Zur Sache: „Die neue Pflegefinanzierung ist zwar gut gedacht, aber schlecht gemacht“
Sandrina Hurler über die gesetzliche Pflicht zur Bezahlung auf Tarifniveau in der Pflege und warum eine Schwachstelle dieser Reform die Tarifbindung nicht stärkt
Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung von Pflegekräften rückten vor allem während der Coronapandemie in die öffentliche Wahrnehmung. Auch der Fachkräftemangel und der damit drohende Pflegenotstand wecken das öffentliche Interesse an dem Thema. Tarifbindung und Mitbestimmung könnten das Problem lösen. Doch in der Umsetzung hapert es, gerade wenn tarifgebundene Einrichtungen durch Gesetzesreformen in der Pflegefinanzierung bestraft werden.
Pflegekräfte arbeiten sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege in besonderen Strukturen. Mächtige, marktbeherrschende Kostenträger wie die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen schließen mit den Leistungserbringern, also etwa Kliniken oder Pflegeeinrichtungen, Versorgungsverträge ab. Die Pflegekräfte können ihren Arbeitgeber daher nur bedingt mit Arbeitskämpfen unter Druck setzen. Hinzu kommt ein geringer gewerkschaftlicher Organisationsgrad und ein hoher Anteil an Teilzeitbeschäftigten – beides Faktoren, die die kollektive Durchsetzungskraft zusätzlich schwächen.
In den vergangenen Jahren wurde durch Reformen versucht, die Position der Pflegekräfte zu stärken, jedoch nur mit begrenztem Erfolg. So galt in den 1990er Jahren noch das Marktprinzip in der Pflege: Ein Versorgungsvertrag kam nur dann zustande, wenn eine ortsübliche Vergütung gezahlt wurde. Wenn die Tariflöhne über diesem Niveau lagen, wurde den Einrichtungen mit Verweis auf die Wirtschaftlichkeit die Finanzierung verwehrt. Ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2009 änderte dies grundlegend, und seit dem ersten Pflegestärkungsgesetz von 2014 ist gesetzlich verankert, dass die tarifliche Entlohnung in einer Pflegeeinrichtung durch die Pflegeversicherung in voller Höhe erstattet werden muss. Die Löhne stiegen daraufhin zwischen 2012 und 2019 – in der Altenpflege überdurchschnittlich, in der Krankenpflege durchschnittlich.
2022 wurde die Pflicht zur Vergütung nach Tarif eingeführt. Pflegeeinrichtungen erhalten seitdem nur dann eine Refinanzierung durch die Kostenträger, wenn sie einem Tarifvertrag unterliegen oder Gehälter zahlen, die im Durchschnitt dem maßgeblichen Tarifniveau entsprechen.
Doch was auf den ersten Blick positiv erscheint, hat unbeabsichtigte Folgen. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt des Hugo Sinzheimer Instituts untersuchte in Zusammenarbeit mit den Rechtswissenschaftlern Judith Brockmann und Felix Welti von der Universität Kassel die Auswirkungen der jüngsten Reformen auf die Praxis. Ein Ergebnis: Was gut gedacht war, ist nicht gut gemacht, wegen einer Inkonsistenz im Gesetz. Ausgerechnet Einrichtungen ohne Tarifbindung können sogar Gehälter refinanziert bekommen, die das regional übliche Entlohnungsniveau um bis zu zehn Prozent übersteigen. Das verschafft nicht tarifgebundenen Einrichtungen erheblich mehr Möglichkeiten, besonders gefragten Fachkräften ein höheres Gehalt anzubieten. Dies kann zu erheblichen Unterschieden in der Bezahlung innerhalb einer Belegschaft führen.
Die jüngste Reform der Pflegeversicherung, die die Tarifbindung eigentlich stärken sollte, hat an dieser Stelle unerwünschte Nebeneffekte, die gewerkschaftliche Mitbestimmung und die Tarifbindung gefährden. Dabei sind gerade sie der Schlüssel für Gute Arbeit.
SANDRINA HURLER arbeitet am Hugo Sinzheimer Institut als wissenschaftliche Referentin für Sozialrecht.