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: Erpressung ist nicht innovativ

Ausgabe 09/2007

DIE AUTOMOBILZULIEFERER-Branche kann nur unter fairen Bedingungen Job- und Exportmotor bleiben. IG Metall und IG BCE schlagen ein neues industriepolitisches Kapitel auf.

Von Matthias Helmer, Soziologe und Journalist in Göttingen.

Hier wird Marktmacht zur Erpressung eingesetzt!" Scharf verurteilt Berthold Huber, Tarifpolitiker und Vizechef der IG Metall, wie die Automobilkonzerne mit ihren Zulieferern umgehen. Denn die Endhersteller versuchen zunehmend, Kostendruck, Innovationsanforderungen und Risiken auf die Lieferanten abzuwälzen. Ein Trend, der sich nach Einschätzung von Experten noch verstärken wird angesichts von Marktkonzentration und Überkapazitäten in der Autobranche.

Vielfältige Aufgaben bis hin zu hochkomplexen Entwicklungsleistungen werden heute schon von den Endfertigern zu den Zulieferern verlagert. Damit steigt bei diesen der Investitionsbedarf. Gerade den kleineren Zulieferfirmen fehlen dafür aber die finanziellen Ressourcen - ein Problem, das sich durch die restriktive Bankenpolitik im Zuge von Basel II noch weiter verschärft habe, konstatiert Huber (siehe Seite 56).

SCHULTERSCHLUSS DER INDUSTRIEGEWERKSCHAFTEN_Anlass genug für die beiden größten Industriegewerkschaften, IG BCE und IG Metall, die Situation bei den Automobilzulieferern - einer Schlüsselbranche für beide Organisationen - näher zu erörtern. Die gemeinsame Konferenz hatte die Hans-Böckler-Stiftung mitorganisiert, zwei Tage lang ging es um die Zukunftsperspektiven dieser Branche, in der nicht nur Millionen von Menschen beschäftigt sind, die auch für Innovation und Klimaschutz hohe Verantwortung trägt.

Michael Vassiliadis, Vorstandsmitglied der IG BCE, ist zuversichtlich, dass die gewerkschaftliche Kooperation Früchte tragen wird, denn "bei industrie- und wirtschaftspolitischen Themen gab es auch in der Vergangenheit keinen Dissens". Die Tagung ist Startpunkt einer gemeinsam von IG BCE und IG Metall getragenen Initiative "Zur Zukunft der Automobilzulieferindustrie". Deren Kernforderungen sind in einem Vier-Punkte-Programm für Innovation und Wachstum festgehalten, das sich sowohl an Unternehmen wie auch an Politik und Bankenwelt richtet:

So werden verbesserte Finanzierungsgrundlagen, gestützt durch eine entsprechende Steuerpolitik, angemahnt. Zudem müssten die Bemühungen um ein partnerschaftliches Verhältnis von Herstellern, Zulieferern und Vorlieferanten verstärkt werden. Von den Unternehmen wird eine Stärkung der Innovationskraft anstelle von Kostensenkungsstrategien gefordert. Alle Beteiligten müssten zudem die Initiativen zur Innovationsführerschaft bei Verbrauch, Umweltschutz und Sicherheit vorantreiben.

ARBEITGEBER NEHMEN BALL AUF_Im Grundsatz teilen alle die Einschätzung von IG Metall und IG BCE: Die gegenwärtige Situation in der Branche ist nicht zukunftsträchtig, dieser Ball wird auch von Arbeitgeberseite aufgenommen: Matthias Wissmann, der neue Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), setzt auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, um die gemeinsamen Herausforderungen - von Innovationsfähigkeit bis Klimaschutz - zu packen. "Eine erfolgreiche Entwicklung der Branche ist ohne moderne Gewerkschaften nicht möglich", sagte der Automobilverbandschef.

Dass das Verhältnis von Endproduzenten und Zulieferern verbessert werden muss, werde mittlerweile auch im VDA erkannt, konzediert Helmut Kostal, Sprecher der Zuliefergruppe im VDA. "Gute Leistungen von Lieferanten werden nicht ausreichend honoriert", sowohl was die Anerkennung wie die Bezahlung angehe. Erforderlich sei daher ein Ausbau strategischer Partnerschaften zwischen Herstellern und Zulieferern, kein weiteres "kurzfristiges Spiel der Märkte", mahnt Kostal. Kritik an den unhaltbaren Zuständen kommt nicht zuletzt von den Betriebsräten, die den bisherigen Verhaltenskodex als "Feigenblatt" bezeichnen, so Klaus Opalla, BR-Vorsitzender beim Systemlieferanten Veritas in Gelnhausen.

HIER LÄUFT DIE WERTSCHÖPFUNG_Die Automobilzulieferindustrie steht bislang im Schatten der Endproduzenten. Dabei sind hier im weiteren Sinn an die fünf Millionen Beschäftigte tätig, die eben auch Reifen, Getriebekomponenten oder Kunststoffteile fertigen. Immerhin gut drei Viertel der Wertschöpfung der deutschen Automobilindustrie findet mittlerweile bei den Zulieferbetrieben statt, wobei die weiteren Wachstumschancen als gut beurteilt werden. Ein Jobmotor also ist diese Branche, die sehr heterogen ist, hier finden sich neben internationalen Konzernen auch Kleinstunternehmen, neben Haupt- auch Sublieferanten.

Damit dieser Motor nicht ins Stocken gerät, gehen die Industriegewerkschaften in die Offensive. Denn Sand ins Getriebe wird nicht nur von den Endherstellern gestreut, mehr und mehr treten Finanzinvestoren auf und rütteln mit ihrer Kurzfrist- und Renditeorientierung an der innovativen Basis der Unternehmen (siehe Bericht von Betriebsrat Amann Seite 55).

So muss auch "Besser statt billiger", das Motto der IG Metall NRW, über einer Zukunftsstrategie für die Automobil- und Zulieferindustrie stehen. Denn bei einfachen Standardprodukten wird der Verlagerungsdruck eher noch zunehmen, schätzen Experten. Anders dagegen bei hochwertigen Komponenten. Die künftige Entwicklung der Branche hängt damit wesentlich von ihrer Innovationsfähigkeit ab, gerade auch angesichts klimapolitischer Herausforderungen.

Doch werden auch Defizite bei den deutschen Unternehmen festgestellt: So werde der Fokus zu stark auf Technik gelegt und zu wenig auf den Kunden. Außerdem vernachlässige man Personalentwicklung oder Sozialbeziehungen, etwa im Vergleich zu Japan, bemängelte Jan Dannenberg, Director bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman (vormals Mercer). Um die steigenden Innovations-Anforderungen und Kosten bewältigen zu können, empfiehlt Dannenberg den Ausbau von Kooperations- und Entwicklungsnetzwerken, wie sie Unternehmen wie Audi oder BASF praktizieren.

Die aufgeregte Standortdebatte hat sich in den letzten Jahren versachlicht, das beobachtet Siegfried Roth, beim Bundesvorstand der IG Metall zuständig für Betriebspolitik. Die Vorteile hiesiger Produktionsstätten - etwa die Qualität von F&E, das Qualifikationsniveau oder die Infrastruktur - werden wieder stärker gewichtet. Zu diesen Pluspunkten gehört aus gewerkschaftlichem Blickwinkel aber auch die Flexibilität, welche das Mitbestimmungs- und Tarifsystem ermöglicht.

Dabei hat sich die Automobilbranche stark internationalisiert, neue Märkte und Player sind dazugekommen. Viele Zulieferer folgen ihren Kunden ins Ausland, bislang vornehmlich in die MOE-Länder sowie nach Westeuropa; das hat eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe ergeben, die die globalen Produktionsstrategien der Lieferanten untersucht.

Steffen Kinkel vom ISI weist zudem darauf hin, dass Verlagerungen keine Einbahnstraße sind: So wird ein nicht unbeträchtlicher Anteil der - nicht selten überstürzten - Standortverlegungen nach wenigen Jahren wieder rückgängig gemacht. Hauptgründe: Qualitätsmängel sowie zuvor nicht kalkulierte Organisations- und Betreuungskosten.

Die Praxis bestätigt dies. "Erfolgreiche Investitionen in Deutschland sind nach wie vor möglich", konstatierte Hans-Georg Härter, Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG. Zwar seien 40 Prozent des ZF-Personals mittlerweile im Ausland beschäftigt, doch das Unternehmen bevorzuge nach wie vor den Standort Deutschland, auch aufgrund der Rahmenbedingungen, so Härter.

Ob die gemeinsamen Interessen und Einsichten tragen, wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall stecken "hinter dem Glanz im Premium-Bereich noch viele schwierige Themen", weiß IG-BCEler Michael Vassiliadis.


Weiterbildungspakt
"Das Management ins Gespräch zwingen"

Beim Automobilzulieferer Peguform GmbH sollte die Weiterbildung gestrichen werden. Wie das die Arbeitnehmervertreter zusammen mit der IG BCE verhindert haben, berichtet Betriebsratsvorsitzender Gerhard Amann.

"Als uns der US-Finanzinvestor Cerberus 2004 übernommen hat, hatten wir eine schlechte Ergebnislage. Anfang 2005 bekamen wir eine neue, deutsche Geschäftsführung. Der ging es in erster Linie darum, die Kosten zu senken, sie wollte auch die Aus- und Weiterbildung kürzen. Beides hat eine lange Tradition bei Peguform, dieses Jahr feiern wir hier in Bötzingen 50 Jahre Ausbildung und daran haben wir Arbeitnehmervertreter intensiv mitgewirkt.

Wir machten also dem neuen Management klar: Wir werden keine weiteren Einschnitte mehr hinnehmen über den Sanierungstarifvertrag hinaus. Wir verwiesen auch auf den Weiterbildungspakt zwischen der IG BCE und dem Arbeitgeberverband BAVC und machten klar, dass wir den Pakt nicht unterlaufen. Wir haben dann - gemeinsam mit der Gewerkschaft - drei bis vier Monate mit unserer Geschäftsführung verhandelt, bis wir schließlich das Management doch davon überzeugt hatten: Die Chance, Geld zu verdienen, ist mit gut qualifiziertem Personal besser.

Dabei haben die Manager auch mitbekommen, dass wir rein sachlich argumentieren. Wir haben auf Gesetze und Verträge verwiesen und dabei gemerkt, dass Mitbestimmung und Tarifverträge den Amerikanern nicht so viel bedeuten, von daher mussten wir ihnen auch immer wieder die Vorzüge unseres Modells erklären. Bei den Sachfragen haben wir Fakten und konkrete Beispiele ins Feld geführt, man muss immer wieder nachsetzen und das Management zum Gespräch zwingen. Dafür empfiehlt es sich, die Vorgespräche der Aufsichtsratssitzungen zu nutzen.

Am Ende hat sogar die Geschäftsführung eingeräumt, dass diese Entscheidung für Weiterbildung richtig war, eine Entscheidung, die bei kurzfristiger ökonomischer Betrachtung anders ausgefallen wäre. Entscheidend für unseren Erfolg war, dass wir uns einig waren - unter den Kollegen und zwischen den Standorten. Das erfordert gute Vorarbeit, insbesondere im Gesamtbetriebsrat und im Wirtschaftsausschuss - plus intensiver Öffentlichkeitsarbeit.

In unserer Branche wird leider mit harten Bandagen gekämpft. Die Autokonzerne müssen den Zulieferern einfach mehr Luft lassen. Sonst kann man die gestiegenen Anforderungen, etwa bei Entwicklung und Innovation, nicht erfüllen. Was Peguform angeht, bin ich davon überzeugt, dass Cerberus uns über kurz oder lang wieder verkaufen wird. Und wenn die Margen noch weiter runtergehen, wird in Zukunft in der Zulieferer-Branche gar kein Investor mehr einsteigen."