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Plattencover Sonne Statt Reagan Magazin Mitbestimmung

: Der Kunststar singt gegen Raketen an

Ausgabe 03/2020

Mit dem Lied "Sonne statt Reagan" setzte sich der Künstler Joseph Beuys 1982 für Abrüstung ein. Von Martin Kaluza

Wir wollen Sonne statt Reagan
Ohne Rüstung leben
Ob West, ob Ost
Auf Raketen muss Rost
Der Kunststar singt gegen Raketen an

Als US-Präsident Ronald Reagan im Juni 1982 zum NATO-Gipfel nach Deutschland kommt, versammeln sich auf den Bonner Rheinwiesen 400 000 Menschen zum Protest gegen die Nachrüstungspläne des Militärbündnisses. Der 10. Juni 1982 markiert die bislang größte Demonstration in der Geschichte der Bundesrepublik. Die westdeutsche Friedensbewegung steht auf ihrem Höhepunkt.

Während des Musikprogramms steigt ein Mann mit Filzhut auf die Bühne: Der Künstler Joseph Beuys, berühmt für provokative Kunst, ergreift das Mikrofon. Begleitet von der Band BAP, singt er: „Wir wollen Sonne statt Reagan/Ohne Rüstung leben/Ob West, ob Ost/Auf Raketen muss Rost“

Angst vor dem Atomkrieg liegt in der Luft. Die Sowjetunion hat mit atomaren Mittelstreckenraketen des Typs SS-20 aufgerüstet. SPD-Kanzler Helmut Schmidt sieht das Gleichgewicht der Abschreckung in Gefahr und drängt Reagans Amtsvorgänger Jimmy Carter 1979 zum NATO-Doppelbeschluss: Sollten Verhandlungen mit dem Warschauer Pakt über die Begrenzung von Mittelstreckenraketen scheitern, würde die NATO mit eigenen Raketen nachrüsten – eine weitere Eskalationsstufe im atomaren Wettrüsten.

Beuys, der sich für direkte Demokratie einsetzt und 1979 zu den Gründungsmitgliedern der Grünen gehört, vertritt ein Kunstkonzept, das über das Werk hinaus auf eine Strukturierung und Formung der Gesellschaft ausgerichtet ist. Er nennt es die „soziale Plastik“. Seine Arbeiten wie die berühmten „Fettecken“ werden kontrovers diskutiert. Einmal trifft Beuys den Dalai Lama, für den er eigens eine Fettecke anfertigt. Allerdings bleibt das Gespräch, in dessen Verlauf fast ausschließlich Beuys redet und in dem er unter anderem ankündigt, China einen Wirtschaftsplan für Tibet vorzuschlagen, folgenlos.

Den Reagan-Song hat Beuys am 19. April 1982 im Auftrag der Grünen aufgenommen und als Single veröffentlicht. Die Musik schrieb BAP-Gitarrist Klaus Heuser. Der mitunter etwas ungelenk gereimte Text stammt von dem Werbetexter Alain Thomé, BAP-Mitgründer Manfred Boecker hat ihn ergänzt.

Diplomatisch umschiffen die Strophen einige Klippen. Dem Vorwurf des Antiamerikanismus kommt der Song zuvor, indem er sich auf einer Seite mit dem amerikanischen Volk verortet: „Dieser Reagan kommt als Mann der Rüstungsindustrie/But the people of the States don’t want it – nie!“ Auch als Anbiederung an die Sowjets soll das Lied nicht missverstanden werden: „Er will die Säcke im Osten reizen/Die auch nicht mit Atomen geizen“.

Mit dem Song tritt Beuys einen Monat nach der Friedensdemo sogar in der ARD-Musiksendung „Bananas“ auf. Das Mikrofon schwingend, hüpft er hinter der Band auf und ab. Die Nachrüstung können die Friedensdemos nicht verhindern. Unter Schmidts Nachfolger Helmut Kohl beschließt der Bundestag am 22. November 1983 die Stationierung von 108 Pershing-2-Raketen und 96 Marschflugkörpern in der Bundesrepublik. 

Doch die Sowjetunion hat sich mit dem Wettrüsten wirtschaftlich übernommen. Am 8. Dezember 1987 vereinbaren Reagan und der sowjetische Staatschef Gorbatschow die „Doppel-Null-Lösung“ – ein Durchbruch! Innerhalb von drei Jahren sollen alle in Europa stationierten amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenraketen verschrottet werden.  

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