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Magazin Mitbestimmung

: Die Arbeitnehmerbank muss ihre Kernkompetenzen ausspielen

Ausgabe 01+02/2008

CORPORATE GOVERNANCE Der Einfluss der Aufsichtsräte auf die Unternehmensführung wächst. Den Machtzugewinn der Shareholder sollten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat selbstbewusst kontern.

Von MICHAEL SCHUMANN. Der Autor ist Präsident des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen (SOFI).

"Die deutschen Gewerkschaften haben offenbar bis heute nicht erkannt, dass das Shareholder-Value-Prinzip einer effektiven Mitbestimmung der Arbeitnehmer den Boden weitgehend entzogen hat. Die Mitbestimmung setzt einen starken Vorstand voraus, … mit dem man über die Berücksichtigung von Interessen der Beschäftigten in der Unternehmenspolitik sinnvoll verhandeln kann. Das Shareholder-Value-Denken stellt die Vorstände jedoch unter einen erbarmungslosen Ertragsdruck... Für soziale Wohltaten bleiben wenig Spielräume." Diese Lagebeurteilung stammt von einem Wegbereiter der 76er-Mitbestimmung, dem früheren NRW-Arbeitsminister Friedhelm Farthmann.

Auch wenn ich diese resignative Einschätzung so nicht teile - die Wirksamkeit der Unternehmensmitbestimmung steht zur Debatte. Im Zuge von Globalisierung und Finanzmarktstärkung wird das traditionelle deutsche Stakeholder-System unternehmensinterner Einflussnahme und Kontrolle geschwächt. Gleichzeitig wird das Aufgabenspektrum der Aufsichtsräte in den Kapitalgesellschaften erweitert und ihr direkter Einfluss auf die Unternehmenspolitik gestärkt. Die Aufsichtsräte "wandeln sich von vergangenheits- und kontrollorientierten Gremien zu vorausschauend-beratungsorientierten Gremien", so ein Fazit der WZB-Wissenschaftler Jürgens und Lippert (S. 14).

AUFSICHTSRAT ALS NEUES MACHTZENTRUM_ Das heißt, die Arbeitsteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand wird neu justiert. Die Aufsichtsräte bringen sich direkter und intensiver in die Strategiebildung der Unternehmen und deren Umsetzung ein. Initiatoren dieses Wandels sind die Shareholder. Die Manager von Hedge- und Kapitalfonds machen über den Aufsichtsrat Druck auf die Vorstände, um ihre Rentabilitätsinteressen ohne Abstriche durchzusetzen. Themen mit ausschließlich wirtschaftspolitischen Bezügen verdrängen im Aufsichtsrat zunehmend mehr Debatten, in denen es auch explizit um die personalen und sozialen Belange der Belegschaften geht.

Die WZB-Studie zeigt: "Klassische Arbeitnehmerthemen verlieren im Aufsichtsrat an Bedeutung". Sie sind also in Gefahr, als Gegenstand der inhaltlichen Auseinandersetzung und Entscheidungsfindung in dieser Arena zunehmend mehr ausgeklammert zu werden.
Man kann diese Veränderungen als gleichsam unverrückbaren Sachzwang akzeptieren nach dem Motto: "Die Handlungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerseite verengen sich unter den Anforderungen des Kapitalmarktes", so die WZB-Studie (S. 46). Man kann die Verschiebungen der Einflusssphären auch als "Fortschritt" begreifen, wie dies Martin Höpner vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln nahe legt.

Er schreibt: "Der Entwicklungspfad (der deutschen Mitbestimmung) lässt sich mit produktivitätsorientiertem Co-Management, Konsensorientierung, Professionalisierung und zunehmender Entfernung von außerhalb der Unternehmen angesiedelten Gewerkschaftsinteressen beschreiben… Durch die Mitgestaltung solcher Reorganisation ist die Mitbestimmung über die personellen und sozialen Belange im Betrieb, die ihre ursprünglichen Kernaufgaben darstellen, hinausgewachsen". Ich vertrete in dieser Frage eine dezidiert andere Position: Wenn die Arbeitnehmerbank die Verengung der Aufsichtsratsarbeit widerspruchslos hinnimmt, lässt sie sich auf ein Spiel mit schwindenden Gewinnchancen ein und verschenkt eigene Trumpfkarten.

Mitbestimmungspolitisch schlage ich daher eine Art Doppelstrategie vor: Beim wirtschaftspolitischen Kerngeschäft im Unternehmen, bei den Entscheidungen über Standorte, Umstrukturierungen, Investitionen und Renditen gilt es, über die institutionellen Mitspracheregelungen auf den Entscheidungsprozess im Beschäftigteninteresse bestmöglich einzuwirken, um als gut informierter Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nachdrücklich auf transparente Entscheidungen und auf Entscheidungsalternativen zu drängen.

Dabei dürfte klar sein: Die Federführung bei den Strategieentwicklungen im wirtschaftlichen Kerngeschäft liegt beim Vorstand und neuerdings auch bei den Kapitalvertretern im Aufsichtsrat. Sie sehen sich zuständig für die erfolgreiche Einlösung der Shareholder-Erwartungen. In Wahrnehmung ihrer Kontrollfunktion muss die Arbeitnehmerbank also vor allem versuchen, im "traditionellen" Bündnis mit dem Arbeitsdirektor und möglicherweise anderen Vorstandsmitgliedern die gravierendsten Interessenverletzungen für die Beschäftigten zu verhindern. Wobei die Sicherung und der Erhalt von Beschäftigungsverhältnissen im Vordergrund stehen.

ARBEITNEHMERBANK UNTER LEGITIMATIONSDRUCK_ Die Stärke der Mitbestimmung wird aber auch in Zukunft darin liegen, einvernehmliche Entscheidungen zu erreichen. Verweigerte Zustimmungen bleiben weiterhin nur letztes Mittel. Das engt gerade unter den Vorzeichen der gestärkten Shareholder-Position den Handlungsspielraum der Arbeitnehmerbank empfindlich ein. Die Legitimierung von Shareholder-Value-dominierten Entscheidungen gegenüber den Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern wird allemal schwieriger. Dass überzeugende Erfolge auf der Bühne der wirtschafts- und finanzpolitischen Unternehmensentscheidungen der Arbeitnehmerbank zugerechnet werden, dürfte eher die Ausnahme bleiben.

Die Doppelstrategie der Arbeitnehmerbank setzt einerseits auf die erfolgreiche Wahrnehmung der Kontrollfunktionen bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Unternehmen; sie nutzt aber gleichzeitig die von der Shareholder-Seite durchgesetzte Erweiterung der Aufsichtsratsmitwirkung dafür, die Personal- und Arbeitspolitik nicht nur als Themen der Aufsichtsratsarbeit zu erhalten, sondern sie mit eigenständigen Gestaltungsbeiträgen voranzutreiben. In diesen Politikfeldern hat schließlich die Arbeitnehmerseite besondere eigene, professionelle Kompetenzen. Warum sollte sie hier nicht die "List der Vernunft" nutzen und die neuen Spielregeln gegen deren Erfinder wenden? Zumal gerade mit der Personal- und Arbeitspolitik über die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen mehr denn je entschieden wird und sich in diesen Sektoren Erfolge für das Unternehmen und die eigene Klientel gut kombinieren lassen.

KOMPETENTE PERSONAL- UND ARBEITSPOLITIK_ Bereits heute ist ja nicht zu übersehen, welche negativen Folgen in den Unternehmen Kurzfriststrategien für die Humanressourcen-Entwicklungen haben. Unter den Vorzeichen des Shareholder-Regimes gilt Personalpolitik als "weicher" Bereich für Einsparungen. Dies, obwohl der Widerspruch zwischen steigender Nachfrage nach Fachkräften und heruntergefahrenen Ausbildungsangeboten in den Unternehmen evident ist. "Ohne Gegensteuerung in der Ausbildung droht bei demografisch bedingtem Rückgang des Arbeitskräfteangebots ein ernsthafter Fachkräftemangel: Das betriebliche Ausbildungsangebot erwies sich wegen … der Kurzfristorientierung seines Planungshorizonts als inflexibel gegenüber der gestiegenen Nachfrage", wie Martin Baethge schreibt (S. 8).

Regulierungs- und Kontrollstrategien und die darüber verschärfte Kostensteuerung weisen betriebliche Ausbildung zunehmend häufiger als bloße Ausgabe aus - Ergebnis sind die immer bedrohlicher werdenden Lücken bei den Know-how-Trägern. Kein Zweifel: In der Personalpolitik stehen in den Unternehmen Weichenstellungen an, bei denen die Arbeitnehmerseite passgenaue Vorschläge präsentieren könnte - in Verbindung mit den Betriebsräten und dem Personalvorstand. Das Thema Humanressourcen und Qualifizierung eignet sich vorzüglich zum Brückenschlag zu gewerkschaftlichen Aktivitäten und zur Kooperation mit den einschlägigen Wissenschaften.

INNOVATIONEN FÜR VERALTETE KONZEPTE_ Damit eng verbunden ist die Arbeitspolitik. Deren Defizite sind in den Unternehmen zwar weniger offenkundig als die personalpolitischen. Sie sind deswegen nicht weniger gravierend. Vielfach werden bei Restrukturierungen nur veraltete Konzepte fortgeschrieben. Wie der steigende Druck auf die Unternehmen, hohe Renditen zu erwirtschaften, arbeitspolitisch am wirkungsvollsten beantwortet werden kann, ist noch nicht entschieden. Die Privilegierung der Toyota-Rationalisierungswerkzeuge gilt seit nunmehr bald 20 Jahren - mit allemal suboptimalen wirtschaftlichen Erfolgen und zunehmend häufiger um den Preis deutlich verschlechterter Arbeitsbedingungen.

Lean-Production brachte keineswegs den neuen One Best Way für Rationalisierung der Arbeit und Restrukturierung der Fertigungen. Viele Evaluationsstudien belegen, dass eine innovative Arbeitspolitik, wie sie als Alternative zu tayloristischen und toyotischen Konzepten entwickelt und längst auch erprobt wurde, die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhöht und gleichzeitig die Arbeitssituation der Beschäftigten verbessert. Eine innovative Arbeitspolitik setzt auf Abbau der Hierarchien, Statusgruppen, übergreifende Kooperationen, größere Handlungsspielräume und erweiterte Qualifizierungsmöglichkeiten.

Für die Unternehmen entstehen Kosteneinsparungen durch Erfolge bei Produktivität, Qualität, Flexibilität und Ressourcenschonung (vgl. Schumann u. a., 2006; Kuhlmann u. a. 2004). Die Untersuchungen über innovative Arbeitspolitik zeigen auch: Mehr Eigenverantwortung der Arbeitnehmer muss nicht notwendigerweise mit wachsendem Arbeits- und Zeitdruck und Überbeanspruchung einhergehen. Die Möglichkeiten zur eigenständigen Gestaltung von Arbeitskraft- und Zeitökonomie erleichtern es, mit gesteigerten Leistungsanforderungen umzugehen.

Dennoch wird innovative Arbeitspolitik bisher in den Unternehmen nur zögerlich implementiert und nicht selten auf halber Strecke wieder abgesetzt. Das verweist auf die Schwierigkeiten, solche vertikal und horizontal integrativen Gestaltungskonzepte erfolgreich in Szene zu setzen, die gemeinhin die ganze Betriebs- und Führungsorganisation umfassen sollten. Gründe für die zögerliche Einführung dieser Konzepte sind ständige Restrukturierungen und eine Unternehmens- und Führungsphilosophie, die eher wirtschaftliche Nachteile in Kauf nimmt, um traditionelle Kontrollmechanismen und direktive Steuerungsmöglichkeiten zu erhalten.

NICHT OHNE GEWERKSCHAFTEN_ Vor diesem Hintergrund sollte die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat mit Nachdruck das Thema Arbeitspolitik auf die Tagesordnung setzen. Schließlich wird in diesem Politikfeld entschieden, ob in den Unternehmen ein Pfad in Richtung Dequalifizierung und Leistungsüberforderung eingeschlagen wird oder ob die programmatische Perspektive "guter Arbeit" ins Visier genommen wird. Auch bei der Arbeitspolitik bündeln sich die Kompetenzen der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat mit denen der Betriebsräte und des Arbeitsdirektors und den externen gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen Experten.

Für die Entwicklung personal- wie arbeitspolitischer Konzepte ist die direkte Kooperation mit den Gewerkschaften von größter Bedeutung. Eine Entfernung der Arbeitnehmerbank von den Gewerkschaften würde deren Handlungsfähigkeit noch enger an die Arena des Unternehmens und des Aufsichtsrats binden. Zudem können die Gewerkschaften die personal- und arbeitspolitischen Positionen der Arbeitnehmer-Aufsichtsräte dadurch stärken, dass sie über diese Themen in Politik und Gesellschaft allgemeine Debatten initiieren und sie mit eigenen Konzepten besetzen. Sie verdeutlichen damit, dass es bei der Entwicklung der Humanressourcen um mehr geht als um enge Klientelpolitik im Unternehmen. Vielmehr verweisen die Gewerkschaften damit auch auf die klassische Begründung für die Unternehmensmitbestimmung - einen übergeordneten, gesamtgesellschaftlich verankerten Vernunftsanspruch.


MEHR INFORMATIONEN

Martin Baethge u. a.: Berufsbildung im Umbruch, Bonn 2007.

Friedhelm Farthmann: Gewerkschaftspolitik vor dem Ende?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. 9. 2007.

Martin Höppner: Unternehmensmitbestimmung und Mitbestimmungskrise, Köln 2004.

Ulrich Jürgens u. a.: Information, Kommunika-tion und Wissen im Mitbestimmungssystem, Berlin 2007.

Martin Kuhlmann u. a.: Konzepte innovativer Arbeitspolitik, Berlin 2004.

Michael Schumann u. a.: VW - Auto 5000: Ein neues Produktionskonzept. Die deutsche Antwort auf den Toyota-Weg?, Hamburg 2006

 

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