gesellschaftlicher Mitbestimmung in den elektronischen Medien, deren Bedeutung bis heute stetig gestiegen ist. Die Rundfunkräte und Mitglieder in den Gremien der Landesmedienanstalten wählen Intendanten oder bestimmen über die Besetzung von Direktorenposten und die Zulassung privater Sender mit, außerdem üben sie bei der Einhaltung der jeweiligen Programmrichtlinien eine beratende und kontrollierende Funktion aus.

Nach einer Feststellung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Rundfunkräte nicht die Interessen ihrer Verbände, sondern die der Allgemeinheit vertreten: Aber welche Kompetenzen haben die Gremien tatsächlich, und wie gehen ihre Mitglieder, allesamt Vertreter von Interessenorganisationen, damit praktisch um? "Die Messlatte ist der öffentlich-rechtliche Auftrag", sagt Pienkny. "Ich gehe nicht da rein und sage: Ich möchte, dass der DGB in jeder Fernsehnachricht vorkommt. Aber ich bin natürlich dafür, dass bestimmte Themen wie Wirtschaft und Arbeitswelt stärker in den Programmen vorkommen." Pienkny beklagt, dass das Fernsehen komplizierte Themen zuweilen mit spitzen Fingern anpackt: "Brennende Mülltonnen beim Streik sind immer schön für die Medien. Aber differenziertere Themen wie die Mindestlohndebatte oder prekäre Beschäftigung werden eher unter ‚ferner liefen‘ gehandelt."

Den eigenen Einfluss auf die Sender beurteilen die gewerkschaftlichen Gremienmitglieder sehr unterschiedlich: Rund 54 Prozent geben an, ihre Möglichkeiten, die Arbeit des Senders oder der Landesmedienanstalt mitzugestalten, seien gut oder gar sehr gut, rund 46 Prozent meinen dagegen, sie seien weniger gut oder nicht gut. "Punktuell kann man schon einiges machen", meint Dieter Pienkny. Was einzelne Sendungen angeht, haben Rundfunkräte aber nur rückwirkende Einflussmöglichkeiten, denn die journalistische Freiheit darf durch die Gremien nicht eingeschränkt werden. Wichtig, so Pienkny, sei in diesem Zusammenhang auch die Unabhängigkeit des Senders von den Regierenden: "Das ist nicht überall so positiv wie beim RBB, der wirklich der Politik die Stirn bietet. Einige Sender lassen sich von den Parteien ja ein Stück weit eintopfen."

Pienkny hat im Programmausschuss und im Rundfunkrat zusammen mit anderen durchgesetzt, dass es wieder ein Filmmagazin im Fernsehen gibt, nachdem dieses aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgeschafft worden war. "Berlin ist eine Kulturstadt - die Abschaffung war ein Skandal!", erklärt er. Zuweilen gibt es in den Gremien überraschende Allianzen. So ist es ihm als Gewerkschafter gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden gelungen, dass jeden Tag in den Fernsehnachrichten zwischen 17.05 und 17.10 Uhr ein Wirtschaftsblock erscheint. Wie der aussehen soll, darüber hat er genaue Vorstellungen: "Wirtschaftsnachrichten heißt für mich auch: Nachrichten aus der Arbeitswelt."

Als seine Aufgabe sieht er es außerdem an, auf Defizite in der Berichterstattung hinzuweisen. Bei bestimmten Themen, sagt er, sei es möglich, "alle undogmatischen Kräfte zu bündeln" - etwa bei ethischen und politischen Fragen, beim Thema Rechtsextremismus oder Jugendschutz. Networking sei sehr wichtig, sagt Pienkny: "Ich lade ab und zu mal die Kollegen aus den Kirchen oder aus den Wohlfahrts- und Elternverbänden ein. Dann reiche ich auch den DGB-Newsletter weiter oder Papiere von ver.di zur Familienpolitik."

EIN STÜCK MEDIALER MITBESTIMMUNG_ Rund einhundert Gewerkschafter aus dem DGB, dem Deutschen Journalistenverband und dem Deutschen Beamtenbund arbeiten in Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen und des privaten Rundfunks. In den meisten Fällen werden sie durch die entsendenden Organisationen benannt. Für die Aufsicht über den privaten Rundfunk sind die Landesmedienanstalten zuständig. Auch hier wurde Anfang der 80er Jahre ein den Rundfunkräten ähnliches Modell der gesellschaftlich-pluralistischen Kontrolle eingeführt.

Rund 59 Prozent der gewerkschaftlichen Mitglieder in den Gremien sind Männer, rund 66 Prozent der Mitglieder sind hauptamtlich bei den Gewerkschaften beschäftigt, und 72 Prozent sind zwischen 46 und 65 Jahre alt. Den professionellen Hintergrund, den Pienkny einfordert, bringen die meisten von ihnen nach eigener Aussage mit: Rund drei Viertel gaben die Medienpolitik als ein Thema an, bei dem sie gewerkschaftlich tätig sind, fast jeder Zweite ist mit Öffentlichkeits- oder Pressearbeit beschäftigt. Zwei Drittel gaben an, bei Antritt ihrer Gremientätigkeit bereits medienpolitische Vorkenntnisse mitgebracht zu haben.

Auf die konkrete Personalpolitik haben die Mitglieder der Rundfunkräte juristisch keinen Einfluss. Pienkny erklärt aber, ein kurzer Draht zum Personalrat sei in der Praxis unerlässlich. "Wenn es Kritik an bestimmten Redakteuren gibt, wenn Zuhörerbriefe zu bestimmten Redakteuren kommen oder wenn irgendwelche Personalien an die Öffentlichkeit gespült werden, nehmen wir dazu auch Stellung. Wir werden zwar immer darauf hingewiesen, dass wir uns da nicht einmischen dürfen, aber natürlich treten wir da auch als Gewerkschafter auf und machen uns für die Kollegen stark." Das scheint allerdings nicht überall so ausgeprägt zu sein wie beim RBB - nur rund 45 der gewerkschaftlichen Gremienmitglieder geben an, regelmäßig Informationsgespräche mit dem Personalrat zu führen.

Der Zeitaufwand für die Rundfunkräte ist nicht unerheblich. Mehr als die Hälfte der Gewerkschafter gibt an, durchschnittlich bis zu 15 Stunden im Monat dafür aufzuwenden. Die meiste Zeit beanspruchen dabei Sitzungen, doch zum Ehrenamt gehört auch die Programmbeobachtung. Pienkny muss in der Regel einmal im Monat zum Programmausschuss, der aus Mitgliedern des Rundfunkrates gebildet wird. "Dort gibt es eine Beobachtungsliste", erklärt er, "wir nehmen uns in jeder Sitzung einen Themenschwerpunkt - einmal ein Kulturmagazin, einmal eine Nachrichtensendung, dann die Politmagazine. Das muss dann jemand einige Wochen verfolgen, sich dazu Notizen machen, das ein bisschen analysieren."

So hat Pienkny sich vier Wochen lang hingesetzt, intensiv die regionale Abendschau im Fernsehen verfolgt und zusätzlich aufgelistet, welche Themen in sieben verschiedenen Tageszeitungen relevant waren. Heraus kam, dass bestimmte Themen wie Wirtschaftspolitik oder Arbeitsmarktpolitik in der Abendschau unterrepräsentiert waren. "Damit konnten wir klar machen, dass die Sendung bestimmte Themen mehr berücksichtigen muss, wenn sie die elektronische Zeitung der Stadt sein will. Da kann sie sich nicht darauf kaprizieren, bunt zu sein, zu entpolitisieren und ansonsten jede Verkehrsnachricht zur Nachricht zu adeln."

DER RUNDFUNKRAT ALS BESCHWERDE-STELLE_ Neben der Programmbeobachtung spielen auch Programmbeschwerden eine Rolle in der Arbeit der Rundfunkräte. Solch eine Programmbeschwerde kann jeder Zuhörer und jede Zuschauerin beim jeweiligen Rundfunkrat oder auch bei einzelnen Mitgliedern des Gremiums einreichen. Rund zwei Drittel der gewerkschaftlichen Mitglieder in den Räten geben an, dass Gewerkschaftsmitglieder Kontakt mit ihnen aufnehmen, um Programmbeschwerden, aber auch Beschwerden über Arbeitsbedingungen oder Ärgernisse im Sender einzubringen.

Auch Dieter Pienkny kennt das: "Die Gewerkschaften beklagen sich schon, wenn sie bei bestimmten Geschichten schlecht weggekommen sind oder wenn ein Sachverhalt schräg dargestellt wurde. Dann wenden sie sich an mich und erwarten, dass ich das Thema anspreche." Pienkny geht solchen Fällen nach, er sagt aber auch: "Es wird deswegen nicht immer Korrekturen oder Gegendarstellungen geben." Seinen Job sieht er vor allem darin, auf journalistische Fahrlässigkeiten, Missverständnisse oder einfach Uninformiertheit hinzuweisen: "Wenn ich über Ausbildungsvergütung spreche und dann ein Plakat zum Mindestlohn einblende - dann muss man den Kollegen klar machen, dass das zwei verschiedene Sachen sind. Das sind manchmal kleine Nachhilfestunden."

MEHR QUALIFIZIERUNG ERWÜNSCHT_ Nachhilfe wünscht sich Pienkny aber auch manchmal selbst - für seine eigene Arbeit. Seine Vorstellung: "Regelmäßige Fortbildungs- und Qualifizierungsveranstaltungen für Rundfunkräte. Zum Beispiel: Wie lese ich einen Finanzplan, wie sehen die neuen technischen Entwicklungen aus, was wird Brüssel anschieben in Sachen Fernsehrichtlinie?" Man könne sich vieles anlesen, sagt er - "aber bei rund hundert Gremienmitgliedern, wäre es sinnvoll, so etwas anzubieten." Dies gilt wohl umso mehr, als fast alle Gewerkschaftsvertreter die Frage mit Ja beantworten, ob sie an einer medienpolitischen Schulung teilnehmen würden.

"In vielen Organisationen hapert es dabei noch und ich hoffe darauf, dass der DGB die Zeichen der Zeit erkannt hat und mehr in Sachen Qualifizierung tut", meint Pienkny. Wichtig sei auch der Austausch mit anderen gewerkschaftlichen Gremienmitgliedern. Das bestätigt auch die Mehrheit der gewerkschaftlichen Rundfunkräte: Fast alle geben an, dass sie sich mit Kollegen austauschen. Dabei wird häufiger auch auf den Arbeitskreis Medienpolitik des DGB verwiesen. Dort treffen sich mehrmals im Jahr die für Medienpolitik zuständigen Referenten aus dem DGB, den Gewerkschaften und den DGB-Gliederungen.

Pienkny diagnostiziert für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk eine "enorme Legitimationskrise" - und die brennt ihm unter den Nägeln. Sein Ziel ist es, das System "immer wieder an dessen Ursprung und Auftrag zu erinnern, das ist meine gewerkschaftliche Funktion." Ihm geht es um eine unverkennbare Handschrift - die Öffentlich-Rechtlichen kupfern seiner Meinung nach zuviel vom kommerziellen Fernsehen ab: "Das heißt, die Einfalt in Vielfalt zu kopieren: Damit tut sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk keinen Gefallen." Als Stärken des Systems nennt er den "enormen Kompetenzvorsprung" in den Nachrichten, in der Information, in der Kultur: "Dazu muss man auch stehen und darf Sendungen, die genial sind, nicht um 23.00 oder 24.00 Uhr bei Arte oder auf 3sat verstecken."

 

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