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Magazin Mitbestimmung

: Die Sache mit den Brunnen

Ausgabe 09/2010

KONSOLIDIERUNG Politik, das hieß in Bergheim auch: Wünsche erfüllen. Jetzt werden zwei von sechs Schwimmbädern geschlossen. Von Andreas Molitor

ANDREAS MOLITOR ist Journalist in Berlin./Foto: Jürgen Seidel

Ich habe mir vorgenommen, den Stadtkämmerer nicht nach den Springbrunnen zu fragen. 18 Jahre ist es her, dass ich mich damit bei den Stadtvätern unbeliebt gemacht habe. Nach längerer Abwesenheit hatte ich damals meine Heimatstadt Bergheim unweit von Köln besucht. Mir fiel auf, dass wieder einmal ein Springbrunnen gebaut wurde. "Ich glaube, es ist der dreizehnte in dieser Stadt", schrieb ich in einer bitterbösen Kolumne. Heftig zog ich über meine Bergheimer her. "Im Jahr 1992 ist es nicht nur überflüssig, Springbrunnen zu bauen, sondern geradezu dumm", schrieb ich.

"Jede Mark, die in Bergheim für den dreizehnten Springbrunnen verschleudert wird, könnte sinnvoller ausgegeben werden." Natürlich waren die Springbrunnen nur ein Symbol. Auch sonst wurde gebaut, was das Zeug hielt. Ein riesiger Bürokomplex für die Kreisverwaltung entstand dort, wo früher die Mehrzweck-Sporthalle gestanden hatte. Eine neue Mehrzweck-Sporthalle war natürlich schon fertig. Das alte Gebäude der Kreisverwaltung wurde zurechtgemacht für die Stadtverwaltung, wo man über den Bau einer Rodelbahn nachdachte. Bäche, erst vor ein paar Jahren verrohrt, verwandelten sich zurück in Feuchtbiotope. Das Parkhaus am Stadttor bekam eine Toilettenanlage, das Hallenbad eine Besonnungsbrücke.

18 Jahre später steht das einstmals reiche Bergheim kurz vor der Pleite, lese ich in der Online-Ausgabe der Lokalzeitung. Die CDU-Bürgermeisterin warnt vor dem finanziellen Kollaps, es dräut das Nothaushaltsrecht und der Verlust der Finanzautonomie. 15 Millionen Euro fehlen dieses Jahr im städtischen Haushalt, lese ich, im nächsten Jahr sogar 25 Millionen. Investitionen können nur noch auf Pump finanziert werden. Es ist von schmerzlichen Einschnitten die Rede, nicht nur in den Speck, sondern tief ins Fleisch der Stadt. Ich beschließe, hinzufahren. Ich will wissen, wie das geht: sparen in Bergheim.

EINE GESCHICHTE WIE ÜBERALL_ Alfred Faßbender legt einen Stapel Ordner auf den Tisch. Der Bergheimer Kämmerer hat sich mit akribisch aufbereitetem Zahlenwerk gewappnet. Unter den wichtigsten Aufstellungen steht ein Minus vor den Millionenbeträgen. Faßbender ist kein Schönredner. Bei flüchtiger Durchsicht erzählen seine Ordner die gleiche Geschichte wie überall in Deutschland: Auch Bergheim ächzt unter der Last all der Aufgaben, die Bund und Länder auf die Kommunen übertragen, ohne sich um die Finanzierung zu kümmern. Auch in Bergheim sind infolge der Wirtschaftskrise die Einnahmen aus Gewerbesteuer und Einkommensteuer eingebrochen. Auch Bergheim erhält weniger Landeszuweisungen. All dies zusammen hat ein Loch von zehn Millionen Euro in den Etat gerissen, übergenug für eine städtische Finanzkrise. "Letztlich können wir konsolidieren, wie wir wollen", sagt der Kämmerer, "aber wenn das Land und der Bund uns immer mehr Aufgaben aufdrücken, für die wir geradestehen müssen, werden wir aus der Misere nicht herauskommen."

Aber die Stadt hat auch ein hausgemachtes Problem, begründet in der Sorglosigkeit früherer Jahre. Argwöhnisch wachten die Lokalfürsten in den 15 Stadtteilen darüber, dass ihre Klientel aus dem städtischen Füllhorn bevorzugt bedacht wurde. Unendlich lang war bei den Etatberatungen die Liste der Wünsche. Hier ein paar Tausend Mark für den Karneval, dort für den Gesangverein, hier eine Flutlichtanlage für den Dorfsportplatz. So gut wie nie machte man sich Gedanken, ob man auch mit weniger Geld auskommen könnte. Lieber erzog man die Bergheimer zu rundum versorgten Freizeitbürgern mit einem Angebot, das in Städten dieser Größenordnung seinesgleichen suchte: 21 Sporthallen, elf Sportplätze, 25 Bolzplätze, Tennishalle, Bürgerhäuser, Grillplätze, Springbrunnen. Und sechs Schwimmbäder. Hier wird am deutlichsten, was der Kämmerer meint, wenn er sagt: "Unsere kritische Situation hängt wesentlich mit Beschlüssen der Vergangenheit zusammen." Drei Hallen- und drei Freibäder für eine Stadt mit 62 000 Einwohnern. Und Bäder kosten viel Geld. Wenn die Bergheimer wirklich ihren Haushalt in Ordnung bringen wollten, mussten die Bäder ganz nach oben auf die Tagesordnung, so viel war klar. Die Bäder waren der Lackmustest für den Sparwillen. Doch früher mochte kein Politiker als Schwimmbadkiller in einen aussichtslosen Wahlkampf ziehen.

DIE BÄDER WAREN EIN SAKRILEG_ Ich erinnere mich noch gut an das Freibad im Zentrum von Bergheim, gebaut in den Dreißigern, so schön wie marode, umgeben von einer Liegewiese mit alten Trauerweiden. Die Sommer meiner Jugend habe ich zum großen Teil dort verbracht. Mitte der Achtziger musste das Bad nach langem politischem Kampf dem Neubau des Amtsgerichts weichen: Die SPD-Mehrheit im Stadtrat, kurz vor der Kommunalwahl besonders nervös, spendierte den Bürgern, obwohl Bergheim überversorgt war, ein Ersatzbad auf der grünen Wiese. "Ich weiß noch, dass ich mit dem damaligen Kämmerer den Rat bekniet habe, darauf zu verzichten", erinnert sich Alfred Faßbender, "wir hatten doch genug Bäder. Aber ein Bad schließen, ohne für Ersatz zu sorgen, das ging nicht."

Jetzt geht es, weil es nicht mehr anders geht. Das Ersatz-Freibad, das schon kurz nach seiner Eröffnung wegen baulicher Mängel für mehrere Jahre geschlossen bleiben musste, soll nun endgültig dichtgemacht werden. In den zurückliegenden Sommerferien war es nur deshalb geöffnet, weil das die Stadt weniger kostete als die Rückzahlung von Landeszuschüssen, die bei einer vorzeitigen Schließung fällig gewesen wäre. Es wird keinen Ersatz mehr geben für das Ersatzbad - und auch nicht für das große Freibad im Stadteil Außem, das ebenfalls zum Saisonende seine Tore für immer schließt. Um dem drohenden Nothaushalt zu entgehen, muss finanzielle Masse bewegt werden. Denn mit einem Zuschussbedarf von fast 1,8 Millionen Euro gehören die Bäder zu den größten Geldvernichtern im Stadthaushalt. Die Stadt muss sich der Hälfte dieser Last entledigen - so die strenge Vorgabe des Kämmerers.

Eine Schwimmbadschließung wäre eine ideale Vorlage für Polit-Populisten. Wird eine der Parteien sich wohl als Schwimmbadretter profilieren, fragte ich mich, bevor ich nach Bergheim fuhr. Aber ich werde eines Besseren belehrt. Alle sechs Fraktionen - CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke, Bergheim alternativ und ProNRW - haben im Juli dem Haushalt mit einem Konsolidierungsvolumen von acht Millionen Euro zugestimmt. Sie votierten - bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung - fast geschlossen für die Schließung von zwei Bädern. Meine Bergheimer haben nicht fantasielos und konfliktscheu nach der Rasenmähermethode gekürzt. Sie haben auch nicht dort gespart, wo der geringste Widerstand zu erwarten ist. Sondern dort, wo der meiste Protest drohte, der Einschnitt aber unabwendbar war. Sie haben klug gespart, strategisch, politisch - wie immer man das nennen mag.

Würde jemand eine Zumutbarkeitsdebatte anzetteln? Natürlich regte sich Protest; mehrere Tausend Unterschriften gegen die Bäderschließungen wurden gesammelt, 300 Schwimmfreunde zogen mit ihren Transparenten vors Außemer Bad. "Wenn die alle regelmäßig schwimmen kämen", sagt der Kämmerer, "hätten wir nicht so ein großes Problem mit unseren Bädern." Er weiß, dass er alle Argumente auf seiner Seite hat. Mit einer Schwimmbad-Wasserfläche von 65 Quadratmetern pro 1000 Einwohner nahm Bergheim bislang eine Spitzenposition in Nordrhein-Westfalen ein. Künftig werden es noch knapp 40 Quadratmeter sein - immer noch genug für einen Rang in der Oberklasse. Seit Jahrzehnten subventioniert die Mehrheit der Bergheimer die immer kleiner werdende Minderheit der Schwimmbadnutzer - mit zuletzt zwölf und künftig acht Euro pro Besucher. In Bergheim decken die Eintrittsgelder nicht mal ein Viertel der Kosten.

ENTSCHLOSSEN ZUR RETTUNG_ Es war eine kühne Operation, in der zunächst nicht das Stadtparlament, sondern der Kämmerer die Initiative ergriff. "Im Herbst 2009 war klar, dass wir drastisch sparen müssen, wenn wir nicht im Nothaushalt landen wollen", erinnert sich Faßbender. "Dann hatten wir zwei Monate Zeit, Fachbereich für Fachbereich nach Einsparmöglichkeiten zu durchforsten." Gab es politische Vorgaben? Der Kämmerer überlegt nur kurz. "Nein, hatten wir nicht. Wir haben die Prioritäten gesetzt." Faßbender und seine Beamten trennten - in Abstimmung mit der Bürgermeisterin - Wichtiges von weniger Wichtigem.

So etwas wäre früher am Klein-Klein im Stadtrat gescheitert - an Stadtteil-Egoismen, an persönlichen Verstrickungen mit den Vereinen, an der Parteiräson. Jetzt hat man Mut zu definieren, welche Bereiche nicht angetastet werden: Die Bildung zählt dazu, die Wirtschaftsförderung und die Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Auf der einen Seite schließt die Stadt Bäder und Bürgerservicestellen, auf der anderen baut sie für sieben bis acht Millionen Euro vier neue Kindergärten. Und stellt - auf Initiative der SPD - einen zusätzlichen Streetworker für einen der Kriminalitäts-Brennpunkte ein. Trotz einmütigen Willens zur Rettung der Stadtfinanzen haben die Politiker die Giftliste des Kämmerers nicht still geschluckt, sondern monatelang um jedes Detail gerungen - die Feinjustage des Konsolidierungsprogramms von acht Millionen Euro. "Ich kann mich nicht erinnern, dass in Bergheim oder auch sonst wo jemals über die finanziellen Grundlagen einer Stadt so lange beraten wurde", sagte CDU-Fraktionschef Johannes Hübner nach getaner Arbeit. Zum ersten Mal ging es nicht mehr um Klientel- und Kirchturmspolitik. "Uns erschien die vertrauensbildende Maßnahme für die Zukunft wichtiger als der Erhalt des einen oder anderen Baumes oder der Verzicht auf den Bau einer Straße", sagt Grünen-Fraktionschef Peter Hirseler.

Die verbleibenden vier Bäder werden nicht mehr von der Stadt betrieben, sondern von einem Zusammenschluss der Bergheimer Schwimm- und Tauchsportvereine namens Schwimmpool e.V. Die Stadt zahlt jährlich 840.000 Euro. Ob das letztlich für vier Bäder reicht oder vielleicht doch nur für drei, ist dann nicht mehr Sache der Stadt, sondern die von Schwimmpool. Dass die Vereine in der Lage sind, mit bürgerschaftlichem Engagement ein Bad kostengünstig zu führen, haben sie bereits gezeigt. Das Hallenbad in Bergheim-Mitte läuft schon seit einigen Jahren erfolgreich unter Schwimmpool-Regie. Im vergangenen Jahr flossen sogar ein paar Tausend Euro Zuschuss an die Stadtkasse zurück, weil Schwimmpool das Budget nicht ausgeschöpft hatte.

Die Stadt, so zeigt sich im Vergleich, hat ihr kleines Bäderimperium zu ineffizient, zu teuer und mit reichlich Personal bewirtschaftet. Wenn Schulen und Vereine trainieren, muss kein staatlich geprüfter Schwimmmeister am Beckenrand stehen. Genauso gut können Trainer die Aufsicht führen oder Rettungsschwimmer, die sich in den Reihen der Vereine reichlich finden. Aber was macht der Kämmerer, was macht die Stadt mit den Schwimmmeistern, die nun keiner mehr braucht? Was wird aus den Frauen, die in den sechs städtischen Bädern an der Kasse gesessen und nach Badeschluss sauber gemacht haben? Und was wird aus all den anderen städtischen Bediensteten, die sich hinter dem Einsparvolumen von zwei Millionen Euro bei den Personalkosten verbergen? Umgerechnet sind das fast 40 Vollzeitstellen.

EINE BERGHEIMER LöSUNG_ Norbert Jäckel hat zur Beantwortung dieser Fragen in die Rathauskantine geladen. Der Personalratsvorsitzende der Bergheimer Stadtverwaltung sieht aus wie eine jüngere Ausgabe von Kurt Beck. Den Ort des Gesprächs hat er nicht zufällig ausgewählt. Jäckel, so muss man wohl sagen, hat die Kantine vor der Schließung durch den Kämmerer gerettet. Er fand, dass der Personalrat schon genug Kröten geschluckt hatte, etwa die sukzessive Privatisierung der Reinigung aller städtischen Gebäude, und handelte Faßbender eine "Bergheimer Lösung" ab. Die Kantine mit zwei Beschäftigten wird jetzt - mit einem geringeren Zuschuss aus der Stadtkasse als bisher - unter der Regie des Personalrats weitergeführt. "Der Personalratsvorsitzende als Chef", schmunzelt Jäckel, "eigentlich geht das nicht."

Den Abbau der Personalkosten haben Faßbender und Jäckel ohne betriebsbedingte Kündigungen bewerkstelligt. Wo ein städtischer Hausmeister in Rente geht, zieht künftig einer der überzähligen Schwimmmeister mit der Werkzeugkiste durchs Gebäude. Die Badewärterinnen sollen Parksünder verfolgen - schließlich müssen die Knöllchen-Einnahmen steigen - sowie Schulen und Turnhallen sauber halten, wenn durch "natürliche Fluktuation" eine Putzfrauenstelle frei wird. In wenigen Monaten beginnen die Beratungen des Haushalts für das kommende Jahr. Die Bergheimer Sparkoalitionäre wissen, dass die Bäder erst der Anfang waren. In den nächsten drei Jahren müssen, wenn der Weg nicht in den Nothaushalt führen soll, weitere acht Millionen Euro eingespart werden. Man ahnt schon, worauf es hinausläuft. Neben dem modernen Kultur- und Medienzentrum in der Stadtmitte wird sich Bergheim nicht länger zwei überdimensionierte, in die Jahre gekommene Bürgerhäuser in den Stadtteilen leisten können.

"Noch stecken wir frisches Geld in marode Bauten", bedauert Grünen-Fraktionschef Peter Hirseler, "weil sich niemand traut, den Nutzern die Wahrheit zu sagen." Andere Städte haben das Sparen längst aufgegeben, weil die strukturelle Unterfinanzierung die Kommunen vor übermächtige, vor unlösbare Schwierigkeiten stellt. Hier in Bergheim aber wollen die Politiker nicht darauf verzichten, weiter Politik zu machen. Auch wenn es schwerfällt und wenn noch keiner sagen kann, ob es gelingt. Zu den Unterlagen des Kämmerers zum diesjährigen Haushalt gehört auch eine Liste "noch nicht berücksichtigter Konsolidierungsalternativen". Darin findet sich auch der Vorschlag, einzelne oder alle Springbrunnen zu schließen. Es sind 13. Mehr wurden nicht mehr gebaut.


 

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