Betriebsverfassung: Dunkler Gesetzestext
Die Mitbestimmung in Fragen der Ordnung des Betriebs hat zu einer unübersichtlichen Rechtsprechung geführt. Eine neue Studie soll Klarheit schaffen. Von Kay Meiners
Manche Rechtsnorm sieht auf den ersten Blick einfacher aus, als sie ist. In diese Kategorie gehört auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in „Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb“. Der Arbeitsrechtler Bernd Waas widmet der Norm, niedergeschrieben in § 87 Abs. 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, eine ganze Studie. Denn die Vorschrift ist ebenso knapp wie unbestimmt. Die Folge ist, nach Waas, dass die Rechtsprechung „über die Jahrzehnte betrachtet schwankend war und auch heute nicht als gefestigt gelten kann“.
Dem dunklen Gesetzestext steht die große praktische Bedeutung gegenüber. Seit jeher wird unter dieser Vorschrift ein ganzes Minenfeld heikler Themen verhandelt – von Alkoholkonsum über das Tragen von Dienstkleidung bis zum Einsatz von Detektiven im Betrieb. Durch neue Entwicklungen wie Compliance und Digitalisierung nimmt ihre Bedeutung außerdem noch zu. Ist der Urtext des Gesetzes salopp geraten, muss die „ratio legis“, der Grundgedanke der Rechtsnorm, von kundiger Hand aufgehellt werden. Zeitgemäß interpretiert Bernd Waas die „Ordnung des Betriebs“ als „Gesamtheit der im Betrieb geltenden Verhaltensregeln“, das „Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb“ als deren betriebliches Sozialverhalten. Damit bilde die Norm „in weitem Umfang einen einheitlichen Tatbestand“, dessen zwei Merkmale sich nur hinsichtlich der Perspektive unterschieden – einmal die Regeln, die die Ordnung darstellen, und einmal denjenigen Ausschnitt des Verhaltens der Beschäftigten, welcher der Wahrung dieser Ordnung dient.
Zu den mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen des Arbeitgebers zählen all die Maßnahmen nicht, die sich auf das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer beziehen. Denn hier greift das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Das Mitbestimmungsrecht dient in erster Linie dem Ziel, einen Ausgleich der Interessen innerhalb der Belegschaft (nicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer!) herzustellen, es betrifft daher alle auf das Ordnungsverhalten gerichteten Maßnahmen, die das einzelne Arbeitsverhältnis übersteigen.
An vielen Stellen vertritt der Autor modernere Positionen als die, zu denen das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit gekommen ist – etwa, wenn es 1991 ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates beim Einsatz von Detektiven verneinte, weil damit kein Verhalten der Arbeitnehmer geregelt werde, aber zugleich eingestand, dass so ein Einsatz sehr wohl Einfluss auf das Verhalten der Beschäftigten nehmen kann. Dennoch kam es zu dem Schluss, nur die Überwachung mit technischen Mitteln sei mitbestimmungspflichtig. Waas hingegen argumentiert, dass der Arbeitgeber mit dem Einsatz von Detektiven sein „Integritätsinteresse“ verfolgt, nicht sein „Erfüllungsinteresse“. Das heißt, er will sein Vermögen schützen, nicht einfach nur die korrekte Einhaltung der Arbeitsverträge erreichen. Dies setze zwingend eine Güterabwägung und Beteiligung des Betriebsrates voraus. Umgekehrt gilt dies auch, wenn Integritäts- oder Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter tangiert sind.
Ebenso hält Waas alle Maßnahmen, die sowohl auf das Arbeitsverhalten als auch auf das Ordnungsverhalten zielen, für mitbestimmungspflichtig, während das höchste Arbeitsgericht hier noch auf den überwiegenden Zweck abzielt.
Das Buch
Bernd Waas: Mitbestimmung des Betriebsrats in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. HSI-Schriftenreihe, Band 33. Frankfurt am Main, Bund-Verlag 2020. 101 Seiten, kostenlos, als PDF-Download