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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Der Kommission auf die Füße treten“

Ausgabe 11/2012

Corporate-Governance-Forscher Sigurt Vitols über Brüsseler Konsultationen, Aktionspläne und einen Kommissar, der nicht springt. Das Gespräch führte Margarete Hasel

EU-Binnenmarktkommissar Barnier hat für diesen Herbst einen „action plan“ zur Modernisierung der Corporate Governance in Europa angekündigt. Nun verzögert sich die Bekanntgabe auf Anfang 2013. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Nach Gesprächen mit Mitarbeitern aus dem Umfeld von Kommissar Barnier gehen wir davon aus, dass der große Wurf nicht zu erwarten ist – und schon gar nicht die erhoffte deutliche Abkehr vom neoliberalen Shareholder-Value-Kurs seines Vorgängers McCreevy. Es wird Stückwerk bleiben, mit einzelnen Vorschlägen zur grenzüberschreitenden Unternehmenssitzverlegung, vermutlich auch für neue europäische Unternehmensrechtsformen.

Warum die Verzögerung?
Als Barnier Anfang 2010, mitten in der Finanzkrise, EU-Kommissar wurde, war das Arbeitgeberlager sehr viel defensiver als heute. Er schien damals begriffen zu haben, dass wir einen neuen Ansatz in der Corporate Governance brauchen. Der alte Ansatz war in der Finanzkrise krachend gescheitert. Inzwischen erfährt Barnier seitens der Wirtschaftsverbände wieder ordentlich Gegenwind. Außerdem hat er mit der Bankenregulierung alle Hände voll zu tun.

Verschiedene Grünbücher, die er in Auftrag gab, hatten das Ziel, durch Verbesserungen der Corporate-Governance-Unternehmen weniger krisenanfällig zu machen. Das wollen Gewerkschaften auch: Für sie ist Arbeitnehmerbeteiligung unverzichtbarer Bestandteil guter Unternehmensführung. Will Barnier das auch?
Der EGB hat von Anfang an Fragen zur Arbeitnehmerbeteiligung vermisst. Aber es wurden auch richtige Fragen gestellt: Welche Ziele sollen Unternehmen verfolgen? Und wie soll Corporate Governance in Europa ausgestaltet sein?

Den Grünbüchern folgten umfängliche öffentliche Konsultationen. Eine große Zahl von Interessengruppen haben ihre Stellungnahmen abgegeben. Worauf zielen sie ab?
Die Konsultationen zeigen, wie gespalten die Interessengruppen sind, was die Vorstellungen zu guter Corporate Governance oder Unternehmensrecht angeht. Das schwächt die politischen Kräfte, die eine Alternative wie den Stakeholder-Ansatz unterstützen. Es wird in der jetzigen politischen Konstellation sehr schwierig, gute Lösungen im Konsens mit allen Interessengruppen zu entwickeln.

Konsultationen sind ein Instrument Brüssels, um ein europaweites Meinungsbild herzustellen. Wer kann teilnehmen?
Jeder. Das ist ein Vorteil dieser offenen Konsultationen. Der Nachteil ist: Die Antwort des EGB, der Millionen Arbeitnehmer in Europa vertritt, ist - im Fall der Konsultation zum Unternehmensrecht – nur eine unter 496. Deswegen kämpfen wir immer auch dafür, dass die Stimmen der Sozialpartner und der Gewerkschaften in dieser Menge nicht untergehen.

Ist dies eine absichtliche Schwächung der Sozialpartner?
Die Sozialpartnerkonsultationen werden durch diese öffentlichen Konsultationen umgangen beziehungsweise ersetzt. Man könnte sie jedoch auch ergänzend nutzen. Warum nicht jetzt eine Konsultation der Sozialpartner anschließen?

Warum haben sich der EGB und einige seiner Mitglieder gleichwohl an den öffentlichen Konsultationen beteiligt?
Insgesamt acht Gewerkschaften haben sich beteiligt, unter anderem auch der DGB. Denn man kann nicht oft genug unterstreichen, dass Corporate Governance nicht nur die Aktionäre angeht, sondern alle Stakeholder. Da haben die Gewerkschaften auch dezidierte Positionen. Die Corporate-Governance-Konsultation hat Fragen gestellt zur Diversity im Board, auch zu Belegschaftsaktien – mithin Themen, die an traditionelle Gewerkschaftsbelange anknüpfen. Bei der Konsultation zum Unternehmensrecht hingegen ging es stark um technische Fragen. Squeeze-out-Regelungen, also der Ausschluss von Minderheitsaktionären aus einer Aktiengesellschaft, sind aber von der klassischen Gewerkschaftsarbeit weit entfernt. Deshalb nehmen in der Regel an diesen Konsultationen vor allem Spezialisten teil – Wirtschaftsanwälte, Wirtschaftsprüfer.

Aus deutscher Sicht kommt erschwerend hinzu, dass im Brüsseler Diskurs unser duales System der Unternehmenskontrolle mit Vorstand und Aufsichtsrat schlicht nicht vorkommt.
Das ist immer wieder ein Problem, auch in den Konsultationen, dass das britische Boardsystem das Referenzmodell der EU-Kommission ist. Einige Fragen passen deshalb nicht so richtig zur dualen Struktur. Da muss man ihr immer wieder auf die Füße treten. Europa braucht Regelungen, die diese unterschiedlichen Systeme berücksichtigen.

Wer könnte es übernehmen, der Kommission auf die Füße zu treten?
Wir brauchen auf europäischer Ebene eine High-Level Expert Group, die den Stakeholder-Ansatz offensiv vertritt. Mit konkreten Detailvorschlägen, aber auch mit Emphase für die großen Linien, für die Philosophie. Diese Gruppe müsste natürlich idealerweise von der Kommission als Beratungs- und Expertengruppe anerkannt sein.

Den Nukleus einer solchen Expertengruppe gibt es – in Form des Netzwerkes GoodCorp, das beim ETUI angesiedelt ist. Wissenschaftler und Gewerkschafter denken hier über gute Unternehmensführung nach. Sie koordinieren die Arbeit – was wollen Sie erreichen?
Wir streiten auf Podien und vertreten die Sache der Arbeitnehmer auf Konferenzen. Beispielsweise auf der großen EU-Konferenz „Europäisches Gesellschaftsrecht – der Weg nach vorn“ im Mai 2011. Auch haben wir Antworten zu den verschiedenen Konsultationen vorbereitet. Wir veröffentlichen Aufsätze und Bücher. Und wir haben ein langfristiges Projekt: das nachhaltige Unternehmen. Hier wollen wir vor allem den Begriff des Stakeholders genauer definieren, der bisher  als Sammelbegriff für alle benutzt wird, die gegen den Shareholder-Kapitalismus opponieren. Und dabei sehr schwammig bleibt.

Die Arbeitnehmer sind eine besonders wichtige Stakeholder-Gruppe. Mit welchen Argumenten kann GoodCorp sie unterstützen?
An der wissenschaftlichen Fundierung arbeiten wir – und nutzen soziologische, ökonomische und rechtsphilosophische Ansätze. Da kann man gute Gründe finden, warum Arbeitnehmervertreter im Board vertreten sein müssen.

Zum Beispiel?
In den Arbeiten der amerikanischen Rechtsprofessorin Margaret Blair sind wir auf die Idee der „productive coalition“ gestoßen: Welche Gruppen tragen wichtige Ressourcen zum Produktionsprozess in einem Unternehmen bei. Und wie kann man die Interessen dieser Gruppen langfristig sichern? Das ist ein Ansatz, mit dem man die herausgehobene Bedeutung der Arbeitnehmer betonen kann. Ein anderer Ansatz knüpft an die gerechtigkeitsphilosophischen Überlegungen von John Rawls und Jon Elster an. Danach ist es – kurz gefasst – zulässig, zwischen internen und externen Stakeholdern zu unterscheiden. Und als Insider sind Arbeitnehmer und Anteilseigner berechtigt, im Aufsichtsrat vertreten zu sein. 

Zur Person

Sigurt Vitols, 52, leitet am WZB die Projektgruppe Modes of Economic Governance und koordiniert am Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI die Initiative GoodCorp, in der Wissenschaftler und Gewerkschafter den Stakeholder-Ansatz zu einer auch wissenschaftlich fundierten Alternative zur herrschenden Shareholder-Ökonomie entwickeln.

Sigurt Vitols/Norbert Kluge (Hrsg.): THE SUSTAINABLE COMPANY. A new approach to corporate governance. Brüssel, Schriftenreihe des ETUI 2011

Sigurt Vitols/Johannes Heuschmid: EUROPEAN COMPANY LAW AND THE SUSTAINABLE COMPANY.  A stakeholder approach. Brüssel, Schriftenreihe des ETUI, im Erscheinen

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