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Melanie Frerichs, Arbeitnehmervertreterin bei Thyssenkrupp Steel Magazin Mitbestimmung

Aufsichtsratsporträt: „Es geht ums Ganze“

Ausgabe 05/2023

Melanie Frerichs, Arbeitnehmervertreterin bei Thyssenkrupp Steel. Von Andreas Molitor

Es ist ein Satz, wie in Stein gemeißelt: „Wir alle wissen, welch historischen Schritt wir mit der Entscheidung für grünen Stahl gerade gehen – und was für eine enorme Verantwortung damit verbunden ist.“ Die Frau, die das sagt, heißt Melanie Frerichs, sie vertritt für den DGB die Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp Steel Europe AG. Es geht ums Ganze: Gelingt die Wende zum nachhaltigen Stahl nicht, sagt sie, dann habe man nicht nur ein Problem bei Thyssenkrupp Steel, sondern in ganz Deutschland. „Dann ist unsere Stahlindustrie ganz einfach weg vom Fenster.“ Die Produktion werde woandershin verlagert, „und zwar zu schlechteren Arbeits- und Umweltbedingungen. Dieses Wissen, dass es jetzt drauf ankommt, das schweißt ganz schön zusammen.“

Melanie Frerichs, seit 23 Jahren Mitglied der IG Metall, hat den Zusammenhang zwischen Problemen in Betrieb oder Branche und gesellschaftlichen Entwicklungen stets fest im Blick, besonders bei ihrer Arbeit im DGB, wo sie in der  Abteilung „Grundsatz und Gute Arbeit“ das Referat für Transformationsprozesse und Zusammenhalt leitet. „Alles, was in der Industrie passiert, ist von gesellschaftlichen Entwicklungen überhaupt nicht zu trennen.“ Das gelte auch für den aktuellen Umbruch, der sich nicht verengen lasse „auf einzelne Branchen, die dekarbonisiert werden sollen – da geht es um gesellschaftliche Umbrüche“. Werden in den Bereichen, wo die neuen Jobs entstehen, überwiegend schlechte Löhne gezahlt? Gibt es dort noch Tarifbindung? Und wo entstehen die neuen Arbeitsplätze? Dort, wo die alten wegfallen?

Frerichs weiß, dass sie als „externe“ Aufsichtsrätin auf das Know-how der Kolleginnen und Kollegen aus dem Unternehmen angewiesen ist. „Alles, was unternehmensintern passiert, wissen die natürlich besser“, sagt sie. Die promovierte Soziologin wiederum bringt eine andere Perspektive auf die Arbeitnehmerbank: ihre Expertise über Unternehmensstrategien und Risikomanagement. Dazu die Erfahrung aus zwei zurückliegenden Aufsichtsratsmandaten – bei den Deutschen Edelstahlwerken und Südzucker – sowie die mehrjährige Tätigkeit bei der Hans-Böckler-Stiftung (2012 bis 2016), wo sie das Referat „Mitbestimmung und Gute Arbeit“ leitete und sich mit der Qualifikation von Aufsichtsräten einen Namen machte.

Zu Beginn ihrer Zeit bei der Hans-Böckler-Stiftung gelang Melanie Frerichs ein außergewöhnlicher Spagat: Bereits voll im Job, schrieb sie nach Feierabend und an den Wochenenden ihre Dissertation zu Ende. Als Fachreferentin des Betriebsrats hatte sie im Volkswagenwerk in Emden für die Arbeit recherchiert, eine Analyse der Auswirkungen von Organisationsveränderungen auf das Machtgefälle zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten. Ein Sujet, dem sie sich mit dem Rüstzeug der soziologischen Theorie näherte, etwa mit den Theorien des deutsch-britischen Soziologen Norbert Elias.

Dass sie sich das ostfriesische Autowerk ausgesucht hatte, war kein Zufall. Im 30 Kilometer entfernten Aurich war sie 1975 geboren worden, der Vater arbeitete als Controller in der Fabrik, und auch der Großvater mütterlicherseits hatte im Werk gearbeitet; er war Betriebsrat und aktiver Metaller. Er hat Melanie Frerichs stark beeinflusst. „Das Linke, das Sozialdemokratische, die Affinität zur IG Metall – das hab’ ich von meinem Opa“, sagt sie und korrigiert freundlich, aber bestimmt den Journalisten, der von der „Emdener Fabrik“ spricht: „Die Menschen aus Emden heißen nicht Emdener, sondern Emder.“ Auch so ein Satz, wie in Stein gemeißelt.

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