: Editorial
Von Cornelia Girndt
cornelia-girndt@boeckler.de
Liebe Leserinnen und Leser,
gesellschaftliche Zustimmung haben die Arbeitgeberverbände nicht erhalten auf ihren Vorstoß zur Abschaffung der fast-paritätischen Mitbestimmung. Auch Bundeskanzler Schröder hat davor gewarnt, diejenigen zu vergraulen, deren Teilhabe für die nötigen Reformprozesse in Deutschland gebraucht wird. Und unsere Aktion "Pro Mitbestimmung" (siehe Foto) war eine punktgenaue Landung am Arbeitgebertag.
Nun wird zurückgerudert, und jedes Statement von Arbeitgeberseite beginnt mit dem verdächtigen Satz: "Niemand hat die Absicht, die Mitbestimmung abzuschaffen", die Arbeitgeberverbände wollen sie ja bloß modernisieren. Behutsam, versteht sich.
IG-Metall-Vize Berthold Huber fordert von der Wirtschaft "das Ende der Scheinheiligkeit". Das ist eine angemessene Reaktion gegenüber den Arbeitgeberverbänden, die 50-Seiten-Konzepte produzieren, mit dem Ziel, ausschließlich die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat zu "modernisieren". Anstatt sich um die Verbesserung der Unternehmenskontrolle zu kümmern - vorrangig auf ihren erlauchten Bänken. Wo sich - wie der Unternehmer Rodenstock auf dem Arbeitgebertag sagte - die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat nicht trauten, den Vorständen kritische Fragen zu stellen, weil Arbeitnehmervertreter mit am Tisch sitzen. Ja, wie? Vernachlässigen die ihre Aufgaben als Unternehmenskontrolleure so sträflich? Oder leben wir in einer Klassengesellschaft, wo die Kaste der Manager vor den Augen der niedrigeren Kaste der Arbeitnehmer nicht befragt sprich: bloßgestellt werden kann?
Aber kommen wir zum Wesentlichen. Dazu, worin Mitbestimmung und Gewerkschaften und kritische Wissenschaft und die Hans-Böckler-Stiftung ihren Zweck haben: Kommen wir zu diesem Heft. Unsere Autoren zeigen, dass auch die "einfache" Dienstleistungsarbeit einer Verkäuferin ein anspruchsvoller Balanceakt und Emotionsarbeit ist. Und sie plädieren für eine Servicekultur auf Augenhöhe, für ein Verhältnis wechselseitiger Anerkennung statt eines, das dient und bedient. Und sie reflektieren darüber, warum die Figur des ehedem so schützenswerten (weil manipulierbaren) Kunden nun zum König erhoben wird. Weil die Beschäftigten dann nicht mehr viel zu sagen haben.
Die Unternehmen lieben ihre Kunden - leider nur in der Werbung. In der Wirklichkeit schieben sie die Kunden ab in die Hotlines der Call-Center oder lassen sie vor unlesbaren Bedienungsanleitungen schmoren. Und da soll nun Konsumfreude aufkommen? Ja, muss. Wir werden dieses Jahr so freudig wie nie zuvor, Geschenke kaufen, dabei die Binnenkonjunktur ankurbeln und für Wachstum sorgen.
Und damit wünscht die Redaktion allen Leser/innen frohe Festtage und eine Verschnaufpause bis nächstes Jahr.
»Niemand hat die Absicht, die Mitbestimmung abzuschaffen «