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Kim Tran Magazin Mitbestimmung

Stipendiaten: Einsatz in der Krise

Ausgabe 03/2020

In der Pflege herrscht seit Jahren Fachkräftemangel. Mit der Corona-Krise drohte sich dieser Zustand dramatisch zuzuspitzen. Einige Stipendiatinnen und Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung unterbrachen ihr Studium, um auszuhelfen. Wir stellen drei von ihnen vor. Von Fabienne Melzer

Überbringerin der Testergebnisse

My-Kim Tran, Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, derzeit beim Gesundheitsamt in Köln. My-Kim Tran überbringt die schlechten Nachrichten. Sie ruft Patientinnen und Patienten an, die positiv auf Corona getestet wurden. Schwierig verlaufen die Gespräche für sie selten. „Die meisten kannten das Ergebnis schon oder hatten es zumindest vermutet“, erzählt die 25-Jährige. Außerdem hat sie in ihrem Medizinstudium schon mehrere Kurse besucht, in denen es um das empathische Gespräch mit Patientinnen und Patienten ging. My-Kim Tran ist Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, studiert im zehnten Semester Medizin und arbeitet seit Mitte März beim Gesundheitsamt in Köln.

Im Herbst steht ihr Staatsexamen an. Eigentlich wollte My-Kim Tran noch zwei Seminare der Hans-Böckler-Stiftung für die Stipendiatinnen und Stipendiaten besuchen. Doch die fielen wegen Corona aus. „Daher hatte ich ungeplant freie Zeit.“ Als das Gesundheitsamt an ihrer Uni Aushilfen suchte, meldete sie sich.

Nun ruft sie Menschen an, die mit Corona infiziert sind. Sie fragt nach ihrer medizinischen Vorgeschichte, wie es ihnen geht und nach den Menschen, mit denen sie in den letzten Tagen Kontakt hatten. Auch sie werden vom Gesundheitsamt informiert. Index- und Kontaktpersonenmanagement heißt das in der Welt des Gesundheitsamts. Die Arbeit findet sie spannender, als sie erwartet hatte: „Ich bin nicht nur nah am Geschehen, ich kann die Entwicklung auch beeinflussen, indem ich Kontaktlisten erstelle, mit deren Hilfe Infektionsketten unterbrochen werden können.“ Was sie nach ihrem Medizinstudium machen will, weiß sie noch nicht. Die Arbeit beim Gesundheitsamt war bis vor ein paar Monaten noch keine Option. Das hat sich inzwischen geändert.

Wissen der Pflegekräfte wertschätzen

Eckhard Geitz, Promotionsstipendiat und zurzeit als Krankenpfleger in der Berliner Charité im Einsatz: Wie die Zeiten sich ändern. Eckhard Geitz, Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung und zurzeit in der Berliner Charité im Einsatz, bringt es in wenigen Halbsätzen auf den Punkt: „Krankenpfleger, ehemals Kostenfaktor, jetzt systemrelevant.“ Seit Mitte April arbeitet Eckhard Geitz wieder in seinem erlernten Beruf. Als die Corona-Pandemie ausbrach, fiel eine Veranstaltung nach der anderen aus, auf denen er Vorträge halten wollte. Gleichzeitig wurden im Gesundheitswesen Fachkräfte gesucht. Er bewarb sich bei der Charité. Für drei Monate arbeitet er nun auf einer nephrologischen Station und ersetzt dort Pflegekräfte, die für die Versorgung von Covid-19-Patienten gebraucht werden. 

Vor neun Jahren wechselte er als Pflegekraft in einer forensischen Psychiatrie in den Hörsaal. Inzwischen promoviert er am Institut für Soziologie der Universität Freiburg zur Digitalisierung der Psychiatrie. Schwer fiel es ihm nicht, wieder in der Pflege zu arbeiten: „Kommunikation und Bewegung mit Patientinnen und Patienten sind für mich nach wie vor das Entscheidende“, sagt Eckhard Geitz. „Ich habe auf jeden Fall den Eindruck, dass ich helfen kann.“

Als Krankenpfleger setzte er sich für die Rechte der Beschäftigten ein – als Verdi-Vertrauensmann und Betriebsrat. Während seiner Ausbildung 2004 bis 2007 entstand durch die Liberalisierung des Gesundheitswesens der Personalnotstand, der nun in der Krise die Versorgung bedroht. „Es war die Zeit der Privatisierung, der Fallpauschalen“, erzählt er. „Auszubildende wurden nicht übernommen, und die personelle Besetzung auf den Stationen wurde von Jahr zu Jahr schlechter.“ Er hängte den Beruf an den Nagel, vor allem, um zu studieren, aber auch weil er unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten wollte.

Die Debatte um eine Aufwertung der Pflegeberufe dürfe sich nicht nur um Geld drehen. „Die Expertise von Pflegekräften muss wertgeschätzt werden. Sie wissen, was sie leisten und wie viel von ihrer Arbeit abhängt“, sagt Eckhard Geitz. „Deshalb müssen sie gefragt werden, wenn es um Personalbedarf und Fragen der Gesundheitsversorgung geht. “

Vielleicht schaffe die Krise ein Umdenken in der Gesundheitspolitik. Etwa, dass Reserven nicht dazu da sind, sie zu streichen, sondern dafür, sie im Notfall zu haben. Eines fände Eckhard Geitz allerdings fatal: „Wenn unser auf Kante genähtes Gesundheitssystem jetzt als vorbildlich gilt, weil wir bisher noch nicht an die Grenzen der Auslastung gestoßen sind.“

Eckhard Geitz

Sicherheit steht an erster Stelle

Laura Klimaschewski, Stipendiatin im Einsatz in der Uniklinik Essen: Zentrale Notambulanz Nordost heißt der Arbeitsplatz von Laura Klimaschewski offiziell. Untereinander nennen sie ihn aber nur Covid-Ambulanz. Dort kommen alle an, die bereits erkrankt sind und sich schlecht fühlen oder die verdächtige Symptome haben. Böckler-Stipendiatin Laura Klimaschewski studiert im achten Semester Medizin. Doch seit Ende März arbeitet sie als Pflegehelferin an der Uniklinik in Essen. „Ich hatte mich gemeldet, weil ich dachte, in den Kliniken brennt die Hütte“, erzählt Laura. 

Gebrannt hat es bislang nicht, die Betten für Covid-Patienten waren bis Anfang Mai etwa zur Hälfte ausgelastet. Dennoch ist die Arbeit anstrengend. Sicherheit steht an erster Stelle, Schutzausrüstung, Abstand zwischen den Beschäftigten, nie mehr als zwei in einem Raum. „Wenn wir nach der Schicht die Maske abnehmen, haben alle einen roten Streifen um die Nase“, erzählt Laura. „Aber dann wissen wir wenigstens, dass sie richtig saß.“ Zwar kamen täglich im Schnitt nur sechs Patientinnen und Patienten zur Klinik, aber genug zu tun hatte Laura immer. „Mit einem Patienten ist man rund zwei Stunden beschäftigt“, erzählt die Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung. 

Für ein Stipendium hatten sie ihre Lehrer nach dem Abitur vorgeschlagen. Doch Laura wollte nicht irgendeine Förderung, sie wollte etwas, das zu ihr passt. Ihr Vater ist Elektriker und Gewerkschaftsmitglied. Für Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte interessierte sie sich schon von Haus aus. Im Internet stieß sie auf die Hans-Böckler-Stiftung und fand: „Das passt zu mir.“ 

Während der Oberstufe machte Laura eine Ausbildung als Rettungssanitäterin. Diese Erfahrung hilft ihr jetzt bei der Arbeit in der Ambulanz. Die Medizinstudentin sieht den Einsatz während der Pandemie auch als Chance für sich. „Im Studium beschäftigt man sich mit Pandemien ja nur theoretisch, hier sammle ich praktische Erfahrung.“ Auch persönlich hat sie die Arbeit weiterentwickelt. „Nach den Wochen in der Ambulanz fällt es mir inzwischen sehr viel leichter, selbst Entscheidungen zu treffen.“
 

Laura Klimaschewski