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Magazin Mitbestimmung

Systemgastronomie: Ein Steakhaus sieht rot

Ausgabe 09/2012

Die Steakhauskette Maredo setzte auf einen Schlag fast die gesamte Belegschaft ihres Restaurants in der Frankfurter Fressgass an die Luft. Angeblich geht es um massenhaften Diebstahl. Die Betroffenen glauben, sie müssen gehen, weil sie gewerkschaftlich organisiert sind. Von Joachim F. Tornau

Mal sind es mehr Demonstranten, mal weniger. Doch sie kommen immer wieder. Seit Monaten versammeln sie sich an jedem Samstagmittag vor dem Maredo-Restaurant in der Frankfurter Fressgass. Hartnäckig protestieren sie gegen die Steakhauskette, die sich selbst als attraktiver Arbeitgeber anpreist: „Motivierte und hoch qualifizierte Mitarbeiter“, heißt es auf der Internetseite des Marktführers, „sind die Voraussetzung für unser erfolgreiches Unternehmenswachstum.“ Was auf den Schildern und Transparenten der Protestierer steht, liest sich dagegen ganz anders. Als „betriebsrats- und gewerkschaftsfreie Zone“ wird das Unternehmen da attackiert. Von „fetten Steaks und mageren Löhnen“ ist die Rede, vom Grillrestaurant als rechtsfreiem Raum: „Bürgerrechte? Betriebsverfassung? Grundgesetz? Nicht bei Maredo.“ Viele von denen, die hier im Zentrum der Mainmetropole demonstrieren, kennen den Betrieb ganz genau. Sie haben hier gearbeitet, manche von ihnen jahrzehntelang – bis zu einem Tag im November 2011, als sie alle an die Luft gesetzt wurden. Ohne Vorwarnung, ohne Abmahnung. Unter Umständen, über die seitdem vehement gestritten wird. In der Öffentlichkeit, aber auch vor Gericht. Betroffen war fast die gesamte Belegschaft – nicht weniger als 29 Beschäftigte.

VORWURF: ORGANISIERTER DIEBSTAHL

Was kann so gravierend sein, dass Maredo zu einer Massenkündigung keine Alternative gehabt haben will? In der Fressgass-Filiale war der Organisationsgrad der Belegschaft mit rund 80 Prozent so hoch wie sonst kaum in dieser Branche. Und es gab seit Jahren einen engagierten, dreiköpfigen Betriebsrat, der jetzt entlassen wurde. Aber davon war bei der Kündigung nicht die Rede. Stattdessen rechtfertigte Geschäftsführer Uwe Büscher die Massenkündigung in einem Brief an Maredo-Mitarbeiter mit einem „immensen Sachschaden“, der durch „dauerhaften, man kann sagen organisierten Diebstahl und Betrug“ entstanden sei. Das klingt, als hätte in dem Frankfurter Steakhaus die Mafia am Grill gestanden. Dem entlassenen Personal wird zur Last gelegt, gegessen und getrunken zu haben, ohne dafür zu bezahlen. Dieser Vorwurf ist arbeitsrechtlich brisant, denn Eigentumsdelikte gefährden regelmäßig das Arbeitsverhältnis. Mimoun Bouhout, 45 Jahre alt, hat sein gesamtes Berufsleben in dem Restaurant verbracht, hat sich nach und nach zum Chefgriller hochgearbeitet. Jetzt steht er auf der Straße. Er ist zugleich Vorsitzender des Betriebsrats. „Für das, was sie uns vorwerfen, finde ich keine Worte“, sagt er.

Gegen ihn erhebt das Unternehmen den Vorwurf, sich bei den Steaks bedient zu haben, die er tagein, tagaus zubereitete. Bouhout bestreitet die Vorwürfe. Als gläubiger Moslem esse er kein Fleisch, das nicht von geschächteten Tieren stamme und das zudem auf dem Grill mit Schweinefett in Berührung gekommen sei. „Sie werfen mir vor, gegessen zu haben, was ich mir von zu Hause mitgebracht hatte.“

Das Frankfurter Arbeitsgericht ließ sich von seiner Argumentation aber nicht überzeugen. Ende Juli stimmte es sowohl Bouhouts außerordentlicher Kündigung als auch der einer Betriebsratskollegin zu. Ihr Vergehen: Die 60-Jährige hatte gelegentlich Baguetteenden, die ohenehin nicht serviert werden sollten, eine Olive oder ein Stück Fetakäse gegessen. Auch die ersten drei von insgesamt 19 Kündigungsschutzklagen, die gefeuerte Maredo-Beschäftigte eingereicht haben, blieben in erster Instanz erfolglos: Es hatte einen Aushang in der Filiale gegeben, der vorschrieb, außer Kaffee und Wasser alles zu bezahlen. Das reichte dem Gericht. Dass es in dem Betrieb jahrelang üblich gewesen war, etwa von Gästen reklamierte Speisen aufzuessen statt wegzuschmeißen, spielte darum keine Rolle mehr. Einzig bei Betriebsrat Michael Weißenfeldt schloss sich das Arbeitsgericht nicht der Sicht des Unternehmens an – offenbar weil es dem 52-Jährigen als stellvertretendem Betriebsleiter größere Handlungsspielräume zugestand.

Die NGG SAGT: ES GEHT GEGEN UNS

Die streitbaren Maredo-Mitarbeiter sind ebenso wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) davon überzeugt, dass die Diebstahlsvorwürfe nur vorgeschoben sind. In Wirklichkeit wolle das Unternehmen die Belegschaft aus ganz anderen Gründen loswerden. Zum einen, um Geld zu sparen: Statt bis zu 9,40 Euro pro Stunde wie das altgediente Personal bekämen die neu eingestellten Kollegen in der Regel bloß 7,50 Euro – und befristete Verträge. Und zum anderen, um den Einfluss der Gewerkschaft zurückzudrängen.

Die für rechtmäßig erklärten Kündigungen will der Betriebsrat deshalb nun in nächster Instanz vor dem hessischen Landesarbeitsgericht zu Fall bringen. „Wir kämpfen auf jeden Fall weiter“, sagt Weißenfeldt. „Das ist alternativlos.“ Denn man kann in der Tat den Eindruck gewinnen, dass es Maredo um etwas ganz anderes geht als um den beklagten Sachschaden. „Betriebsräte“, sagt der Frankfurter NGG-Sekretär Sven Hildebrandt, „sind in der Systemgastronomie nicht gern gesehen.“ Bei Maredo existieren in gerade einmal neun von 55 deutschen Restaurants Betriebsräte – und die sind nicht selten auch noch arbeitgebernah.

Vielleicht auch deshalb beteuerte Maredo-Anwalt Tibor Lelley vor Gericht: „Maredo hat keine Probleme mit seinen Betriebsräten.“ Anderslautende Vorwürfe seien nichts als „Hetze“, sagte der Jurist und sprach von einer „Kampagne“ gegen die Steakhauskette. Also alles völliger Unsinn, wie das Unternehmen auch der Presse durch den eigens angeworbenen Berliner PR-Berater Michael Cramer – vormals Redaktionsleiter von Sabine Christiansen – glaubhaft zu machen sucht? Tatsache ist, dass ein gut organisierter Betrieb wie in der Fressgass auch bei Maredo die Ausnahme war. Und genau hier schlug das Unternehmen am 26. November 2011 mit einer generalstabsmäßig geplanten Aktion zu: Als die Beschäftigten zur Arbeit erschienen, sahen sie sich statt hungrigen Gästen einem Aufgebot von Managern und Rechtsanwälten gegenüber – und wurden mit der Mitteilung überrumpelt, sie seien in den vergangenen Wochen überwacht worden. Durch versteckte Videokameras und als Mitarbeiter eingeschleuste Detektive. Und sie seien derart oft beim Klauen erwischt worden, dass sie jetzt nur noch eine Wahl hätten: selber zu kündigen oder fristlos entlassen zu werden.

Und schon am nächsten Tag grillte und servierte in der Fressgass neues Personal. Was Maredo später lapidar als die „vorübergehende Schließung der Filiale“ bezeichnete, wird von den betroffenen Arbeitnehmern weit dramatischer geschildert. Sie berichteten, sie hätten ihre Handys ausschalten müssen und das verdunkelte Lokal nicht mehr verlassen dürfen. Vor der Tür hätten Bodyguards gestanden. Niemand habe aufs Klo gehen dürfen, eine Frau, die sich ein Glas Wasser holen wollte, soll heftig geschubst worden sein. Und irgendwann sei ein Kollege umgekippt. „Ich hatte Angst“, erzählt eine 53-Jährige. „Ich träume jeden Abend davon.“ Weil 14 Beschäftigte auf die einschüchternde Inszenierung mit einer Strafanzeige wegen Nötigung und Freiheitsberaubung reagierten, beschäftigen die Ereignisse jenes Novembertages mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft. Und die Anklagebehörde nimmt die Vorwürfe ernst: Im Juli ließ sie das Steakhaus in der Frankfurter Fressgass von der Polizei durchsuchen.

Text: Joachim F. Tornau, Journalist in Kassel / Foto: David Paenson 

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