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Magazin Mitbestimmung

Globalisierung: Enge Verbundenheit

Ausgabe 09/2012

Brasilien steht im Brennpunkt der internationalen Aktivitäten der IG Metall, weil viele deutsche Konzerne dort produzieren. 30 Gewerkschafter/innen aus Brasilien tourten durch Deutschland – auch zur Erkundung der Mitbestimmung.

Sie arbeiten in einem der Werke von Mercedes Benz do Brasil, bei Schaeffler in Sorocaba, im VW-Werk Taubaté, bei ThyssenKrupp in Porto Alegre und bei ZF do Brasil in Sorocaba. Oder bei Stihl in Sao Leopoldo und Mannesmann in Cotnagem. Viele dieser betrieblich verankerten Gewerkschaftsvertreter waren im Sommer 2012 zum ersten Mal in Deutschland, dort, wo die Entscheidungszentralen ihrer Unternehmen sind. Valter Sanches, seit Jahren Drehscheibe im deutsch-brasilianischen Gewerkschafterdialog, hatte diese 30 Köpfe starke Delegation nach Deutschland gebracht zu Betriebsbesuchen und einer zweitägigen Tagung über „die Rolle der Mitbestimmung in der internationalen Gewerkschaftsarbeit“. Veranstaltet wurde sie von der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall. Begleitet und dokumentiert hat den Besuch auch ein Kameramann von TVT.org.br, dem erfolgreich gestarteten Arbeiterfernsehen des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, das Valter Sanches künftig leiten wird.

1200 deutschstämmige Industrieunternehmen haben Niederlassungen und Werke in Brasilien; den langjährigen wirtschaftlichen Verbindungen entspricht eine enge Zusammenarbeit der IG Metall mit der CNM, der Confederacao National dos Métallúrgicogos im Dachverband der CUT, seit den 1980er Jahren. In der internationalen Gewerkschaftsarbeit steht Brasilien für die Deutschen ganz vorne, entsprechend viele Kollegen, das konnte man in Frankfurt sehen, sind in der „Brasilienarbeit“ aktiv. Etwa in den Arbeitnehmernetzwerken, die man sich als eine Art internationales Vertrauensleutegremium im Konzern vorstellen kann. „Arbeitnehmernetzwerke sind der Internationalismus des 21. Jahrhunderts auf der Seite der praktischen Gewerkschaftsarbeit“, schwärmte FES-Mann Reiner Radermacher. Und Leandro Candido Soares, Gewerkschafter bei ZF do Brazil, lobte die Vorteile einer betrieblichen Vertretung, um Probleme im Betriebsalltag schnell lösen zu können, mithin die „europäische Prägung der brasilianischen Gewerkschaftsbewegung“. Die Gesetze jedoch sehen immer noch vor, dass Gewerkschaften draußen vor dem Werkstor bleiben. Das nutzen die Konzerne gerne. „Niemand praktiziert das patriarchalische brasilianische Fabriksystem patriarchalischer als die Deutschen“, konnte sich der deutsche ZF-Betriebsrat Hans Kirchgässner letztes Jahr vor Ort überzeugen. Kontrovers diskutiert wurden auf der Tagung auch die Internationalen Rahmenvereinbarungen (IFAS). Die einen halten sie hoch als eine Art globale Betriebsvereinbarung, andere sagen, IFAS seien Papiertiger, die in den Schubladen vermodern. In einem Böckler-Projekt hat der Politikwissenschaftler Justus Dreyling deren Erfolgschancen untersucht. Sein Fazit: Bei Daimler und Leonie sind die IFAS deshalb so erfolgreich, weil die Gewerkschaftsakteure vor Ort in den Prozess der Verhandlung des Abkommens einbezogen waren und weil Seminare veranstaltet wurden, wie man die IFAS praktisch nutzen kann.

Die aufstrebende Großmacht Brasilien zeigt den Europäern erfrischend offen ihr neues Selbstbewusstsein. ZF-Mitarbeiter und Gewerkschafter Soares machte deutlich, dass die internationale Solidarität längst keine Einbahnstraße mehr ist, weil sich „mittlerweile die brasilianischen Kollegen auch für die deutschen Standorte einsetzen“. Dass Löhne und Personalkosten von VW do Brazil schon höher sind als in Portugal, verriet Frank Patta, seit kurzem Generalsekretär des VW-Weltkonzernbetriebsrates. Das letzte Wort zur Mitbestimmung hatten die Vorsitzenden: Joao Cayres von der CNM/CUT warb um Verständnis für die in der CUT verbreitete Skepsis gegenüber handzahmen sozialen Dialogen, wenn man seine Identität gründet auf eine heroische Geschichte im bewaffneten Kampf gegen eine Militärdiktatur, die die Unternehmermacht absicherte. Berthold Huber bekannte sich als „glühender Verfechter der Mitbestimmung“, der aber immer wieder erlebe, wie schwer es sei, in brasilianischen Tochterfirmen betriebliche Vertretungsstrukturen aufzubauen, weil dies bis heute die brasilianische Gesetzgebung nicht vorsieht.

Text: Cornelia Girndt, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung


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